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 GÓRNY ¦L¡SK - OBERSCHLESIEN

 

Nr. 6 / 03.2003

Silesia Superior 6 / 03.2003

Peter Karl Sczepanek

Auf den Spuren verlorener Kultur

In Schlesien, insbesondere Oberschlesien fand in der zweiten Hälfte des XVIII Jahrhunderts ein großer Umschwung statt, der einen noch nie da gewesenen Aufstieg, und Fortschritt in allen Bereichen des Lebens zur Folge hatte. Die Ursache davon lag in den Händen Friedrichs des Großen, der nach dem Siebenjährigen Krieg 1763 Schlesien entgültig in Preußen einverleibte, und sogleich eine neue, Landesverwaltung nach preußischer Art und Weise ins Leben rief. Auf diese Weise entstanden nicht nur der oberschlesische Bergbau und die Hüttenindustrie, sondern auch Tausende von mittlern und kleinen Fabriken, Betriebe und Unternehmen, die den Grundstein der allgemeinen Volkswirtschaft in Oberschlesien bildeten, und später die kapitalistische Marktwirtschaft betrieben.

Diese Firmen lagen bis 1922 in den Händen privater Eigentümer, die zum größten Teil im Rahmen einer Familie vererbt wurden. Im Rahmen der sich immer neuzeitlich gestaltenden kapitalistischen Betriebsverwaltungen wurde dafür Sorge getragen, dass verantwortungsvolle Ämter in die Hände dafür kompetenter Personen gelangten. Und so entstanden die ersten Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Immer wurde auf einen guten Ruf der Firma gearbeitet, auf ihre Konkurrenzfähigkeit und positive Bilanz. Diese Worte wurden auf kommende Generationen weitergeleitet, bildeten den Grundstein zu Investitionen und Fortschritt.

Große Worte legte man auf Arbeitsfreunde, allgemeine Kultur der Arbeit und eine Zusammenarbeit der Arbeitnehmer mit der Betriebsführung. Fast jeder größere Betrieb hatte sein eigenes Orchester, Gesangvereine, Sportgesellschaften und kulturelle Vereine.

Zur derartigen Verbindungen zwischen der Belegschaft und Betriebsführung möchte man heute zurückkehren. Ich spreche hier aus eigenen Erfahrungen, dann ich selbst tätiges Mitglied eines 160-köpfigen Gesangchores bei Bayer Leverkusen bin, der mit der Betriebsführung eng verbunden ist.

Es wurden Hinweise und Aufmerksamkeiten des großen schweizerischen Pädagogen und Soziologen Johann Pestalozzi (1746 – 1827) befolgt, der auf ein persönliches Verhältnis des Arbeitnehmers mit dem Arbeitgeber großen Wert legte. Nach jeder Denkungsart bildeten sich in Oberschlesien Begriffe wie Heimat und Heimaterde, die nur in dieser Provinz einen eigentümlichen Klang besitzen.

Die nach dem II. Weltkrieg nach Oberschlesien eingewanderten Polen, die aus eigener Initiative nach Schlesien kamen, oder aus ihrer alten polnischen Heimat (Domowina) vertrieben wurden, fanden oberschlesische Kultur sehr eigenartig und fremd, auf alle Fälle nicht nach ihrer Art. Sie aber waren die Herren und daher ist es nicht zu verwundern, dass sie ihre Denkungsart, Mode, Kultur und Gewohnheiten der einheimischen Bevölkerung aufdrängten, und jeden Widerstand rücksichtslos unterdrückten.

Der seit 1926 polnische Wojewode von Kattowitz, Micha³ Gra¿yñski fing mit der Polonisierung Oberschlesiens an, wobei er kein Mittel scheute um seinen Ziel näher zu kommen. Fast alle deutsche Beamten sowohl in der Landesverwaltung, wie auch in der Industrie wurden abgesetzt und verdrängt. An ihre Stelle kamen Polen aus dem Süden des Landes von wo auch Gra¿yñski persönlich stammte.

Die totalitären Regime Hitlers und Stalins in den Jahren 1939 – 1956 brachten viel Unheil über das Land. Es wurden hohe Beamten in der Landesverwaltung und Industrie eingestellt, die von ihrem neuen Arbeitskreis und den Pflichten keine Ahnung hatten, aber treue und blinde Anhänger der Regime waren. Die ersten Sekretäre der polnischen Arbeitspartei „PZPR“ in Kattowitz riefen schon zum dritten Mal nach Oberschlesien Beamte aus Ostpolen herbei, deren einziger Verdienst war, eine kommunistische Vergangenheit zu besitzen. Einer der bekanntesten Sekretäre, Genosse Edward Gierek, besetzte hohe Ämter mit den „avant dilettanti“, die aus seiner „Altreich-Heimaterde“, jenseits der Przemsza, an der Grenze zu Kleinpolen stammten. Die eingewanderten Polen, die die Macht ausübten, waren natürlich auch bemüht, ihre Kultur und Gewohnheiten der einheimischen Bevölkerung aufzudrängen. Und das wirkt gegen Oberschlesier wie eine Zwangsstörung.

Vor zwei Jahren wandte ich mich an den Stadtpräsidenten von Tichau in Oberschlesien, mit der Bitte sich dem noch tätigen oberschlesischen Bildhauer August Dyrda anzunehmen, und ihm einige Aufträge zu erteilen, worauf ich keine Antwort erhielt.

Er hat sich so gelegt, dass 200 Jahre nach der Geburt des bundesweit bekannten oberschlesischen Bildhauer August Kiss (1802 – 1865), der auch aus Tichau-Paprotzan stammte, wird heute in derselben Stadt Traditionsträger besitzen, nämlich den August Dyrda, geboren am 6.7.1926 in Wyry bei Tichau, der auf viele seine Werke mit Stolz zurückblicken kann.

Trotz seines guten Rufes erhielt August Dyrda von der Stadtverwaltung schon seit 14 Jahren keinen einzigen Auftrag, ein Werk zu vollbringen, dass dem Ergeiz der jungen Stadt entsprechen könnte. Die bestehende „Gesellschaft“ des „Kleines Vaterland“, also polnisch „Ma³a Ojczyzna“ in Tichau, die zum größten Teil aus eingewanderten Polen bestehen, weist kein Interesse für den Bildhauer August Dyrda auf.

Heute entstehen in oberschlesischen Städten viele sogenannte Gedenkstuben, die den Zustand 700 jähriges Oberschlesiens erst seit 1922 schildern, und auf Bildern festhalten. Auf den Bildern wird zum größten Teil barfüssige Kinder und herumlungernde Arbeitslose (als die „D-Reicherbe“ betrachtet) oder es sind die Konzentrationslager und die schlimme Nazizeit zu sehen.

Die Überlieferungen von Lebensweisheit und Erfahrungen vom Vater und Sohn haben schon aufgehört, eine entscheidende Rolle zu spielen. Die Kultur stellt schon kein Bindungsmittel zwischen dem Arbeitsplatz und Zuhause im Rahmen der allgemeinen Gesellschaft. Der Oberschlesier von heute hat viel an Selbstbewusstsein, Glauben und Selbstvertrauen verloren. Er weiß nicht wem zu glauben und zu vertrauen ist, welchem Ruf er folgen soll. Daher ist es kein Wunder, dass er an Begebenheiten wie Wahlen keinen Anteil nimmt, und sich mit Schweigen und Misstrauen umhüllt. Diese Charaktereigenschaft hat in Oberschlesien jahrhunderterlang Tradition, denn sie stammt noch von Zisterzienser Mönchen, die im XIII Jahrhundert vom Westen nach Schlesien kamen.

Doch noch nicht alles ist verloren, wie es den Anschein haben mag.

Am 6. September anno 2002 fand in Chorzów ehemalig Königshütte in Oberschlesien, eine außerordentliche Feierlichkeit statt, die für die oberschlesische Kultur und Tradition heute von großer Bedeutung ist. Im Mittelpunkt der Stadt, in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Königshütte wurde auf feierliche Weise in Anwesenheit von Vertreten der Wojewodschaft Kattowitz und der Kirche, das über drei (3.15) Meter Hohes Bronzestandbild des Grafen Friedrich Wilhelm von Reden (1752-1815) (nach der ersten Version von Bildhauer Theodor Kalide) enthüllt.

Diese Begebenheit fand einen großen Widerhalt und viel Begeisterung zwischen der Bevölkerung von Chorzów, obwohl nicht alle wussten wer F.W. von Reden war, und welche Verdienste er für die Stadt aufzuweisen hatte. F.W. Graf von Reden ist der Gründer der Königshütte, die 1802 in Betrieb gesetzt wurde, und die, der danach heranwachsender Stadt auch ihren Name gab. F.W. von Reden gewährte für über zwei Jahrhunderte Tausenden von Menschen Arbeit und Brot. Aus Anlass seines 250 Geburtstages zum Zeichen der Dankbarkeit setzte die Bevölkerung der Stadt Chorzów ihrem Gründer das Denkmal. Der größte Verdienst Redens war, dass er auf Grund englischer Technologie, die er gründlich in England studierte, und im XVIII Jahrhundert die neuzeitlichste war.

Sie brachte die Königshütte zu einem raschen Aufschwung, so dass sie am Anfang XIX Jh., die modernste in Schlesien und auf dem europäischen Kontinent war.

Es ist nicht das erste Denkmal, das diesem verdienstvollen Mann Aufgestellt wurde. Es ist das Dritte. Die zwei vorherigen bestehenden wurden aus politischen Gründen von den polnischen Machthaber vernichtet. Es ist traurig, die Feststellung machen zu müssen, dass das größte Werk Redens, die Königshütte, dem Verfall ausgeliefert ist, und in kurzer Zeit nicht mehr existieren wird.

Was in den letzten 200 Jahren in Oberschlesien aufgebaut wurde, blühte und lebte, wurde in den letzten 50 Jahren an den Rand des Ruins gebracht. Die ganze Volkswirtschaft liegt am Boden. Heute hat Oberschlesien über 300.000 Arbeitslose aufzuweisen, was ungefähr 19% aller Arbeitfähigen ausmacht. Die größte Schuld dafür drangen verantwortungslose Entscheidungen der polnischen Machthaber, die jahrhundertlange Tradition und Kultur missachtend, die Provinz zu Grunde wirtschaften.

Doch der Geist und Lebensmut der oberschlesischen Bevölkerung, der Glaube an eine bessere Zukunft hält weiterhin an. Der beste Beweis dafür ist das Denkmal Redens, das am 6.9.2002 in Chorzów feierlich enthüllt wurde. Der Schöpfer das Bronzestandbildes ist der bekannte, heute 76 Jahre alter Bildhauer, August Dyrda aus dem Plesser Land. Ältere Generation blickten mit Stolz auf dieses Denkmal, das außerordentlich gut gelungen ist, während die Jugend voller Hoffnung und Erwartung Reden als traditionellen Hoffnungsträger auf ihrem Weg nach Europa betrachtet.

Wie innig die oberschlesische Bevölkerung mit dem Namen des Grafen von Reden verbunden ist, beweist ein Brief, den ich von einem alten Einwohner der Stadt Chorzów am 22.9. 2002 erhalten habe. Es schildert das Schicksal des Redendenkmals, welches die Polen nach ihrer Machtergreifung 1945 in der Stadt vernichtet hatten. Wie aus diesem Brief hervorgeht, war der Briefschreiber in den 60-ger Jahren in einer Baufirma der Stadt beschäftigt, und trat zufällig in einem Keller tief versteckt auf die zerschlagenen Überreste des drei Meter hohen Bronzedenkmals, welches 1945 abgetragen wurde. Der Direktor dieser Baufirma, ein Ostpole, jetzt in seinem „klein Vaterland – Chorzów“, gab den Befehl dieses Denkmal in kleinere Stücke zu zerschlagen, und es als Altmetall zu verkaufen. Dasselbe Schicksal wurde auch in Breslau dem Denkmal des Friedrich Wilhelm den III und dem Friedrich dem Großen („Alter Fritz“), welche August Kiss aus Paprotzan bei Tichau – in Berlin geschaffen hatte, zuteil.

Ihrer Anhänglichkeit an vergangene Kultur, Überlieferungen und Traditionen braucht sich die oberschlesische Bevölkerung nicht zu schämen. Diese kann beim Eintritt in die Europäische Union noch vielseitig von Nutzen sein. Nur auf diese Weise kann unser Glaube an eine bessere Zukunft, unser Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen aufgebaut werden.

PS. Nun muss hier hervorgehoben werden, dass im Stadtmuseum von Chorzów auf der Strasse ul. Powstañców 25 in diesem Monat eine Ausstellung unter dem Titel „Friedrich Wilhelm von Reden und seine Verdienste um Schlesien“ stattgefunden hatte. Auf dieser Ausstellung war der Bronzekopf des August, 1939 zerschlagenen Redensdenkmals zu sehen. Spuren von Meisel und Hammerschlägen waren auf dem Überrest zu sehen. Wie aus den Worten der Museumsleiterin hervorgeht, wurde dieser Bronzekopf von einem unbekannten Besitzer dem Museum geliehen. Vielleicht war es der Direktor der Baufirma, der es mit Gewissensbissen zu tun bekommen hatte, oder irgendein privater Sammler mit seinen oberschlesischen Schätzen. Der Name ist weiter unbekannt.


Fotos von Ulrike von Reden und P.K. Sczepanek

1 – Auf dem Hintergrund des originalen Redenskopf ein Foto des letzten Denkmals. Auf einer Landkarte zeigt Reden die Stadt Tarnowitz, wo er seinen Amtsitz hatte, und 1786 die Friedrichhütte (Blei- und Silber-Hütte – in“ Szczybnica“) entstandet ist.


2 – Familie Arnd von Reden, Nachkommen des Grafen von Reden, die an dem Feierlichkeiten des 6.9.2002 in Chorzów teilgenommen hatten.

 


3 - Frau Claudia, Ehegattin von Alexander von Reden aus Leipzig, Arnd von Reden aus Mühlacker und Prof. Friedhelm Grundmann aus Hamburg, dessen Ur-Ur-Urgroßvater Friedrich Wilhelm Grundmann aus Kattowitz in 1853 die erste Enthüllung in Königshütte organisierte, wo der König von Preußen, Friedrich Wilhelm IV. teilgenommen hat.


4 – Der Bildhauer August Dyrda hat von dem Stadtpräsident Herrn Kopel eine Medaille bekommen. Arnd von Reden schaut zu.


Die polnische Fassung des Textes: „¦ladami zatraconej kultury"

Peter Karl Sczepanek
Monheim/Rh
Eisenstädter Str. 6
40789 Monheim am Rhein
Tel/fax 02173-66742
e-Mail: sczepanek@gmx.de
den 27.10.2002