Irgendwann, irgendwo, und jetzt, vielleicht auch morgen...
Am Ende XIX Jh. war der Urgroßvater Josef S. den Inhaber des einzigen Kolonialwarenladens im Dorf
Tichau. Er verstand es auf hervorragende Weise mit einem breiten Messer, auf Wunsch der Kunden eine Schinkenwurst in
dünne Scheiben zu zerlegen. Da er während dieser Tätigkeit die Worte „ciach, ciach“ vor sich hinmurmelte,
wurde ihm von den Einwohnern Tichaus der Spitzname „Ciacher“ beigelegt. Er hatte zwei Söhne, Karl und
Josef. Als der letztere in den Ehestand trat, bekam er auch zwei Söhne, Johann und Josef. Im Jahre1982 verkauften die
beiden Onkel ein kleines Gelände, am Tichauer Bach gelegen, an die Brauerei in Tichau, wobei sie angaben, Erben des
„Ciachers“ zu sein und somit Eigentümer dieses Stückchens Erde. Dieses Gelände hatte um jene Zeit den
Wert eines kleinen Personenkraftwagens „Fiat-650“. In diesen sozialistischen Zeiten wurde oft mündlich
erledigt. Oft mal wurden falsche Urteile bzw. Entscheidungen getroffen. Wobei es nicht mir um das Geld ging, als viel
mehr, den Beweis zu erbringen, wer zur Familie dieses legendären „Ciachers“ gehörte. So wurde es die Karls
Familie ausgelassen. So wurden durch falsche mündliche Aussage der Onkel, die Familie von Karl übergangen.
Hat dieses kleine und unscheinbare Ereignis mit Schlesien zu tun? In gewisser Weise wohl, denn nach
den neuesten Hinweisen der Geschichtsforscher Schlesiens lässt sich diese Provinz ihr Dasein und die Geschichte auf
Grund vieler solcher kleinen Begebenheiten feststellen und nachweisen.
Professor Idzi Panic, Direktor des Institutes für Geschichte der Schlesischen Universität in
Kattowitz hebt in seinem Interview in einer Kattowitzer Zeitung hervor, dass im XII und XIII Jahrhundert die Goleschanen,
die den Süden Schlesiens bewohnten, sich mit den Opolanern vermischten. So einfach in der polnischen Weise hat das der
polnische Professor schlau interpretierte. Auf diese Weise entstand das Fürstentum von Ratibor-Oppeln, mit dem Piasten
Miesko, genannt Wickelbein an der Spitze.
Hier muss man erwähnen, dass sein Onkel, Casimir der Gerechte, gutmütig wie er war, dem
neuentstandenen Fürstentum, in welchem ungefähr 20 000 Menschen lebten, noch die Beuthener Erde mit Siewierz, und
Auschwitz mit Zator hinzufügte. Hier sei vermerkt, dass der Miesko mit seinem Bruder Boleslaus, Fürst von Breslau und
Liegnitz im Jahre 1163 den Süden Schlesiens bis an die Beskiden später als Oberschlesien bezeichnete, und so ist es
geblieben bis auf den heutigen Tag. Die drei letzte Städte wurden nach 200 Jahren von Schlesien nach Polen
zurückgegliedert.
Vater dieser beiden Piastenbrüder war Wladislaus II., der Vertriebene, der nach Brandenburg von
Casimir den Gerechten und anderen Onkel (Boleslaw Kedzierzawy, Mieszko III. Stary, und Henryk Sandomierski) verbannt
wurde, und dort noch 20. Jahre lang lebte – worüber Herr Professor den Lesern das nicht deutlicht gesagt hat.
Die lieben Onkel!
Nun möchte ich zu meinem Onkel Johann zurückkehren, der das Erbe seines Großvaters an das Tichauer
Brauhaus verkauft hatte. Wie es aus einem an mich gerichtetem Brief hervorgeht, hatte Onkel Johann die Absicht, für das
erworbene Geld die Gräber unserer Vorfahren in Tichau zu renovieren und in einem vorbildlichen Zustand zu erhalten. Ich
gab mich damit zufrieden und stimmte zu.
Dieses Versprechen aber hat mein Onkel nicht eingehalten. Als ich im vergangenem Jahr den
Maria-Magdalena Friedhof in Tichau aufsuchte und am Grabe meines Urgroßvaters, eben den „Ciachars“ stand,
sah ich zwar einen frischen Blumenstrauß, doch es war schon nicht mehr das Grab meiner Vorfahren. Ein neuer Grabstein
mit einem polnischen Namen, der auf ostpolnische Abstammung schließen ließ, stand an dieser Stelle. Solche
Entscheidung hat ohne uns, einen jungen Mann, mein Verwandter, getroffen, dessen spätere Schwiegervater nun in der
Gruft der Familie S. schon liegt. Unerfahrener, aber auch von der Tradition Schlesiens entfernt, handelte der junge Mann
anders als damals. Heute in den Westen ist überhaupt unmöglich, ein Familiengrab fremden abzugeben, wenn die Familie
noch lebt. War seine zukünftige Schwiegermutter aus dem s.g. „kleinem Vaterland“ so schlau, oder der
zukünftige Schwiegersohn von der Familie „Ciachas“, aus Schlesien so dumm?
„Schauen wir in die heimatliche Vergangenheit, aus der wir in die Zukunft sehen können:
Wer seine Herkunft vergisst,
hat seine Zukunft verspielt“
Das sind Worte von Joachim Kardinal Meisner, 1933 in Breslau geboren, heute Erzbischof von Köln“.
– (aus „Oberschlesien - anders“).
In ganz Europa gibt es wohl kein größeres Völkergemisch, wie es zur Zeit in Schlesien der Fall
ist. Erdausgrabungen haben ergeben, dass schon vor der Geburt Christi die Kelten auf schlesischer Erde daheim waren.
Jene aber wurden um die Zeitwende von germanischen
Stämmen, den Goten verdrängt. Während der großen Völkerwanderung im V. Jahrhundert verließen
die Germanen dieses ungastliche, nur aus Wäldern und Sümpfen bestehenden Land, sie zogen nach Westen und nach Süden.
Ungefähr 200 Jahre später besetzten die ersten Slawen, aus dem Osten kommend, dieses Land, welches
schon von den alten Römern als „Silesia“ bezeichnet wurde. Mit Feuer und Schwert eroberten sie dieses Land
und warfen jeglichen Widerstand von Seiten der einheimischen schon gemischten Bevölkerung, blutig nieder. Im Laufe der
späteren Jahre vermischten sie sich mit den Einheimischen, denn Liebe kennt keine Grenzen.
Zur Zeit Karls des Großen, also im VIII und IX Jahrhundert siedelten sich in Schlesien, aus dem
Westen kommend, die ersten Czechen an und verbreiteten römisch-westliche Kultur in diesem Land. Ihr Einfluss machte
sich im Bauwesen, Bodenanbau, Gesellschaftswesen und Landesverwaltung sehr stark bemerkbar. Kein Wunder, dass die
Czechen in späteren Jahrhunderten immer großen Anspruch, vor allen Dingen auf Oberschlesien, erhoben.
Der erste polnische Fürst Misko I., der „irgendwann und irgendwo“ geboren war, eroberte
in der zweiten Hälfte des X. Jahrhunderts (990) Schlesien. Er behauptete immer, dass Schlesien die reichste Provinz
seines Landes sei. Sein Sohn und Nachfolger, Boleslaus I. genannt „Chrobry“ interessierte sich mehr für den
Osten, weil er dort weniger auf Widerstand traf.
So viele „guten“ und „schlechten“ Onkel gab es in der Geschichte Schlesiens.
Sie kamen von verschiedenen Richtungen und breitete sich auch in verschiedenen Richtungen aus. Die Onkel führten
Schlesien gut oder schlecht, im Chaos oder Harmonie.
Die sozialistischen Machthaber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfälschten die
Geschichte Schlesiens auf eine noch nie da gewesene Art und Weise. Sie trachteten danach, alle Ereignisse und
Begebenheiten ihrer Ideologie anzupassen und verschwiegen gänzlich deutschen und tschechischen Einfluss in der
1000-jährigen Geschichte Schlesiens. So läuft es auch oft bis heute. In dieser Weise vermischten sich immer die
Einwohner Schlesiens mit anderen.
Hier muss nun auch hervorgehoben werden, dass während der großen Überschwemmung im Sommer 1997 in
Breslau, bei der Oder Überschwemmung, große Bestandteile historischer Dokumente und Akten, welche in den Kellerräumen
aufbewahrt wurden, für immer vernichtet wurden. Die polnischen Behörden sahen diesem Ereignis rat- und tatenlos zu und
unternahmen so gut wie nichts, jenes wertvolle Gut zu retten. Der polnische Staat, der heute immer auf der Geldsuche
ist, hätte diese geschichtliche Akten und Dokumente an den Amerikanern verkaufen können und dafür viel Geld erhalten.
So aber wurde nichts getan, und wertvolle historisches Gut ging auf diese Weise für immer verloren.
Dass die heute in Europa herrschende Literaturwissenschaft und Schreibweise ihre Wurzeln in
römischen Kulturraum hat, steht außer Zweifel. In einem vereinten Europa wird jedes Volk sein eigenes Wesen, seine
Spreche, Kultur und Überlieferungen bewahren zum Wohl der ganzen europäischen Völkergemeinschaft. Daher besteht heute
die Notwendigkeit, dass Gelehrte aus allen europäischen Ländern an einem gemeinsamen Tisch die Grundlagen und
Bedingungen einer derartigen Völkerstruktur feststellen und ins Leben rufen werden.
Das ist keine leichte Aufgabe, wenn man nur in Betracht zieht, dass alle Forderungen, verschiedene
Kultureigenschaften, Überlieferungen, Voraussetzungen, oft gegenseitige Feindschaften und materielles Niveau aller
europäischen Völker berücksichtigt werden müssen.
Ich freue mich auf ein vereintes Europa im Jahre 2004, wo auch Polen seinen, ihm gebührenden Platz
einnehmen wird.
In dieser Hinsicht spielt das von mir herausgegebenes Buch unter dem Titel „Oberschlesischen
anders“ in welchem sich unter anderen 120 Aquarelle des berühmten oberschlesischen
Kunstmalers Alfons Wieczorek befinden, eine gewisse Rolle. Dort kann man es auch lesen:
„Am 30 Mai 1945, also schon nach Kriegsende wurde eine junge Tichauerin, die zwei Sprachen gut
beherrschte, ohne jeden Grund rücksichtslos erschossen. Ihre Mutter, W.S. wurde total ruiniert und an den Rand der
Verzweiflung gebracht. Täter dieses grausamen Mordes war ein Knecht des neuen kommunistischen Regimes, der sich als
Machthaber fühlte und seine Pistole gegen wehrlose, unschuldige Frau „im Namen des Friedens“ gerichtet hat
– in einem schon freien Land.“
So wie die Namen des Vorfahren – die „Ciachas“ verschwunden sind, so es passierte
vor einem Jahr ähnlich. Der Name meiner Patentante Edeltraud F. ist mit dem Datum 31.5.1945 ähnlich verschwunden. Die
Beweiße des Unrechts sind langsam überall ausgerottet. So machen die „kleinen“ und „großen“
Onkel, alles gegen die schlesischen Identität.
Und so mahnte uns Joseph von Eichendorff in seinem Gedicht:
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäft´ge Welt:
Schlagt noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt.
J. von Eichendorff |
Na zewn±trz zawsze oszukany
obraca siê kupiecki ¶wiat.
Rozwiñ bezpieczny raz jeszcze ³uk piêkny
Wokó³ mnie, namiocie lesisty.
t³um:P.K.Sczepanek |
So vermischten sich immer die Einwohner Schlesiens mit anderen, oft nicht unseren zu Gunsten. So
verlieren wir immer unsere Identität, heute besonders, wenn das Leben uns mit vielen „Überraschungen“
trifft. Wenden wir uns noch ein Mal dem heiligen Nepomuk zu, der uns vor den Bösen stützte - gestern heute und morgen.
Trotzdem glaube ich fest an eine leuchtende Zukunft Schlesiens, in einem Land in welchem Millionen
Menschen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft, Religion und Gesinnung im Rahmen eines vereinten Europa ihr Glück finden
werden.
Irgendwann, irgendwo, und jetzt, vielleicht auch morgen...geben wie unsere Identität im Tausch für
eine Völkergemeinschaft in einem neuen, friedlichen Europa.
Peter Karl Sczepanek
40789 Monheim am Rhein, Eisenstädter Str. 6
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