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 GÓRNY ¦L¡SK - OBERSCHLESIEN

 

Nr. 5 / 12.2002

Silesia Superior 5 / 12.2002

Josef Hoika

Geschichte und Lebenswerk der Diakonisse
Eva von Tiele-Winckler alias "Mutter Eva"

(Teil I)

Am 31. Oktober 1866 wird Eva-Valeska-Anna Katharina-Adelejda Maria-Elisabeth von Tiele-Winckler als zweitjüngstes Kind von neun Geschwister in Miechowitz

Oberschlesien geboren. Eva, Tochter des oberschlesischen Großindustriellen Hubert von Tiele-Winkler 1823 - 1893 verbringt ihre Kindheit behütet in der Adelsfamilie auf Schloß Miechowitz. Evas katholische Mutter war warmherzig und fromm, ihr Vater erzog sie streng und zeichnete sich durch tatkräftiges Handeln aus.

Eva wächst abgeschirmt hinter hohen Schlossmauern fern der Welt, und fern der Dorfrealität auf. Im 13. Lebensjahr Evas stirbt ihre Mutter. Eva fühlt sich einsam. Die Zweite Frau des Vaters war evangelisch, sie förderte die christliche Erziehung der Kinder. Nach einiger Zeit ist Eva bereit, am Religionsunterricht teilzunehmen..

Hintern den Schlossmauern lag das oberschlesische Kohlenrevier, ein ausgedehntes Industrie- Gebiet, in dem Erwachsene und Kinder in großer Armut lebten. Der Lohn der Bergwerkarbeiterinnen und -arbeiter ist äußerst gering. Alkoholismus ist verbreitet, viele Menschen waren krank und Kinder verwaist. Das Leben der Armen und das der Reichen war strikt voneinander getrennt. So konnte Eva von Tiele-Winckler erst allmählich Wege finden, ihre Zuneigung zu den Notleidenden in Handeln umzusetzen.

Eva als junges Mädchen

Sie lernt heimlich die polnische Sprache. Ihr„Heimatvolk“ sind Deutsche und Poler, Protestanten und Katholiken. Armenspeisungen waren die übliche Form, auf die soziale Not zu reagieren, so auch auf Schloß Miechowitz. Eva beteiligte sich daran und teilte in den unteren Küchenräumen des Schlosses Suppe aus. Als sie ihr Kleid zerschnitt, um für das Kind eines Trinkers eine Hose zu nähen, verbot ihr der Vater alle Sozialarbeit. Durch die Bibel fühlte sie sich jedoch in ihrem Vorhaben unterstützt, vor allem durch Jesaja 56, 7: „Brich dem Hungrigen dein Brot und die, so im Elend sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn...“

1885 machte Eva von Tiele-Winckler bei einer Reise Bekanntschaft mit der „Kinderrettungsarbeit“ in Düsseltal.

Außerdem lernt sie Bethel und Friedrich von Bodelschwingh kennen. Inzwischen ist auch der Vater mit ihrer Berufung einverstanden. Am 7. Mai 1886 legt Eva das Gelübde zum Dienst an Gott und den Armen auf der Osterinsel von Moschen ab. Schon am 2. Juni 1886 legte sie ihrem Vater eine schriftliche Darlegung des Projektes vor: Erlernung der Kranken- und Gemeindepflege, Auswahl einer Mitarbeiterin, Bau der Übernahme eines Krankenhauses in Miechowitz. Sie begann mit dem Außendienst an der Dorfbevölkerung von Miechowitz, betrieb Arbeitsbeschaffung, Gartenbau, Kinderbetreuung, Nähstunden und eine Haushaltsschule. Eva zog den Dorfarzt an ihre Aktivitäten heran. Am 1. Oktober 1886 legte sie ihren ersten Verband an und klebte ein Stück von der Mullbinde in ihr Erinnerungsbuch ein. Die Pflegemutter schrieb am 4. März 1887 einen Brief über Evas großen Ehrgeiz und ihre Neigung zum Katholizismus an Bodelschwingh. Danach wurde ein Verbot der Pflege auf der Männerstation verhängt.

Am 30.03.1887 traf Eva in Bethel ein. Bodelscheingh nahm sie im eigenen Haus auf. Sie stürzte sich mit Begeisterung in die Arbeit. Acht Monate dauerte die Ausbildung in der Kranken- und Gemeindepflege die Eva intensiv in Bethel absolvierte. Danach begann sie mit viel Engagement ihre Arbeit mit einer Krankenstube und einem Raum für Nähkinder in Miechowitz.

Am 27. Februar 1888 besuchte sie das erste mal die Häuser des Dorfes Miechowitz, sah das Elend der hungernden Kinder und errichtete eine Suppenküche. Weihnachten 1888 erhielt sie von ihrem Vater den Bauplan für ein erstes Haus als Weihnachtsgeschenk. Eva vertiefte ihre Krankenpflege -kenntnisse in Bethel und hatte Kontakt zu der dortigen Kinderarbeit. Zurück in Miechowitz half sie scharlach- und diphteriekranken Kindern. Bei Ausbruch einer Epidemie von typhösem Scharlachfieber, Diphterie und Krup in Moschen half die den Dorfbewohnern, weil der Arzt aus dem Dorf geflohen war. Nun versuchte Eva den verzweifelten Eltern beizustehen und Hilfe zu leisten. .Schon bald zeigte sich die Anerkennung in der Öffentlichkeit. Die Aufopferung bei ihre Arbeit forderte einen hohen Preis. Eva wurde lange schwer krank und von großen Depressionen geplagt. Um sich zu erholen reiste sie zum Moorbad Bad Kohlgrub, wo sie auch Martha Magnus, ihre erste Mitschwester, kennelernte.

 

Am 29. September 1890 wurde das erste Haus „Friedenshort“ seiner Bestimmung übergeben. Später wurde dies zum Namen des ganzen Werkes. Mit 23 Jahren wurde Eva von Tiele-Winckler als Hausmutter eingesegnet und feierte das mit einem „Freudenfest der Armen“. Das Haus füllte sich bald mit Kindern, alten und kranken Frauen. Gleich am ersten Tag brachte ein Ehepaar, das eine gemeinsame Gefängnisstrafe antrat seine Kinder zur Pflege. Bald waren die Räume voll belegt. Haushaltungsschülerinnen und ca. 100 Tageskinder füllten das Haus. Um die Menschen zu versorgen wurde Landwirtschaft mit Feldbau, Schweinezucht und tägliches Brotbacken durch die Hausmutter betrieben. Die Weiterführung der Arbeit an den Alten und Kranken des Dorfes ging weiter. Nach einem Jahr waren 40 Betten belegt und man hatte fünf Todesfälle registriert. Es fehlte jedoch an Geld. Das änderte sich, als Eva an ihrem 25.Gebutstag ihr mütterliches Erbe antreten konnte. Sie verwaltete nun jährlich 12.000 Mark, wobei die Auflage bestand, jährlich 2.000 Mark für eine Erholungsreise zu verwenden. Ihr gesundheitlicher Zustand setzte der Arbeit im Laufe ihres Lebens immer wieder Grenzen, die sie häufig bis zur völligen Erschöpfung überschritt.

Nach dem Besuch von Friedrich von Bodelschwingh in Friedenshort am 9. Juni 1892 bekam Eva die Einwilligung des Vaters zur Gründung einer eigenen Schwesternschaft, und am 12. August 1892 wurde sie als Diakonisse im Mutterhaus Sarepta („Schmelzhütte“) von Bethel eingekleidet. Schon am 29. August 1892 wurden die ersten drei Probeschwestern des Friedenshortes eingekleidet. In Miechowitz wurden weitere Häuser gebaut - eines für Alte und Pflegebedürftige und eines für Kinder. Mutter Eva, wie sie nun genannt wurde, schaffte eine Schwesternordnung, die „Regeln für die Gemeinschaft der Friedensschwestern“.

Darin verpflichteten sich die Schwestern für ihr ganzes Leben zur sozialen Arbeit im Dienst von Christus. Sie wählten ihren Beruf nicht selbst, sondern wurden begabungsgemäß dort eingesetzt, wo sie gebraucht wurden. Die soziale Arbeit der Gemeinschaft war vielfältig, ein Schwerpunkt liegt auf der Alten- ,Kinder- und Krankenpflege. Mutter Eva verstand sich selbst als Teil der Schwesternschaft, die Leitung des Werkes wurde deshalb in der Ordnung nicht besonders hervorgehoben.


(Fortsetzung folgt)