KONTAKT: post@SilesiaSuperior.com

 GÓRNY ¦L¡SK - OBERSCHLESIEN

 

Nr. 2 / 05.2002

Silesia Superior 2/05.2002

Renata Schumann

Gustav Freytag - besser als sein Ruf

Das Schaffen einiger ganz Großer der deutschen Kultur wird in den letzten Jahrzehnten mit Vorbehalten betrachtet, weil es von der Nazi-Propaganda vereinnahmt worden war.

Die Musik Richard Wagners und die Philosophie Friederich Nietsches sind die bekanntesten Beispiele dafür.

Mit fast völligem Vergessen mußte der, ebenfalls in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts wirkende, Schriftsteller Gustav Freytag für seine große Popularität in den dreißiger und vierziger Jahren zahlen.

Auch hier täte heute aufmerksames Hinsehen und objektives Reflektieren not, um Vorurteile abzubauen..

Gustav Freytag, aus Kreuzburg in Oberschlesien stammend, war in Breslau als Literatur professor tätig. Seine gut lesbaren Romane wie „Die Journalisten“, Soll und Haben“, „ Die Ahnen“ zeichnen sich durch einen klaren Stil und lebendige Charakterschilderung aus.

Sie entsprachen dem damaligen allgemeinen Zeitgeist, der nationales Bewußtsein und nationale Interessen bei allen Völkern Europas in den Vordergrund rückte. Nicht nur in Deutschland. Sehr stark war diese Tendenz besonders auch in der polnischen Literatur bemerkbar, die sich damals vehement für den Rückgewinn der staatlichen Existenz dieser Nation einsetzte.

Die vom patriotischen Geist durchdrungenen Werke des Schlesiers, der den tüchtigen Deutschen glorifizierte, fanden Anklang bei den Nationalsozialisten. Nach ihrem Untergang wandte man sich von Freytag ab. Man kritisierte besonders seine Darstellung einer jüdischen Familie und der Situation in Polen während des Januar- Aufstandes in „Soll und Haben“.

Wahr ist, daß in diesem das preußische Bürgertum glorifizierenden Roman, die jüdische Kaufmannsfamilie im Vergleich mit der deutschen Musterfamilie weniger gut abschneidet, wenngleich das Fremdsein der Juden einfühlsam geschildert wird. Doch wird auch eine herzliche Freundschaft zwischen Anton Wohlfahrt, der Hauptperson des Romans, und dem Juden Bernhard Ehrenthal ausführlich dargestellt.

In der DDR wurde der Roman ohne die Gestalt Itzigs, eines finsteren Juden, gedruckt. Aber dennoch - gedruckt, trotz Zensur.

Den Ruf eines Judenhassers verdient Gustav Freytag jedenfalls nicht. Er selbst widerlegte diese Unterstellung am klarsten. In seinem vier Jahre nach „Soll und Haben“ erschienenen voluminösen und bis heute beachtenswerten Werk „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“ beschreibt Freytag mit Abscheu die Judenverfolgungen im Mittelalter. Insbesondere einen Pogrom in Mainz, wo sich die Wut des Pöbels zuerst gegen die Juden richtete. Erzbischof Rothard gewährte den Bedrängten Geborgenheit in seinem festen Haus, doch das Gesindel unter einem übel beleumdeten Grafen stürmte das Haus und metzelte die jüdischen Familien nieder, soweit sich diese nicht durch Selbsttötung ihren Peiningern entzogen.

Freytag kommentiert: „...diese Judenverfolgungen wiederholten sich von da ab mit einer fürchterlicher Regelmäßigkeit fast jedesmal, wenn die Volksmenge durch geistlichen Eifer oder ein plötzliches Landesunglück aufgewühlt wurde. Durch Jahrhunderte waren diese Hetzen eine Schmach für unsere Nation, - noch heute regt sich der Drang danach, wo Zustände des Mittelalters in die Gegenwart dauern.“

So schreibt mit Sicherheit niemand, der die Judenverfolgungen, die im 20.Jahrhundert stattfanden, auch nur eine Sekunde lang akzeptiert hätte.

Ähnlich läßt sich auch Freytags angebliche Polenunfreundlichkeit wenn nicht widerlegen, dann zumindest relativieren.

Anton Wohlfahrt, die Hauptfigur des Romans „Soll und Haben“, begibt sich in das von einem Aufstand gegen das zaristische Russland befangene Kongreßpolen, um Wagen mit Waren vor dem Zugriff des Pöbels zu sichern. Er trifft hier zwar auf chaotische Verhältnisse und bedrohliche Gestalten, aber ein vornehmer Pole verhilft ihm zum Rückgewinn des Eigentums und gewährt ihm Geleit bis zur Grenze.

Im übrigen stimmt die Darstellung der vorbildlichen deutschen Kaufmannsfamilie bei Gustav Freytag in auffallender Weise mit der Beschreibung einer deutschen Kaufmannsfamilie in Warschau aus der gleichen Zeit überein, die der polnische Schriftsteller Boleslaw Prus in seinem Roman „Die Puppe“ zeichnet. Hier wie da werden die bürgerlichen Tugenden glorifiziert. Bei Boleslaw Prus wird dem begabten aber labilen Emporkömmling Wokulski, der seine Lebenschancen durch eine unglückliche Liebe verspielt, die tüchtige deutsche Kaufmannsfamilie gegenübergestellt. Ein interessantes Thema für vergleichende Studien, die mehr zum gegenseitigen Verständnis von Polen und Deutschen beitragen könnten als viele Wohlwollen bekundende Beteuerungen, die von historischer Wirklichkeit weit entfernt sind.

Auf jeden Fall ist festzustellen, daß die differenzierten und von einem humanistischen Geist getragenen literarischen Gestaltungen Gustav Freytags keinen Grund bieten, diesen Autor als Vordenker oder gar Wegbereizter des Nationalsozialismus zu bezeichnen.

Leider aber sind in seiner Heimat, in Schlesien, wo heute Polen leben, seine Bücher völlig unbekannt. Es gibt keine Übersetzungen seiner Werke ins Polnische. Es gibt nur Gerüchte über Freytag den Polenhasser. Dabei könnten seine Bücher auch heute aufschlußreich über die Probleme des Grenzlandes Schlesien in der Vergangenheit und Probleme zwischen Polen wirken

Mit Unkenntnis ist wohl auch zu erklären, daß sich heute in Kreuzburg lebende Polen der Anbringung einer Gedenktafel für Gustav Freytag an seinem Geburtshaus vehement widersetzt haben. Schade.