Breslau, das heute polnisch Wroclaw heißt, hat eine siebenhundertjährige deutsche Vergangenheit und
eine politisch verbriefte cirka fünfzigjährige polnische Gegenwart. Eine beide Seiten befriedigende Publikation
herzustellen, die Vergangenheit und Gegenwart sinnvoll nebeneinander setzen würde, bleibt anscheinend auch nach zehn
Jahren Nachbarschaftsvertrag ein schwieriges Unterfangen.
Die nach der Niederlage des Hitlerstaates Polen zugeteilten deutschen Ostgebiete waren jahrzehntelang
besonders für die von dort Vertriebenen ein schmerzlicher Verlust. In Polen dagegen wurden sie lange Zeit als „wiedergewonnene
Gebiete“ bezeichnet und ihre „Heimkehr zum Mutterland Polen“ mit gängigen propagandistischen Slogans
gefeiert.
Seit der Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrages im Jahre 1990 entspannte sich das
deutsch-polnische Verhältnis und man begann auch über schwierige Themen miteinander zu reden.
Die Deutschen haben sich im Laufe der Jahrzehnte mit dem Verlust ihrer ehemaligen Kulturlandschaften
abgefunden. Man sieht heute eher ungern hin.
Den Polen fällt es nach nunmehr zehn Jahren demokratischen Denkens immer noch schwer, die deutsche
Vergangenheit als gemeinsames Kulturerbe anzunehmen, wie es der Vordenker der deutsch-polnischen Aussöhnung Jan Jozef
Lipski bereits 1981 verlangte.
Breslau kommt in den deutsch-polnischen Gesprächen eine besondere Rolle zu. Die Stadt gilt in der
neuentstandenen Zusammenarbeit als die, die im Vergleich mit anderen unbefangen mit ihrer Vergangenheit umgeht. Man führt
es darauf zurück, dass sich hier vor allem die aus Lemberg vertriebene Intelligenz mit ihrer Professorenschaft und dem
berühmten wissenschaftlichen Institut Ossolineum ansiedelte. Eine Bevölkerungsgruppe, die aus dem traditionell
multikulturellen Raum Galiziens stammte, die also in Sachen Toleranz gute Vorraussetzungen mit sich brachte.
Der interessierte Leser schlägt also erwartungsvoll das gewichtige Kompendium über diese Stadt auf,
das 2001 erschien, und sich „Encyklopedia Wroclawia„ nennt und unter anderem aus den Mitteln der
deutsch-polnischen Stiftung, also aus bundesdeutschen Mitteln gesponsert wurde.
Die Enzyklopädie der Stadt Breslau – Wroclaw beindruckt mit einem farbfrohen Einband mit dem
heutigen Siegel der Stadt und bestem Papier.
Von den siebentausend Stichwörtern sind zweihundert von deutschen Spezialisten bearbeitet worden.
Sechshundert Mitarbeiter waren am Werk, einige davon Deutsche.
Leider läßt bereits die Einleitung Ungutes ahnen. Hier heißt es im ersten Satz: In Schlesien und
in Breslau regierten polnische, ungarische und tschechische, österreichische und preußische Herrscher, bevor die Stadt
nach den tragischen Ereignissen des Zweiten Weltkrieges von Polen besiedelt wurde. Was eine Verwischung historischer
Gegebenheiten darstellt. Kein Wort von den zuvor hier siebenhundert Jahre lebenden Deutschen, die gerade auch in Breslau
eine ganz besondere Kulturmetropole geschaffen hatten.
Und so blättert man denn auch – das erfreulich bunte Gemisch deutscher und polnischer Namen überlesend
- zum Stichwort „Geschichte“ und dem anderen „Gründung der Stadt“ und findet Befürchtungen
bestätigt.
Wir lesen also, was allgemein bekannt ist, dass die erste Gründung der Stadt durch Heinrich den
Ersten am Anfang des 13.Jahrh.veranlasst wurde, und auch die Neuerrichtung der Stadt nach dem Mongoleneinfall wird erwähnt.
Doch die Bezeichnung des Neumarkter Rechtes, nach dem sie gegründet wurde, als polnische Version des Magdeburger
Rechts, ist nicht hinnehmbar, weil Neumarkt ebenfalls eine deutsche Gründung war.
Bemerkt wird, dass das Suburbium im 12 Jahrh, von Slawen besiedelt war. Was stimmt. Der Leser erfährt
zwar von Siedlern, die die Stadt gründeten, aber woher diese kamen, scheint dem Autor dieses Stichworts entfallen zu
sein, obwohl es auch in polnischen Kompendien nachzulesen wäre. Ähnlich geht es unter dem Stichwort „Gründung
der Stadt“ zu, unter dem man Details zur Größe und Aufteilung des Areals findet, nichts aber über die
ethnischen Gegebenheiten der Siedlungszeit.
Dafür berichtet Tomasz Jurek historisch exakt unter dem Stichwort – „Heinrich der Bärtige“
über die Kolonisation Schlesiens und der Stadt Breslau zur Zeit dieses tatkräftigen Fürsten. Sogar der Name des
ersten Schulzen – Godinus - wird erwähnt. Immerhin wohl eine der wichtigsten Gestalten für die Stadt, die unter
dem Stichwort „Geschichte“ ebenfalls übergangen wurde. Enttäuschung wiederum beim Stichwort - Hedwig von
Schlesien – auch hier keine Erwähnung der Verdienste dieser Fürstin bei der Besiedlung des Landes und der Stadt.
Für die Wahrheitsfindung ist es aber unabdingbar, die Besiedlung Schlesiens im 13.Jahrh
hervorzuheben, weil das Land seitdem ein ethnisch anfangs noch gemischtes, später einheitlich deutsches Land war. Es
gibt in Polen sehr viele öffentliche Verlautbarungen, die darauf hin zielen, die Anwesenheit Deutscher in Schlesien
erst seit der preußischen Herrschaft anzuerkennen.
Redlich ist dagegen die kurze Darstellung der Literatur Schlesiens von Wojciech Kunicki. Die engen
Verbindungen der Literatur Schlesiens und Breslaus mit der deutschen Literatur werden seit dem Mittelalter mit der
Person Heinrichs von Prezzela, eines bedeutenden Minnesängers, bestätigt und u.a. auch die großen Verdienste des
schlesischen Barock für die deutsche Literatur unterstrichen.
Kein Stichwort wiederum zur Vertreibung oder Umsiedlung der Deutschen nach dem unheilvollen Krieg.
Die „Ausreise“ von dreihunderttausend Deutschen in den Jahren 1945 bis 1950 wird lediglich unter dem
Stichwort „Geschichte“ zugegeben.
Vielleicht sollte man sich damit zufrieden geben, dass trotz allem Eichendorff erwähnt wird, dass
zugegeben wird, die Brüder Hauptmann haben in Breslau studiert. Und auch unzählige andere prominente Söhne dieser
Stadt beachtet werden. Wenngleich bei Kardinal Bertram, von dem bekannt ist, dass er sich stark für den Gottesdienst in
polnischer Sprache einsetzte, seine Germanisierungsbestrebungen und seine politische Zurückhaltung während des
Nationalsozialismus unterstrichen werden.
Auch das Generalkonsulat der Bundesrepublik findet eine knappe Erwähnung, die allerdings so knapp
ausfällt, dass es nicht einmal für die Vornamen der jeweiligen Generalkonsule gereicht hat, was bei der immensen
Bedeutung dieses Konsulats nach der Wende doch erstaunt und jedenfalls unhöflich ist. Zumal beim nächsten Stichwort,
das das polnische Konsulat in Breslau zu deutschen Zeiten betrifft, mit einer ausführlichen Auflistung der Konsule,
sowie mit der Darstellung der Geschichte des Konsulats nicht gegeizt wird.
Man mag sich damit trösten, dass eine Publikation zustande kam, die noch vor zehn Jahren kaum
vorstellbar gewesen wäre. Aber es bleibt ein Rätsel, warum es bei diesem Aufwand nicht eine Publikation geworden ist,
die auch noch nach zehn Jahren ohne Vorbehalte zu lesen wäre.