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6_05/2002 |
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Die Mauer Die Stube war dunkel, erhellt nur von einem nach Petroleum riechenden Lampenschein. Die Arbeiten, die seinem Heimatflecken die Segnungen der Elektrik bringen sollten, waren schon fortgeschritten, die Masten eingegraben, teilweise schon mit Leitungen versehen, der Platz für den Transformator, der aus der schon seit über zwanzig Jahren über den Feldern und Wiesen seiner Heimat verlaufenden Hochspannungsleitung gespeist werden sollte, ausgesucht und markiert. Vorläufig aber war die Stube immer noch nur von einem nach Petroleum riechenden Lampenschein erhellt, und das auf dem Tisch stehende Radio von zwei Batterien betrieben, von denen eine flach wie Pfefferkuchendose war und die andere an eine hohe, viereckige Kaffeebüchse erinnerte. Seine drei Geschwister waren nicht da, die Großmutter fehlte ebenfalls. Sein Vater, sein Großvater und er selbet saßen am Tisch, hinter ihnen lehnten am Herd seine Mutter und die Tante, deren Verlobter in dem Großen Krieg in einer fernen Wüste den Tod und auch seinen Grab fand. Wenn auch das Ende des Großen Krieges inzwischen Jahre zurücklag, bestimmte er doch immer noch nicht nur Tantes gesellschaftlichen Status als einer alten Jungfer sondern auch den Lauf der sonstigen Dinge. So auch den Bau der Mauer in der fernen Stadt, über den eben im Radio berichtet wurde. Alle Anwesenden lauschten angespannt der mit bewegter Stimme vorgebrachten dramatischen Nachricht. Sie wurde in einer Sprache verlesen, die in seiner kleinen Heimat nur hin und wieder benutzt wurde, die sozusagen eine Art Feiertagssprache war, weil man sich ihr vor allem bei feierlichen Anlässen wie auch honorigen Gästen gegenüber bediente, seltener für die Unterhaltung untereinander; dafür hatte man eine andere, althergebrachte Zunge. Außerdem war es seit Kriegsende höchst angebracht, sich bei dem Gebrauch der feinen Nobelsprache von den Angehörigen des offiziellen und als fremd empfundenenVolkes nicht erwischen zu lassen, denn sie war verpönt und die sie benutzenden Menschen verhaßt. Die Nachricht von dem Mauerbau in der Hauptstadt seines Vaterlandes, von dem er samt dem ganzen Alten Stamm seit Kriegsende durch unüberwidbare Grenze getrennt war, erzeugte unter den Domestiken absolute Stille voller gedrückter Stmmung. Die Tragweite der kommentierten Bautat konnte er mit seiner kindlichen Unschuld noch nicht erfassen, wohl aber das Gefühl der intensiven Angst, die in der dunklen Stube, die ihn sonst so gut von der Welt draußen, von der Vergangenheit und von der Zukunft schützte, die Herzen und die Gemüter der Seinen ergriff. Von diesem Augusttag an lebte die Welt mit der Mauer, mit der Mauer mitten durch die Hauptstadt seines Vaterlandes, von dem, wie schon oben erwähnt, das Alte Volk, dem auch er angehörte, sowieso seit dem Ende des Großen Krieges getrennt war, doch auf eine wundersame Vereinigung mit demselben keine Sekunde lang zu hoffen aufhörte. Von diesem Augusttag an lebte die Welt mit der Mauer und unser Held mit dem festen Vorsatz, hinzufahren, dabei zu sein, an diesem Tag, an dem sie unweigerlich fallen wird, denn an dessem Kommen bestand in seinem Innern keine Sekunde lang der leiseste Zweifel. Fortan lebte die Welt auch mit einer parallelen Zeitrechnung zu dem gregorianischen Kalender, ausgedrückt in den Jahren vor und nach dem Mauerbau. Nicht nur die Hauptstadt wurde mit der entehrenden Grenze entzweit. Mitten in der Landschaft steckte das Wahnwitzige Regime mit doppeltem Stacheldrahtzaun, Wachtürmen, Selbstschußanlagen und Todesstreifen das ihm zugefallene Gebiet ab, um die darauf lebenden Menschen beherrschen und die Macht über sie auch behalten zu können. Im Jahre Zehn nach dem Mauerbau beschloßen die Machthaber des eingezäunten Vaterlandsteils die Grenze nach Osten hin, zu dem Land also, in dem auch er mit seinem Alten Volk lebte und das ebenso dem Machtbereich der einzig selig machenden Ideologie angehörte,für die Bürger beider versklavten Staaten durchlässig zu machen. So bekam er die Gelegenheit, den arg strapazierten Boden Hinter Dem Grenzfluß zu betreten. Er tat dieses im zweiten Jahr der illusorischen Freiheit, die, vom Standpunkt der Zwangsbeglückten, durchaus als etwas Angenehmes empfunden wurde. Die Beamten am Grenzfluß verrichteten eindeutig die sorgfältigste Arbeit in den Arbeiter- und Bauernstaaten. Sie durchsuchten den Zug sehr penibel, indem sie auf Leiter kletterten um genau die Gepäckregale einsehen zu können, leuchteten, auch am Tage, mit ihren Taschenlampen, die der Bürger, dem die Beamten laut Verfassung zu dienen hatten, nur äußerst selten erstehen konnte, in alle möglichen und unmöglichen Ecken und unter den Waggons ließen sie ihre spezial auf Menschenjagd dressierten deutschen Schäferhunde schnüffeln; dies doppelt und dreifach. Es wurde auch kein Gepäckstück unbestöbert gelassen und gelegentlich der eine oder der andere Reisende zum Heben der Arme angehalten auf daß er sorgfältig abgetastet werden konnte. Jegliche Spur der Empörung solcher erniedrigenden Behandlung wegen wurde mit Leibesvisitation und Zurückhaltung an der Grenze geahndet. Die meisten der Globetrotter nahmen aber diesen Umgang mit ihnen demütig hin und wunderten sich darüber, wie man das Gebaren der letzlich doch vom Gott im Himmel- oder einer vergleichbaren Höheren Macht, z. B. in Moskau - eingesetzten Obrigkeit in Frage stellen konnte. In der Staatsatrappe hinter dem Grenzfluß fiel ihm vor allem eine Unzahl die herrschende Ideologie verherrlichenden Denkmäler, Spruchbänder und Symbole auf, die genauso niederdrückend wie diese an und für sich waren wie auch bedeutend mehr Uniformierte, die Witzfiguren in Clownklamotten geglichen hätten, wenn sie nicht den realexistierenden Ernst und ebensolche Macht repräsentierten. Noch etwas war grundverschieden als bei den Verwaltern seiner Heimat: In den Läden mit der Aufschrift „Metzgerei“ gab es doch tatsächlich Wurst und Fleisch zu kaufen, und in den übrigen Geschäften Bier, Süssigkeiten, Seife, Mehl, Zucker und - ja, es ist kein Quatsch - gar Kaffee; dies sechs Tage in der Woche Vor - und Nachmittags. Wenn dieses auch beeindruckend war, sah er es eher als eine Äquivalenz zu dem Segen des Staates, in dem es ihm, wenn auch unverschuldet, zu leben auferlegt worden war, und der darin bestand, das man, Geld und Seilschaften, beides in nicht unerheblichen Maße voraussetzend, in des ideologischen Feindes Lande reisen durfte. Auf der Rückreise in die Heimat wiederholten sich die entwürdigenden Grenzkontrollen, denn der Beherrschte, um die Realität nicht zu verkennen, muß ja an seinen Status unentwegt erinnert werden. Seine nächste Begegnung mit dem uniformierten, selbstherrlichen, beschränkten Eindruck machenden Arm der Volksbeglücker fand sechs Jahre später statt, als es ihm, einem Lotteriegewinn gleich, gegeben war, nach zwanzigjährigen Sehnen, den Staat der Besatzer zu verlassen um in dem freien Teil des Vaterlandes seßhaft werden zu dürfen. Die Kontrollprozedur an dem Grenzfluß kannte er schon, sie war jedoch nur ein schwacher Abglanz dessen, was die Witzfiguren in ihren Clownklamotten an der mit doppelten Stacheldrahtzaun, Scheinwerfern, Wachtürmen, Todesstreifen und Selbetschußanlagen bestückten innervaterländischen Grenze veranstalteten. Diese Schikane, als „Maßnahme zum Schutz des sozialistischen Vaterlandes und seiner Verbündeten“ ausgegeben, spottete jedem Begriff von Humanität geschweige denn Menschenliebe, weil es kein Karneval, keine Kunst, sondern auf Gewehrläufen gestützter bitterer Ernst war. Irgendwann fuhr der Zug doch an. Nach einer Weile wurde er von den Scheinwerfern in die Dunkelheit entlassen. Langsam rollte er durch diese in die ersehnte, freie, westliche Richtung. Die Augen wollten nichts realexistierendes mehr sehen, sie hatten genug davon, begehrten jetzt nur noch ein Zeichen des jahrzehntelang Geschmähten, Verrufenen, Bespuckten. Der Zug fuhr in den Lichtschein einer Nebenstraßenbeleuchtung. Unter deren Masten parkten Autos, wie sie in der Welt der von der Freiheit Befreiten nur von den Befreiern und deren Speichelleckern gefahren wurden. Die wachsamen, angestrengten Augen hatten ihr Zeichen bekommen und im Abteil brach der Jubel aus. Das Zurücklassen der Mauer und all dessen, was sie symbolisierte empfand er als endgültig. Allein er ließ einen Bruder zurück, dem es nicht gegeben war, länger als27 Jahre und 353 Tage zu leben.Wenn unser Held auch sechs Jahre lang sich überhaupt nicht vorstellen konnte, noch Mal das Herrschaftsgebiet der bitterernsten, hölzernen Narren zu betreten, war er doch jetzt froh, daß sie ihn zu seinem toten Bruder den Abschiedskranz bringen ließen. Es entbehrte nicht grotesker Züge, nach den strengen Grenzkontrollen die nicht unbedingt frostig dahingeworfene Floskel „Herzliches Beileid“ zu hören. Auf der Rückreise fehlte der Kranz. Die mitmenschlichen Regungen der Grenzer ebenso. Fünf Jahre später fand in der eingemauerten Hauptstadt ein Treffen statt, das er unbedingt zu besuchen wünschte. Da ein Flugzeug zu besteigen für ihn damals noch unmöglich war, bedeutete dies eine mehrstündige Reise mit dem Zug durch das Herrschaftsgebiet der gefährlichen, steifen Knechte mit den von Willigkeit erstarrten Gesichtern nebst den schon bekannten Grenzkontrollen. Der Wunsch, an dem Treffen teilzunehmen und bei der Gelegenheit die berühmte, verwundete Hauptstadt zu sehen, war aber so übermächtig, daß er zum wiederholten Male die Rolle des potenziellen Schwerverbrechers, als welcher man von dem Grenzregime behandelt wurde, auf sich nahm, eine Fahrkarte kaufte und den Zug bestieg. Nach der wie immer unwürdigen Grenzprozedur blieb ein Trupp der gesichtsgelähmten Beamten im Zug als der Reisenden schweigende, unheimliche Begleitung. Die Polizisten verließen ihre teilentmündigten Schutzbefohlenen erst wieder bei der Einfahrt in den, wenn auch besetzten, so doch freien Teil der entstellten Hauptstadt. Es war wie immer; das will heißen, es war, als wenn man nach einem Asthmaanfall wieder Luft kriegt. Er hatte Anverwandte im geknechteten Teil der Hauptstadt. Diese wollte er besuchen. Zu diesem Zwecke fuhr er mit der Straßenbahn zur Mauer und stellte sich in einer Menschenschlange an um hinter die Absperrungen zu gelangen. Als er an der Reihe war, wurde er über eine längere Zeitspanne hindurch immer wieder von einem Blick lustriert. Er dachte an eine Schlange und kam sich wie ein Vogel vor. Nach einer Weile rief der Beamte seinen Vorgesetzten zur Hilfe. Dieser ließ ihn abweisen. Dies geschah mit dem Hinweis auf das angeblich vergilbte Foto im Paß. Er stellte sich woanders an. Mit demselben Ergebnis; allerdings ohne irgendwelche Begründung. Nachdem sein dritter Versuch ebenfalls mit einem Fiasko endete, ging ihm ein Lichtlein auf. Wie denn nun mal seinem Paß zu entnehmen war, wurde er als solcher in dem falschen Land geboren und das war dem Staat, dem er Besuch abzustatten gedachte, nicht nur ein Frevel , sondern gar eine seine Grundfesten erschütternde Naturwidrigkeit. Er wurde nun Mal in dem östlichen Land hinter dem berühmten Grenzfluß geboren. Dort aber durfte er laut der kranken Ideologie der Mauerbauer nach dem Großen Krieg nicht als der, der er war, zur Welt kommen. Wie sollte dann der Staat der Volksverführer jemanden auf sein Gebiet lassen, den es nach seinem Glaubensbekenntnis gar nicht gab? Diese Erfahrungen bestätigten ihn in seiner glühenden Ablehnung des Systems, dessen Symbole der fünfzackige Stern, die rote Farbe und die Werkzeuge der von ihm Geknechteten waren. Unseres Helden Machtlosigkeit jenen im Westen gegenüber, die, alle Vorteile der von ihnen gehaßten Ordnung nutzend und denen er als ablehnungswürdiges denn uneinsichtiges Subjekt galt, die menschenverachtende Ideologie lobten und, - wenn auch meist nur für andere - herbeisehnten, war schmerzhaft und peinlich für ihn; dies körperlich, seelisch und geistig. Sein über Jahrzehnte gehegter, nie auch nur von einem Anflug des Zweifels tangierter Glaube, daß die Mauer eines Tages, die sie aufrechterhaltenden Figuren unter sich begrabend, stürtzt, dürfte, nebst anderen Naturkräften, dazu beigetragen haben, daß die Menschen plötzlich den Bann der Angst durchbrachen, wodurch das Bauwerk seine Existenzgrundlage verlor und sich in seine Bestandteile auflöste. Die Mauer, ein die Menschen quälendes, ihre Ideale verspottendes Schandmal, wurde mit Händen abgetragen, mit Vorschlaghammern zertrümmert, mit Maschinen auseinandergerissen; sie wurde vom Volkszorn zerschlagen und zermalmt. Über ihren Fall empfand er Freude und stille Genugtuung, war jedoch, seinem im Kindesalter gefassten Vorhaben zuwieder, bei ihrer Niederlegung nicht dabei. An dem großen Ereignis nahm er Anteil nur als passiver Zuschauer an dem Bildschirm. Er fuhr nicht in die Hauptstadt, um sein Vorhaben aus dem Kindesalter einzuhalten, in die Tat umzusetzen, und den Fall der verbrecherischen Schandmauer aktiv mitzubetreiben und mit den anderen Überzeugungstätern zu feiern. Es war nun mal so, daß er dem Alten Stamm jenseits des berühmten Grenzflußes angehörte, der eine eigene, althergebrachte Sprache spricht, und als solcher nicht eindeutig als Angehöriger des Volkes der Dichter, der Denker und der Täter identifizierbar ist. Da aber die Zunge einen mehr von der Masse unterscheidet als die Überzeugung, Hautfarbe, Religion oder Narben, fürchtete er in dem allgemeinen Jubel die Frage danach, wieso er sich denn ob des Mauerfalls eigentlich freue und jauchze, wo er doch Ausländer ist und mit der Angelegenheit direkt nichts zu tun habe. Um diese Frage nicht hören zu müssen, hielt er sein Vorhaben nicht ein und fuhr nicht hin. Seiner Hoffnung zum Trotz begrub die fallende Mauer - bis auf einige wenige unbedeutende, Mitleid erweckende Jammergestalten - die Großen Mauerbauer und Fesselschmiede nicht. Die ihm von seinen hauptstädtischen Anverwandten zugesteckte Handvoll aus der Mauer herausgebrochener Splitter verschenkte er nach einiger Zeit an seine Schwester weiter. Mit ihnen verschwand das traumatische Bauwerk endgültig aus seinem Leben. Alfred Bartylla - Blanke |
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