Silesia
Superior 4 / 10.2002
Heinrich Sporon
Das Schicksal polnischer Offiziere während des Krieges im Westen und Osten
Die Idee entstand nach dem Lesen der Bücher von Jacek Trznadel:
„ Die Rückkehr der erschossenen Armee“ und „Katyn, ob du aus der Asche auferstehst?“
Beide Bücher sind empfehlenswert. Es waren selbstverständlich nicht die ersten Bücher über Katyn, mit denen ich in
Berührung kam. Vor über zehn Jahren lass ich von Josef Mackiewicz:
„Katyn – ungesühntes Verbrechen“, und „Verbrechen in Katyn im Licht der Dokumente“,
mit dem Vorwort von Wladyslaw Anders und ein weiteres Buch von Adam Moszynski: „Die Katyn Liste – Gefangene des
Kozielsk-Ostaszkow-Starobielsk Lagers, die in der Sowjetunion verschollen sind“.
In der Zeit, wo die Herausgabe solcher Bücher verboten war, schrieb Jacek Trznadel: Katyn war ein mysteriöses
Verbrechen. Für eine Äußerung, dass Katyn ein Verbrechen der Sowjetunion war, konnte man verhaftet werden. (S. 12:
„Rückkehr der erschossenen Armee“)
Im 19. Kapitel dieses Buches, gibt der Autor, ein Beispiel für solch ein Urteil:
(...) Ich bin im Besitz eines Gerichtsurteils infolge gemeiner Denunziation durch Studenten der Filmschule in Lodz (...)
In der Urteilssentenz steht:
Angeklagte Zofia Dwornik ist schuldig, dass Sie im Jahr 1950 in Lodz falsche Aussagen über das Verbrechen in Katyn und
über den Angriff der Sowjetunion auf Polen im Jahr 1939 verbreitet hat (...) sie wird für ein Jahr Gefängnis verurteilt. (...)
Der Autor nennt auch vier Zeugennamen, die sie beschuldigt haben.
Am 25. Mai 1993 wurde Zofia Dwornik nach dem Urteil der Höchsten Gerichtsinstanz in Polen für unschuldig erklärt. In
der Begründung des Urteils steht u.a.:
Die damaligen Aussagen von Z. Dwornik waren übereinstimmend mit der geschichtlichen Wahrheit, und ihre emotionale
Beziehung zum Verbrechen in Katyn ergab sich aus dem Verlust ihres Vaters auf dem Territorium der ehem. UdSSR während des Krieges.
Katyn ist ein Symbol aller Opfer des kommunistischen Terrors in allen Gefangenschaftslagern der UdSSR.
Am 05. März 1940 befahlen Stalin, Molotow, Woroszylow, Kaganowicz, Kalinin und Mikojan, die Mitglieder des Politbüros
KPZR, die Erschießung 14700 polnischer Offiziere in den Gefangenschaftslagern Kozielsk, Ostaszkow und Starobielsk und 11000 Menschen in den
Gefängnissen der NKWD in West-Ukraine und Weißrussland (ehem. polnisches Territorium).
Heute weiß man nicht nur, dass die 4300 Gefangene im Lager Kozielsk erschossen wurden, sondern auch in Massengräbern im
Wald von Katyn begraben wurden. Die 3900 Gefangene aus Starobielsk erschoss man in Charkow und die 6500 Gefangene aus dem Lager Ostaszkow
ermordete man in Twerz und begrab sie in Miednoje. Die Gräber der 11000 NKWD-Gefangenen sind in Ukraine und Weißrussland verstreut.
Hier noch ein paar andere Beispiele über das Schicksal polnischer Offiziere in der UdSSR aus dem Buch: „Katyn,
ob du aus der Asche auferstehst?“. In diesen Beispielen geht es um den Transport der Offiziere aus Kozielsk nach Katyn, d.h. dem
Ort der Hinrichtung:
„Ab dem Moment, wo sie die gut versteckte Nachricht im Wagon fanden: Wir steigen nach Smolensk aus –
sprachen sie nur noch davon. Jan saß und hörte zu (...) Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf, aber er beachtete ihn nicht (...) Jemand
der auf dem Boden saß, sagte: „Vielleicht eine zusätzliche Karantene einige Tage vor Bug? Wie die Schlachttiere!“ Auf einmal
war es still, keiner wusste warum. Jan schoss der vorherige Gedanke wieder durch den Kopf, aber diesmal deutlicher und er sagte gleichgültig:
„Vielleicht Schlachttiere?“ Hielt seine Hand an den Kopf als hätte er eine Pistole. „Bist du durchgeknallt?“ Er
wusste nicht wer das sagte. Oberst erwiderte: „Leutnant, wären wir nicht hinter Gittern, würde ich sie für eine Woche Gefängnis
verurteilen (...). „Ich dachte, dass das ein gesellschaftliches Gespräch ist und nicht eine Lagebesprechung“, mischte sich ein
anderer Oberst ein. „Beruhigt euch Kollegen! Russen haben diplomatische Beziehungen mit der ganzen Welt. Alle wissen von uns
(...).“
Die Seitentür des Saals quietschte. Ein NKWD-Beamte hielt seine Hand auf der offenen Pistolentasche... „Einzeln
hereinkommen!“...
Jan stand auf (...) Hinter der Tür stand noch ein NKWD-Mitglied ... Großes Zimmer... Auf der Wand rote Fahnen, zwischen
ihnen Lenin aus Gips, großes Stalin-Portrait... hinter dem Tisch zwei NKWD-Beamte; Pistolen in den offenen Pistolentaschen. Noch zwei am
Fenster...er hatte keine Zeit um sie genauer anzuschauen, weil schon der hinter dem Tisch ihn nach seinen Namen fragte, suchte, prüfte,
hackte ab.
„Durchsuchen!“
Die Durchsuchung war brutal. Der Inhalt der Hosentaschen, Geldbeutel,... weggenommen, rissen ihm die Armbanduhr ab,
nahmen den Hauptgurt ... führten ihn in das Nachbarzimmer. Dort waren fünf oder sechs Beamte. Zwei packten ihn unter die Arme, plötzlich
spürte er wie ihm seine Hände jemand hinter dem Rücken fest fesselte bis zum Schmerz. Und schon führten sie ihn schnell ab. Hof ...
Krankenwagen mit laufendem Motor. Er schrie: „Wohin!?“, aber der Soldat reagierte nicht ..., das Auto fuhr schon los... das Auto
blieb stehen. Gleich neben den dünnen Türen laute Schritte, zogen jemanden, ... Ein Schrei: „Was ist? Neeein!“ Dann in
russischer Sprache: „Bleib stehen!“ Und gleich danach ein Schuss. Also schon? Jetzt? (...)
Fast von den Treppen des Autos runtergestoßen, sah in einem kurzen Augenblick NKWD-Soldaten in Uniformen, Wald. Gefällte
Kiefern, Loch. Neben dem Loch lag jemand in polnischer Uniform ... er spürte nur, wie zwei Soldaten ihn in diese Richtung führten, schon
auf der Seite stand ein Soldat mit Pistole... Nun stemmte er die Beine in die Erde, gezwungener Schritt, erster, zweiter und plötzlich hörte
er ein Schrei von hinten: „Halt!“
Man weiß nicht, ob er den Schuss hörte oder nur noch Dunkelheit sah.
Im Jahr 1950 arbeitete ich als junger Lehrer im Gymnasium in Kattowitz. Direktor dieses Gymnasiums war ein erfahrener Pädagoge,
Herr Wladyniak. Eins Tages, bei einem privaten Gespräch, erzählte er mir voller Freude: (...) „Ich habe heute meine Diplomarbeit aus
der Schweiz, die ich während des Krieges geschrieben habe, erhalten.“ Überrascht fragte ich: „Waren Sie während des Krieges
in der Schweiz?“ Er antwortete: „Wo denken Sie hin, ich habe sie in einem deutschen Oflag, indem sie uns, polnische Offiziere
der Vorkriegsarmee den ganzen Krieg lang gefangen hielten, geschrieben. Zur körperlichen Arbeit durften wir nicht gezwungen werden, weil
dies die Genfer Konvention verbat, deshalb schulten wir uns.
Im Kopf fand es keinen Platz, weil wir, als junge Absolventen der polnischen Schulen was ganz anderes über die deutschen
Zwangslager gehört und gelesen haben. Man sagte damals deutsche Zwangslager und nicht Hitlerlager, damit verurteilte man das ganze deutsche
Volk. Ich hatte aber gar keinen Grund dem Direktor nicht zu glauben, da er mir auch noch seine Diplomarbeit zeigte, die über handwerkliche
Arbeiten in den Volksschulen handelte und mit dem Stempel des Int. Roten Kreuzes der Schweiz versehen war. Alle Diplom- und
wissenschaftlichen Arbeiten aus den Offiezierslagern, die vor dem Verlust geschützt werden sollten, wurden in die Schweiz gesendet. Nach
diesem Gespräch hörte ich jahrelang nichts mehr darüber.
Erst wieder vor einigen Jahren trat ich auf eine sehr interessante Information, die ich mir erlaube ganz zu zitieren. Im
Buch „Verheimlichte Dokumente“, Band 2, aus dem Jahr 1985, des Autors Dr. Bernard Steidle, auf der Seite 28, der
Forschungsstelle Ingolstadt – Forschungsinstitut der gegenwärtigen Geschichte, steht:
In der Tat bestätigte das Dokumentationsabteil des Int. Roten Kreuzes in Genf die Informationen polnischer
Korrespondenten und stellte uns alle Dokumente die uns einen Einblick in das intellektuelle Leben der Offizierslager ermöglichte, zur Verfügung.
Nach diesen Dokumenten besitzt jeder dieser 12 Offizierslager für polnische Gefangene in Deutschland eine Bibliothek mit 1150 bis 25000 Bücher
und die meisten noch eine Lager-Universität.
In den Akten des Int. Roten Kreuzes über Oflag II C Woldenburg steht:
(...) in diesem Lager, wo 6000 polnische Offiziere in den Jahren 1942 bis 1945 gefangen waren, gab es eine Bibliothek die
sich von 10000 auf 23000 Bücher erweiterte. Dort gab es auch eine Universität mit sechs Vorlesungsräumen und einen Forschungsraum. Dies
ermöglichte den Gefangenen verschiedene Studienrichtungen und Fremdsprachenkurse zu belegen.
Über Oflag VII A-Murnau steht in den Genfer Akten des Int. Roten Kreuzes:
(...) bis zum Jahr 1945 waren dort ca. 4000 polnische Offiziere und eine Bibliothek mit 25000 Büchern. Seine Universität
bot viele verschiedenen Lesungen und funktionierte reibungslos. Das intellektuelle Leben war außergewöhnlich lebendig.
Über die Studienmöglichkeiten in Oflag Dössel schrieb Dr. Schickel:
In diesem Lager hielt aktiv ein Kreis aus Juristen und Volkswirtschaftern Lesungen über das Recht, somit konnten die
Gefangenen ihr Studium fortführen. Einer der führenden Referenten war Prof. Dr. Jan Wasilkowski, späterer Rektor der Warschauer Universität
(...) Zu dem Kreis der Referenten gehörten u.a. Major Dr. Jan Kaluski und Oberleutnant Mgr. Adam Rapacki, späterer Außenminister in PRL,
der die Idee eines sozialistischen Polens seinen Kameraden in der Gefangenschaft vorstellte. Außerdem fanden dort Gottesdienste statt und
es wurden Zeitungen in polnischer Sprache herausgegeben.
In der Chronik von Murnau, unter einem Foto, auf dem man deutsche Offiziere, Wehrmachtsbeamte und polnische Generäle
sieht, steht:
Der größte Teil der Gefangenen gehört der polnischen Elite an. Unter ihnen sind viele Persönlichkeiten der
Oberschicht; Wissenschaftler, Künstler und viele Besitzer von Ländereien. Damit man die lange Gefangenschaft ertragen konnte, widmeten sie
ihre Zeit dem Studium, Sprachkursen, dem Sport, organisierten Theateraufführungen und Konzerte.
Selbstverständlich zählten zur Elite auch Pädagogen, Ärzte, Rechtsanwälte usw.
Ähnlich war auch die Zusammensetzung der Gefangenen in den Offizierslagern in UdSSR, Kozielsk, Ostaszkow und Starobielsk
– Elite polnischen Volkes.
Treffend beschrieb das im Jahr 1952 mein Jugendfreund und Historiker Zygmunt Mankowski: dort saß und starb die Blume
des polnischen Volkes.
Stalin und seine Anhänger wussten es ganz genau und deshalb unterschrieben sie den mörderischen Befehl vom 05.März
1940. Diese Elite war für sie zu gefährlich, sie konnte nämlich ein großes Hindernis bei der Unterordnung Polens sein, deshalb wurde sie
eliminiert.
Prolog
Es taucht eine Frage auf: Ist jemand für das Verbrechen aller Taten zur Verantwortung gezogen oder verurteilt worden?
Jacek Trznadel schrieb im Buch „Die Rückkehr der erschossenen Armee“ auf Seite 94, dass das russische
Untersuchungsverfahren in der Sache Katyn niemals und niemanden angeklagt hat.
Das ist wahr. Er meint aber das Untersuchungsverfahren der 90iger Jahre. Damals aber, als man der ganzen Welt einreden
wollte, dass das Verbrechen in Katyn die Tat der Deutschen war, wurde ein anderes Verfahren geführt. Nach diesem Verfahren, Ende 1945,
wurden in UdSSR, in einem Schauprozess sieben deutsche Offiziere zum Tode verurteilt. Dies sind die Namen: Karl Hermann Strüffling,
Heinrich Remmlinger, Ernst Böhm, Eduard Sonnenfeld, Herbard Janike, Erwin Skotki und Ernst Geherer (Verheimlichte Dokumente, Band 2, Seite
290; Herausgeber: Dr. Bernhard Steidle). Bis jetzt aber hat sich keiner um die Rehabilitation der deutschen Offiziere bemüht.
Ein weiteres Fragment aus dem gleichen Buch, Seite 144, enthält eine Prophezeiung des Generals Tadeusz Kutrzeba –
berühmter Kämpfer des Jahres 1939:
(...) Wir kennen nämlich den Satz des Generals Kutrzeba, den er 1939 aussagte, dass wahrscheinlich die deutschen
Offizierslager Reservate der am Leben gebliebenen polnischen Intelligenz werden.
General Kutrzeba gelang in Gefangenschaft und verbrachte den ganzen Krieg im deutschen Oflag. Nach dem Krieg blieb er im
Exil und schrieb historische Bücher über den Krieg.
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