Die Zeugen der Musikkultur im Oberschlesien gleich nach dem II. Weltkrieg haben zumeist das
Rentenalter erreicht. Der Großteil der deutschen Pioniere dieser Kultur sind verstorben. Es gibt kaum Dokumente, zumal
nach der nationalsozialistischen die rotnationalistische Zensur und ebenso die kulturelle Zwangspolonisierung kam. Es
gibt zwar sporadische Erinnerungen, die leider jedoch weiterhin mit der alten getönten Brille mit Blick auf die
europafremde "Staatsräson" geschrieben sind.
Ein besonders herausragender Pionier war Paul Schmidt (*1897 in Greisau Krs. Neiße und + in Essen
1967). Sein Weg führte übers Lehrerseminar Zülz in die Schulen nach Schmitsch, Neiße, Bauerwitz, Walzen etc. Der
mehrfache Schulleiter absolvierte 1937 in Musiktheorie das Breslauer Konservatorium.
Die Fronthandlungen waren 1945 kaum beendet, da tauchte Rektor Paul Schmidt in der Heimatstadt seiner
Frau, Oberglogau, auf, und begann dort das Musikleben zu reaktivieren. Der Verfasser dieser Zeilen konnte diesen Aufbau
von allernächster Nähe beobachten:
Er begann seine Karriere im Schmidtschen neuen (deutschen) Kirchenchor als Sopran, gehörte seinem
adventlichen Kammerorchesterensemble (Blockflöte) an, erhielt bei ihm seinen ersten Geigen- und Klavierunterricht,
sowie Unterweisungen in Harmonielehre und Kontrapunkt, wurde Dirigent des Schmidtschen Jugendorchesters. Und in diesem
Zusammenhang erinnert er sich gut daran, wie der Organisator Schmidt, in den ersten Nachkriegstagen Geigensaiten aus
Telefondraht herstellte, weil echte nicht vorhanden waren.
Paul Schmidt war nicht nur ein exzellenter Organist, sondern gründete zudem ein Salonorchester. Die
musikalische Umrahmung z.B. der kirchlichen Prozessionen, voran der von Fronleichnam, die er auch dirigierte, hatten höchstes
Niveau. Er engagierte für diese Zwecke sogar Künstler aus der Kreisstadt Neustadt. Die Aufführung der
Rheinberger-Messe war ein musikalischer Ohrenschmaus.
Man kann feststellen, dass lange Zeit kaum ein Pole den Schmidt' sehen Klangkörpern angehörte. Der
Kirchenchor - ob richtig oder falsch - galt auch bei den Sicherheitsbehörden lange Zeit als Bastion des Deutschtums.
Der Verfasser kann sich noch gut erinnern, als sich der erste polnische Chorist meldete. Das Orchester zerfiel, als
seine Mitglieder größtenteils aussiedelten. Das Jugendsalonorchester, als der Verfasser zum Musikgymnasium Kattowitz
ging. Mit mehr oder minderem Druck entstand aus Teilen des Kirchenchores (viele Mitglieder lehnten dies ab) der
polnische Chor "Echo", der im damaligen "Kulturhaus" sogar vor den Mikrofonen des Senders Kattowitz
auftrat.
Paul Schmidt war ein durchaus politischer Mensch. Wegen seiner christdemokratischen Gesinnung hatte
er bereits Diskriminierungen seitens der Nazis hinzunehmen. Er war ein glühender Verehrer von Konrad Adenauer, den er
als Garant eines vereinigten Europas betrachtete. Diese Idee beeindruckte auch den Verfasser, der gleich nach Übersiedlung
an den Rhein der Partei Adenauers beitrat.
So musste dieser gottesfürchtige Mann (von der UB als „Klerikaler“ und
„Adenauerist“ eingestuft) auch ins Visier der Machthaber und somit ins Neustädter Gefängnis geraten.
Hier konnte sich der Verfasser zum ersten Mal dankbar erweisen. Er schwamm damals als Musikstudent
auf einer Erfolgswelle und erfreute sich der Gunst seines Professors, Generalmusikdirektor Adam Kopyciñski (Breslau).
Dieser hatte nicht nur ein persönliches Faible für Oberglogau, sondern war aus der gemeinsamen Zeit in der
Lagerkapelle von Auschwitz Duzfreund des amtierenden Premiers, Józef Cyrankiewicz. Dieser wurde eingeschaltet und
Schmidt entlassen .
Zum letzten Mal konnte sich der Verfasser seinem Meister dankbar erweisen, indem dieser Vorgang und
die Rolle Schmidt's im Nachkriegs-0/S in einer genehmigten Sonderarbeit für das Bundesministerium für gesamtdeutsche
Fragen verewigt wurde. (*) Der damalige Pfarrer von Oberglogau, Dydek, hat sich nicht gerade mit Ruhm gegenüber Schmidt
bekleckert, so dass dieser bis zu seiner Ausreise als pendelnder Organist in Zülz sein Brot verdienen musste. Zurück
blieb von vier Kindern die Tochter Annemarie, die einen polnischen Ingenieur heiratete.
Das letzte Mal traf der Verfasser seinen Meister während eines Oberschlesiertreffens in Essen;
dessen Witwe später noch zweimal in der eigenen Wahlheimat Haan.
(*) Der Verfasser war damals freier Polenexperte dieses Hauses.