Aus dem Buch: “Schlesische
Reminiszenzen” von Peter Karl Sczepanek Das Erbe von August Kiss |
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Peter Karl Sczepanek |
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Mein Lebenslauf! Am 4 Juli im Jahre des Herrn 1926 erblickte ich in Wyry, Kreis Pleß das Licht der Welt. Mein Vater war staatlicher Bahnbeamter während meine Mutter mit den Pflichten einer Hausfrau vollauf beschäftigt war. Ich war das dritte Kind meiner Eltern, und insgesamt waren wir 5 Geschwister. Ich war kaum 3 Jahre alt, als mein Vater während eines Bahnunglücks sein Leben verlor. Wir wohnten zu jener Zeit in einem Einfamilienhaus, welches meinen Großeltern gehörte und zwar am Stadtrand von Tichau. Mit dem Tode meines Vater zog Herr Schmalhans als Küchenmeister in unser Haus ein, doch meine gute und arbeitsame Mutter tat alles, um jegliche Not von uns abzuwenden. Von früh bis in die Nachtstunden rackerte sie sich die Hände ab, um ihre Kinderschar nicht hungern zu lassen und notdürftig einzukleiden. Auf diese Weise brach das Jahr 1932 an, und bald stand ich mit einer Riesentüte voller Süßigkeiten, von einer Schar vieler meiner Freunde umgeben als ABC - Schütze vor dem Tor der Volksschule. Ich war während meiner Volksschulzeit alles andere, nur kein Musterschüler, obwohl ich mir die größte Mühe gab ein aufmerksamer Schüler zu sein, und auch meine Hausaufgaben ohne jegliche Hilfe zu lösen. Große Schwierigkeiten bereitete mir der Polnischunterricht. In der Schule wurde hochpolnisch gesprochen und gelehrt, während wir uns im Umgang mit Eltern, Geschwistern und Freunden mit dem sogenannten „Wasserpolnisch” begnügten. Jene Mundart, welche noch heute in Ostoberschlesien recht fleißig gepflegt und gebraucht wird. Sie besitzt viele Worte, die deutschen Ursprungs sind und die Lehre der polnischen Sprache nicht leicht machen. Hier muß hervorgehoben werden, daß die Kreise Pleß und Tichau zu jener Zeit infolge des III. oberschlesischen Aufstandes im Jahre 1921 zum polnischen Staat gehörten. Ich rackerte mich aber so schlecht und recht durch, und bald befand ich mich ohne große Schwierigkeiten in der VI. Klasse Schon im ersten Schuljahr bemerkten meine Lehrer, daß ich eine außergewöhnliche Begabung fürs Zeichnen hatte. Als kleiner Bube benutzte ich jede Gelegenheit mit einem Stock im Sande oder auf weicher Erde die Sonne, Häuser, Blumen, und alles was mich in der Natur umgab, zu zeichnen. Mit einem Stück Kreide in der Hand, die ich von meinem älteren Bruder erhielt bemalte ich auch oft den Fußboden unserer Wohnung, wobei ich nicht mal vor den glatt polierten Möbelstücken unserer Stube Halt machte. Meine Mutter erhob darauf hin ein Gezeter, wobei sie meine Werke als „Schmiererei” bezeichnete, aber gleich darauf mit einem Lächeln auf den Lippen alle Spuren meiner Malerei sorgfältig beseitigte. Auf der Schiefertafel, welche in der Vorkriegszeit im Besitz eines jeden ABC - Schützen war, schrieb ich während des Unterrichts keine Buchstaben, Worte oder Zahlen, die der Lehrer befahl, sondern malte mit dem Stift die herrlichsten Blumen, die auf dem Katheder standen, oder Fische, die sich im Aquarium der Schulklasse befanden. Meine Lehrer waren davon nicht sehr begeistert, aber rügten mich nicht besonders, und bei manch einem von ihnen fand ich viel Verständnis und Wohlwollen. Als meine Mutter, (ich befand mich bereits in der IV. Klasse,) meinen Lehrer einfach auf der Straße fragte, wie es dem August ergehe, und ob er die Chance habe in die V. Klasse zu kommen, antwortete jener Ehrenmann mit einem vielsagenden Lächeln auf den Lippen: „Der August, junge Frau ist ein ganz besonderer Heiliger. Er ist von den Schlechtesten der Beste. Aus ihm wird noch etwas Besonderes, falls ihn vorher nicht die Fliegen....... Sie verstehen mich doch wohl. Meine Empfehlung”. An einem Frühlingstage des Jahres 1938 betrachtete unser Hauptlehrer meine Zeichnungen und sagte mir in seiner väterlichen Art: „Alles schön und gut, mein Junge aber Malerei ist eine brotlose Kunst. Trachte danach, Handwerder zu werden, denn das Handwerk hat einen goldenen Boden und sichert deine Existenz. Wenn man nur bedenkt, wieviele berühmte Maler ein tragisches Ende gefunden haben, so wird es mir übel dabei. Schuster, bleib bei deinen Leisten, worauf er mich liebevoll umarmte. Trotzdem mußte er es veranlaßt haben, daß ich am Schuljahrende fürs Zeichnen ein „ungenügend” erhielt trotzdem ich zweifellos der beste Zeichner in der Schule war. Auf diese Weise erschien das unheilvolle Jahr 1939, welches so viel Unglück über die Menschheit brachte. In den Sommerferien dieses Jahres brannte schon die deutsch-polnische Grenze auf beiden Seiten und ein Krieg schien unvermeidlich. Dieser ließ auch nicht lange auf sich warten. In den Mittagsstunden des 3. September 1939 bivakierten deutsche Truppen auf dem Ring in Tichau. Zwei Feldküchen dampften in der Stadtmitte und verbreiteten einen Geruch von Sauerkraut, Erbsen und Speck. Die Soldaten benahmen sich nicht als Feinde. Im Gegenteil, heiteres Lachen, Unbefangenheit und fröhliche Soldatenlieder erklangen an allen Ecken und Enden der Stadt. Kein Wunder, denn sie waren ja Sieger. Ich war ja schon 13 Jahre alt und betrachtete aus einer gewissen Entfernung das sorglose Treiben der deutschen Soldaten. Nicht mal im Traume wäre es mir eingefallen, daß ich knapp 5 Jahre später dieselbe Uniform tragen und kämpfen werde. Doch mit den Siegen war es um jene Zeit schon vorbei und der Kampfgeist verschwunden. Wir mußten eine Niederlage nach der anderen hinnehmen bis zum endgültigen Zusammenbruch. Jetzt aber sah ich mit Erstaunen, wie einige ältere und angesehene Bürger der Stadt Tichau sich zu den deutschen Soldaten gesellten und von denen wie alte Kameraden empfangen wurden. Ich wurde Zeuge eines Gesprächs, das unser Bäckermeister, ein behäbiger Herr von knapp 50 Jahren mit einem deutschen Unteroffizier führte. „Tja, mein Lieber” sagte der Bäcker, „im Jahre 1914 zogen wir auch mit fröhlichen Liedern in das Feld, und nach 4 Jahren kehrten wir als Geschlagene heim. Mit des Geschickes Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten” Der Unteroffizier sagte kein Wort darauf. Ihm schienen mit aller Gewißheit dieselben trüben Ahnungen zu plagen. Nach zwei Monaten führten die deutschen Behörden Lebensmittelkarten ein, von denen man recht und schlecht leben konnte, obwohl wir eine vielköpfige Familie waren. Meine Mutter mußte alle Förmlichkeiten, die mit der Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft verbunden waren, erledigen. Ab Dezember 1939 fing in Tichau ein neues Schuljahr an, jedoch in einer neuen, deutschen Volksschule. Im Gegensatz zu vielen meiner Freunde hatte ich keine Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache, denn diese war mir wohlbekannt. Im Mai des nächsten Jahres erhielt ich ein Zeugnis aus, welchem hervorging, daß ich die deutsche Volksschule gut bestanden hatte. Nun fing ein neues Leben für mich an, denn mit meiner Kindheit war es aus. Obwohl ich erst 14 Jahre alt war, wurde ich freiwillig vom Gemeindeamt schon zur Arbeit herangezogen. Ich mußte Steine klopfen, Straßen bauen und Eisenbahnschienen legen und verdiente dabei eine runde Mark am Tag. Ich wurde damit von den deutschen Behörden zum regelrechten Tagelöhner „befördert”. Mit 15 Jahren wurde ich anderen Arbeitsvorschriften unterworfen und wurde dem sogenannten Pflicht oder Landjahr unterstellt. Ein ganzes Jahr lang mußte ich auf einem Bauernhof wie ein Esel schuften, nur für den Unterhalt, kargen Lohn und kümmerliche Bekleidung. Der Bauer, ein Mann im besten Alter hatte in seiner guten Stube eine große Landkarte von Rußland hängen, hörte Sondermeldungen ab und schob kleine Hackenkreuzfähnchen nach Osten des Landes. Kurz vor Weihnachten 1941 sah ich, wie er mit Genugtung eines jener Fähnchen auf der Landkarte in eine Stelle steckte, auf welcher sich die Stadt Moskau befand. Nach einigen Wochen aber sah er sich gezwungen, dasselbe Fähnchen ungefähr 300 km nach Westen zu verschieben. Trotz harter Arbeit auf dem Bauernhof, von Sonnenaufgang bis Untergang, lernte ich viel und sammelte Erfahrungen. Es gab aber auch lustige Tage auf dem Hofe, und mit dem Bauern kam ich gut aus. Er war ein Lebemann, ließ aber auch andere leben. Mein Pflichtjahr nahm endlich auch ein Ende, ich kehrte nach Hause zurück, und meine Mutter konnte mich erfreut in ihre Arme schließen. „Aber gewachsen bist Du, und schon ein Mann geworden - mein Gott wie die Zeit vergeht” sagte sie dabei und schüttelte ungläubig den Kopf. Ich war schon 16 und mußte einen Beruf erlernen. Große Auswahl hatte ich nicht, denn in der Stadt gab es nur ein Eisenwerk, so daß ich dort notgedrungen eintreten mußte, um Stahlbauschlosser zu werden. Es war eine harte und undankbare Arbeit. Diese Fabrik war mit der Kriegsindustrie verbunden und jegliches Abweichen von den dort herrschenden Vorschriften wurde als Sabotage betrachtet. Im ersten Herbstmonat 1943 erhielt ich meine Einberufung zum Reichsarbeitsdienst und war froh diesem Eisenwerk und dem täglichen Einerlei endlich entronnen zu sein. Der RAD war eine militärische Arbeitsorganisation, welche für den Dienst in der Wehrmacht vorbereitete. Hauptaufgabe war hier die Arbeit mit dem Spaten, der nach jedem Tagewerk gut gereinigt werden mußte. Wenn wir von der Arbeit in unsere Baracken zurückkehrten, mußten wir woher auf dem Apellplatz antreten und unsere dreckigen Spaten präsentieren. Der Feldmeister, ein alter Ostpreuße aus Königsberg der an Friedrich dem Großen einen Narren gefressen hatte, nahm nach der Besichtigung stramme Haltung an und rief mit lauter stimme: „Achtung, der Spaten muß wie ein Spiegel blitzen”, worauf alle Arbeitsmänner im Chor antworteten: „ Genau wie zur Zeit des Alten Fritzen”. Nun wurde der Spaten geputzt und geschruppt, so daß er wirklich wie ein Spiegel blitzte. Ich sah, wie manche meiner Kameraden beim Rasieren anstatt des Spiegels, sich den Spaten vor der Nase hielten. Wir hatten auch strenge Militärausbildung. Jeden 2 Tag wurde mit dem Gewehr, meistens alte Knallbüchsen wie der Mauser 98, gedrillt und einmal in der Woche scharf geschossen. Diese RAD - Ausbildung dauerte nur 4 Monate, denn die Zeit drängte. Die Wehrmacht wartete schon auf neues Kanonenfutter. Wir wurden nach Hause entlassen und warteten auf die Einberufung zur Wehrmacht. Nach kaum 10 Tagen hatte ich sie in der Hand. Ich hatte mich sofort in Mannheim, bei der dort stationierten Feldartillerie zu melden.” Dort wurde ich einer Artillerieeinheit zugeteilt und nun begann eine harte Ausbildung von 4 Monaten. Anfang Juli 1944 hatte dieser Drill endlich ein Ende, und ich erhielt 12 Tage Urlaub. Nach Ablauf dieser Tage wurde ich mit 30 meiner Kameraden zur 3.Batterie des 237 Regiment schwerer Artillerie welches in Milowitz bei Prag geformt wurde, zugeteilt. Eine Woche später wurde unser Regiment auf die Halbinsel Istria zur Stellungnahme verwiesen, um die schöne blaue Adria (Adriatisches Meer) zu schützen. März 1945 wurden wir an die jugoslawische Front geschickt, die jedoch schon im Zerfallen war. Am 6. Mai 1945 unterschrieb unser Korpskommandeur die bedingungslose Kapitulation seiner Einheit. Wir gerieten in Gefangenschaft, in welcher polnisch sprechende Kriegsgefangene, von den übrigen abgesondert, und in ein Lager nach Zemonie, einem Stadtteil von Belgrad gebracht wurden. Mit 9 anderen meiner Schicksalskameraden meldeten wir uns zur Arbeit im Zentralkrankenhaus für Partisanen in Belgrad. Dort wurde ich als Autohilfsmechaniker in einer Garage eingestellt. Ich hatte vier Personenkraftwagen unter meiner Obhut zu warten. In meiner Freizeit beschäftigte ich mich wieder mit dem Zeichnen, was natürlich die Aufmerksamkeit der Jugoslawen erregte, denn zwischen ihnen gab es auch gebildete Menschen, welche Ahnung von Kunst hatten. Ein Chauffeur des Spitalkommandanten, der meine Zeichnungen sah, fragte mich ob ich die Aufgabe, lebensgroße Porträts von Stalin und Tito zu zeichnen übernehmen würde. Das waren zu jener Zeit in Jugoslawien die größten Helden und daher in aller Munde. Ich erklärte mich natürliche bereit dazu, und nachdem er mir die Bilder in Größe von Postkarten der beiden Helden brachte, begann ich sogleich ihre Porträts in Lebensgröße an eine Wand eines Krankenhauses zu malen. Nachdem das Werk vollendet war, brachte er mir auf einem Stück Papier in den russischen Schriftzeichen „Es lebe Marschall Stalin - es lebe Marschall Tito - Es lebe die Rote Armee - Es lebe die jugoslawische Armee. Diese Worte brachte ich auch unter den Bildern an - und die Freude der Jugoslawen war groß. Nach ein paar Tagen betrat eine große Anzahl von jugoslawischen Offizieren das Krankenhaus. Die beiden Porträts fielen ihnen gleich ins Auge, und große Begeisterung machte sich unter ihnen bemerkbar. Die Frage nach dem Maler wurde natürlich laut und bald wurde ich vor sie gebeten. Meine Erscheinung erregte große Verwunderung, denn alle sahen, daß ich deutscher Kriegsgefangener war. Ein Oberst der Armee trat an mich heran, und fragte in gutem Deutsch, wo ich das Malen gelernt habe. Um mein Ansehen zu bewahren, antwortete ich, in München, was eine bewußte Lüge war. München bedeutet für die deutsche Malerei das, was für Italien Florenz darstellt und davon wußte der Oberst als gebildeter Mensch auch. Er stellte an mich noch einige Fragen persönlicher Art. Als er erfuhr, daß ich aus Oberschlesien stamme, fragte er mich erstaunt, warum ich die verhaßte deutsche Uniform trage. In der Geschichte schien jener Oberst nicht ganz zu Hause zu sein, und ihm das zu erklären, fehlte die Zeit. Seit diesem Augenblick hob sich mein Ansehen in dem Krankenhaus ungemein hoch. Im großen Saal des Krankenhauses stand ein Steindenkmal - Mutter eines sterbenden Partisanen. Dieses Werk machte so großen Eindruck auf mich daß ich es noch bis heute vor meinem geistigen Auge sehe. Mitte August erhielt ich den Befehl ins Lager zurückzukehren, und das bedeutete Entlassung aus der Gefangenschaft, und Rückkehr zu Muttern. Am 17 August 1945 wurden alle aus diesem Lager entlassene Kriegsgefangene, unter welchen ich mich natürlich auch befand, mit einer Fähre über die Donau verfrachtet, wo am anderen Ufer des Stromes schon der Zug stand, der uns nach Hause bringen sollte. Es waren zwar Güterwagen, in welche wir verfrachtet wurden, das trübte aber unsere Freude nicht. Es waren Warenzüge, die bei der Rückfahrt Kohle aus Oberschlesien mitnahmen. Nach 10 Tagen abenteuerlicher Fahrt gelangten wir in Sanok an, einer Kleinstadt in Südpolen. Diese Stadt liegt an einem Fluß gleichen Namens. Dort wurden alle Kriegsheimkehrer mit den nötigen Dokumenten versehen, wobei ein jeder für 3 Tage Proviant und eine Fahrkarte in seinen Heimatort erhielt. Von diesem Augenblick war ich ein freier Mann. Das Gefühl der Freiheit war überwältigend. Ich machte einen Spaziergang am Ufer des Flußes und genoß in vollen Zügen die Freiheit. Ehe ich mich versah, befand ich mich außerhalb der Stadt. Diese Gelegenheit nutzend, entledigte ich mich meiner Kleidung und sprang in den Fluß, um wieder die Freiheit mit voller Brust zu genießen. Das Wasser war schon ziemlich kalt, denn der Monat August neigte sich seinem Ende zu. In den Mittagstunden des nächsten Tages war ich wieder daheim. Der Empfang war gerade nicht der beste, denn in Tichau und Umgebung herrschte nach dem Russeneinmarsch Hoffnungslosigkeit, Unsicherheit und schlechte Aussichten für die Zukunft. Hunger, Not und Elend gab es an allen Ecken und Enden der Stadt. Nur der Schwarzhandel stand in voller Blüte. Ich war so erschöpft, daß ich nach meiner Ankunft sogleich in die Federn kroch, wobei ich mir vornahm, das Bett für eine Woche nicht zu verlassen. Nach 2 Tagen aber hatte ich schon genug davon. Ich war 19 Jahre alt und hatte in meinem bisherigen Leben nur trübe Erfahrungen gemacht. Ich beschloß, ein neues Leben anzufangen doch die damals herrschenden Umstände waren dazu nicht geeignet. Ich wollte Kunstmaler werden, denn dazu fühlte ich mich berufen. Es war mir aber klar, daß mir in dieser Hinsicht noch viel fehlte und ich daher unbedingt ein Studium aufsuchen mußte. Von der ersten Klasse im Gymnasium wollte ich nicht anfangen, denn dazu fühlte ich mich zu gut, und um in eine Kunstakademie einzusteigen, mußte ich ein Examen bestehen. Die nächste Prüfung stand aber erst in einem knappen Jahr bevor - und die Zeit drängte. Außerdem mußte ich einen Erwerb für den Lebensunterhalt suchen, und zwar sogleich. Ich hatte einen Schwager, der den Beruf eines Wohnungsmalers ausübte und immer volle Hände Arbeit hatte. Mit ihm setzte ich mich in Verbindung, und erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß er zur Zeit mit dem Malen eines Restaurants auf der ul. Kozielska in Kattowitz beschäftigt war. Der Eigentümer dieses Lokales aber wollte einige der Wände mit Kunstmalerei ausgestattet versehen und suchte dafür den geeigneten Mann. Mein Schwager machte mich mit ihm bekannt, und als jener meine Projekte und Entwürfe für jene Malerei sah, gab er sofort seine Zustimmung. Ich fing sogleich mit meiner Arbeit an, und nach Verlauf einer Woche konnten viele Menschen mein Werk bestaunen. Der Lokalbesitzer war begeistert, und fragte sogleich nach dem Preis für meine Arbeit. Der Wahrheit gemäß antwortete ich ihm, daß ich erst vor 2 Wochen aus dem Ausland heimgekehrt sei, mich den hiesigen Umständen erst anpassen müsse, und daher keine Ahnung habe, wieviel meine Bemühungen wert seien. Daraufhin drückte mir der Lokalbesitzer ohne ein Wort zu sagen 10000 zloty in die Hand - eine für die damalige Zeit sehr große Summe, welche ich auch nicht erwartet hatte. Die Überraschung war groß, wenn man bedenkt, daß der Durchschnittslohn in der Industrie für einen Arbeiter ungefähr 600 zloty betrug. Der Anfang war damit gemacht, und nun sah ich mich nach neuen Aufgaben um. Ich malte Plakate, Ladenschilder, Transparente, und alles was ich in die Hände bekam, wobei ich unaufhörlich eine Schule suchte, in welcher ich mein Können verbessern konnte. Mit dem Anfang des Jahres 1946 fand ich eine dafür geeignete Schule, und zwar in Bielitz. Es war die Staatliche Schule für Malerei, Bildhauerei und Grafik, die der Kulturabteilung des hiesigen Kreisamtes unterstellt war. Dort sprach ich natürlich sogleich vor, zeigte ein paar meiner Zeichnungen dem Abteilungsleiter und wurde sofort ohne viel Federlesen aufgenommen. Die Lehrzeit in jener Schule betrug 3 Jahre, wobei die Kunstmalerei, Bildhauerei und Grafik von Grund auf gelehrt wurden. Dazu hatte ich keine Zeit, denn mein Wissensdrang in diesen Richtungen war größer, und ich beschloß daher eine höhere Schule aufzusuchen. Die Lehrer in der Grundschule geben sich die größte Mühe ihren Schülern die Erfahrungen beizubringen, welche sie selbst besaßen, und scheuten weder Zeit noch Geld, aus uns künftige Rembrandts oder Van Goghs zu machen. Ich ließ mich in derselben Stadt in ein technisches Gymnasium der Künste versetzen in dem ein beschleunigter Lehrgang stattfand. Dort bestand die Möglichkeit, sich binnen 4 Monaten das Können und Wissen eines ganzen Jahres anzueignen. Ich zögerte nicht sogleich in dieses Gymnasium einzutreten, mußte aber nach einigen Monaten die traurige Erfahrung machen, daß schnell angeeignetes Wissen keinen großen Wert darstelle, und auf das künstlerische Wesen eines jeden Artisten keinen Einfluß ausübte. In dieser Bildungsschule für Bildhauerei und Grafik befand sich ein ausgezeichneter Lehrer der Bildhauerkunst und Kunstgeschichte. Es war der weit und breit bekannte Professor Edward Piwowarski, ein außerordentlicher Menschenkenner und Humanist. Er vermied wo er es nur konnte, seine Schüler zu rügen und hatte immer gute Worte und ein angenehmes Lächeln auf den Lippen. Von ihm strahlte ein Optimismus aus, der auf seine Umgebung ansteckend wirkte. Er hatte sich besonders meiner angenommen. Oft sah er meinen Arbeiten zu, erteilte gute Ratschläge, wie die Formen zu kneten seien und dergleichen. Eines Tages kam er an mich heran, sah mir tief in die Augen und sagte: „August, Du bist ein geborener Bildhauer, doch wenn Du es mit Michelangelo aufnehmen willst, so mußt Du unbedingt in die Kunstakademie in Krakau eintreten und natürlich auch beenden. Trachte danach in die Klasse des Xaver Dunikowski einzusteigen, der kann Dich noch etwas lehren, denn ich kann Dir nichts mehr beibringen, ich bin schon am Ende meiner Weisheit angelangt. Diese Worte merkte ich mir sehr gut. Sie spornten mich zu größerem Eifer an und im Juli 1948 beendete ich die Kunstschule mit Auszeichnung. Nun hatte ich nichts anderes zu tun, als in Krakau auf der Kunstakademie die erforderlichen Dokumente abzuliefern und auf die Aufnahmeprüfung zu warten. Diese bestand ich auch ohne Weiteres und wurde sogleich in die Klasse des besten Bildhauers in Polen zu jener Zeit, Xaver Dunikowski, aufgenommen. Der Wunsch meines Lehrers Edward Piwowarski und mein eigener Traum waren damit in Erfüllung gegangen. 5 Jahre lang studierte ich und arbeitete hart in der Krakauer Kunstakademie. Es war eine Zeit der Entbehrungen, jedoch voller Tatenkraft, Opferungsbereitschaft, Lehre und Hingabe für die Kunst. Während meiner Studienzeit in der Krakauer Kunstakademie fiel mir ein Buch in die Hand, welches auf der Stelle meine Aufmerksamkeit erregte. Der Titel dieses Buches lautet: „Tichau - geschichtliche Monographie”. Ein Abschnitt dieses Buches war dem großen Tichauer Bildhauer August Kiss gewidmet, der im Jahre 1839 ganze 200 Taler, für jene Zeit eine beträchtliche Summe, der Volksschule in Paprotzan bei Tichau für den Ankauf von Büchern und anderem Schulmaterial stiftete. Auf diese Weise erwies August Kiss seine Dankbarkeit für das unbeschwerte Leben in seiner Jugend, welche er in Paprotzan verbrachte und dort auch die Volksschule besuchte. Als August Kiss, als berühmter Bildhauer bekannt, eine Ausstellung seiner Werke in Berlin veranstaltete, überwies er den ganzen Erlös den „ armen und hilfsbedürftigen Kindern in Paprotzan.” Diese Information veranlaßte mich etwas Genaueres über meinen Namensvetter und Vorgänger in der Bildhauerei in Erfahrung zu bringen, da ich doch auch heute in Paprotzan zu Hause bin. August Kiss kam im Jahre 1802 in Paprotzan zur Welt und zwar im Hause seines Vaters, des Stahlhüttenmeisters Georg Kiss. Dieser erschien Anfang der 90er Jahre des 18. Jahrhunderts in Oberschlesien aus Thüringen Land, von wo er einem Aufruf des Grafen von Reden folgend, an dem Aufbau der oberschlesischen Industrie teilzunehmen wollte. Schon in der Kinderzeit zeigte August Kiss eine außerordentliche Begabung zur Malerei, worauf sein Vater beschloß, das Talent seines Kindes zu fördern. Nach der Beendigung der Dorfschule in Paprotzan schickte er ihn zur weiteren Lehre nach Gleiwitz, um im dortigen Gymnasium die Begabungen des Kindes weiter zu entfalten. Es war die Zeit, in der Gleiwitz und Umgebung die zu Preußen gehörte, einen gewaltigen industriellen Aufschwung nahm. Wohnhäuser, Straßen und Brücken wurden gebaut und gaben Gleiwitz ein städtisches Aussehen. Als August Kiss sein 20. Lebensjahr beendete, begab er sich nach Berlin um in der dortigen Kunstakademie Bildhauerei zu erlernen. Die Berliner Kunstakademie war dafür in ganz Europa bekannt. Nachdem August Kiss im Jahre 1827 diese Akademie mit Auszeichnung verließ, begann für ihn eine Zeit fröhlichen und ergiebigen Schaffens. In verhältnismäßig kurzer Zeit waren seine Denkmäler und Standbilder in vielen Städten Deutschlands zu sehen. Z. B. ein drei Meter hohes Denkmal vor dem Alten Museum zu Berlin - „Amazone auf dem Pferd.” An Aufträgen fehlte es ihm nie. Ich persönlich befand mich in einer anderen Lage. Nach Beendigung der Krakauer Kunstakademie sah ich mich gezwungen nach Tichau zurückzukehren. Tichau, welches in der Mitte der 50-er Jahre unseres Jahrhunderts auch einen gewaltigen Aufschwung nahm, hatte den von mir erwartenden Sinn für Kunst und Schönheit im Bauwesen nicht. Ich erhielt zwar einige Aufträge für Denkmäler und Standbilder, sie reichten aber bei weitem nicht aus, um mein Talent in der Bildhauerkunst weiter zu entfalten. Ich war immer auf eigene Initiative und Rechnung angewiesen. Abgesehen davon freue ich mich im Leben und in Werken meines Namensvetters und Bildhauers vor über 130 Jahren viel Ähnliches in meiner Tätigkeit auf demselben Gebiet zu entdecken. Das 6. Diplomjahr war voller innerer Zerrissenheit, Vollendung meines Studiums und der unerschütterliche Wille, so gut wie möglich abzuschneiden. Das gelang mir auch, denn dort wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Die Krakauer Kunstakademie, Abteilung Bildhauerei, beendete ich mit Auszeichnung im Jahre 1954 und gleich darauf erhielt ich den ersten Auftrag. Ich meißelte aus Stein eine 3 Meter hohe Figur, welche einen siegreichen polnischen Soldaten darstellte, sowie ein Relief in der Größe von 3 x 2,20 Meter. Außerdem fertigte ich aus reinem Silberblech einen Rahmen, welcher für ein Muttergottesbild bestimmt war. Diese Aufträge beendete ich in der Werkstatt eines mir bekannten Bildhauers in Krakau und lieferte meine Arbeiten an den Auftraggeber aus. Ich erhielt noch eine Reihe von anderen Aufträgen, welche der damals entsprechenden Zeit und Ideologie Propagandazwecke hatten. Andere Aufträge gab es nicht. Doch die Zeiten änderten sich, und vom Oktober 1956 fing in Polen eine neue Zeit an, die mit dem bisher herrschenden Stalinismus nichts mehr zu tun hatte. Tichau war im Aufbau begriffen. Tatsächlich wurde eine neue, riesengroße Siedlung gebaut, die der Stadt eine neue Prägung gaben. Ich hatte die Hoffnung, bei dieser Gelegenheit neue Aufträge zu erhalten, und damit an dem Neubau mitzuwirken. Der Hauptplaner der neuen Siedlung war Professor Toddorowski. Tatsächlich gab er mir den Auftrag, an der Wand eines Hauses ein Relief anzubringen, und eine lebensgroße Figur eines Sportlers herzustellen. Außerdem fertigte ich ein Projekt „Junge mit den Gänsen” aus, welches für eine Fontäne bestimmt war. August
Dyrda bei der Arbeit am Modell aus Ton - Das war alles. Ich erhoffte neue Aufträge zu erhalten, doch diese blieben aus. Die sozialistischen Behörden und Architekten der Neustadt Tichau hatten keinen Sinn für Schönheit, Kunst und neuzeitlichem Aufbau. Gemäß der sozialistischen Ideologie war der Staat dazu verpflichtet Kulturträgern, Artisten aller Art unter jenen auch Bildhauern, weitgehende Hilfe und Unterstützung zu erteilen. Ich wandte mich somit an die Stadtverwaltung mit der Bitte, mir ein geeignetes Lokal für meine Bildhauerwerkstatt zuzuweisen. Es galt aber vorher viele Schwierigkeiten und Hindernisse zu überwinden, wobei mir die Tageszeitung „Trybuna Ludu” in Warschau mit großer Aufmerksamkeit und Wohlwollen Hilfe erteilte. Endlich erhielt ich ein Lokal in einem Mietshaus zugewiesen, in welchem ich eine provisorische Werkstatt für Bildhauerei einrichtete. Da dieser Raum meinen Erwartungen nicht entsprach, beschloß ich einen Bauplatz zu kaufen, um darauf ein Wohnhaus mit einer Werkstatt aufzubauen. Mir gelang schon im Jahre 1963 das Wohnhaus mit der Werkstatt fertigzustellen, und so konnte ich mitsamt meiner Familie einziehen. Über den Verbleib von Aufträgen konnte ich nicht klagen und hatte bald alle Hände voll zu tun. Ich schuf in verhältnismäßig kurzer Zeit ungefähr 30 Standbilder, teils aus Stein gehauen oder in Bronze gegossen, eine Anzahl von Denkmälern und Gedenktafeln. Meine Werke sind in vielen schlesischen Städten zu sehen wie Kattowitz, Ruda, Chorzów, Beuthen O/S, Gleiwitz, Bielitz, Zabrze, Auschwitz, Ratibor, Bendzin, Kalisz und Liegnitz. Sogar aus der ehemalgen DDR erhielt ich Aufträge. Ein Standbild aus meiner Hand ist in Halle-Neustadt zu sehen. Im Jahre 1951 heiratete ich meine Jugendliebe - die damals 19-jährige Miroslawa. 10 Jahre nach der Hochzeit kam der erste Nachkomme zur Welt, Adam. Er studierte Medizin und ist heute ein bekannter und gern aufgesuchter Gynäkologe. Mein zweiter Sohn, Darius kam 3 Jahre später zur Welt und ist heute Journalist. Seine Spezialität sind Reportagen auf allen möglichen und unmöglichen Gebieten. Hier muß hervorgehoben werden, daß ich in meinem Leben meiner Frau viel zu verdanken habe. Wir haben in einer Zeit geheiratet, in welcher ich in Krakau studierte. Ohne ihre materielle Hilfe hätte ich mein Studium in der Kunstakademie wohl nicht beendet. Als gelernte Fotografin hatte meine Frau ein gutes Einkommen, welches mir in meinem Beruf als Bildhauer Freiheit und Unabhängigkeit gewährte. Ich hatte die Möglichkeit, nicht alles anzunehmen was mir angeboten wurde, sondern nur jene Aufträge, die meinem Künstlerwesen entsprachen. Außerdem war sie mir eine große Hilfe im Kampfe mit bestechlichen Behörden, mit gewissenslosen Beamten, die für die Erteilung von Aufträgen Schmiergelder verlangten. Es ist traurig genug, heute diese Feststellung machen zu müssen, daß in einer Zeit, in welcher in Polen alles verstaatlicht war, jede Art von Artisten, vor allen Dingen Kunstmaler und Bildhauer, auf eigene Initiative und Rechnung angewiesen waren. Der Staat, der hier verfassungsgemäß zur Hilfe und Unterstützung verpflichtet war, erteilte sie jedoch nur in sehr geringem Ausmaße. In diesem Abschnitt meines Lebenslaufes beschreibe ich nur die Umstände welche mich veranlaßt hatten Bildhauer zu werden. In meiner Jugendzeit hatte ich andere Träume und Absichten. Doch den Lebensweg, den ich eingeschlagen habe, und der vor allen Dingen mit meinem Berufsleben verbunden ist, bereue ich heute nicht. Ich kann heute mit Freude und Genugtuung auf eine Reihe guter Taten zurückblicken. Meine Werke in Stein gehauen, oder Bronze gegossen, werden noch in einer Zeit, wenn ich schon nicht mehr sein werde, gutes Zeugnis von mir ablegen. August Dyrda
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