(Teil I)
Am 31. Oktober 1866 wird Eva-Valeska-Anna
Katharina-Adelejda Maria-Elisabeth von Tiele-Winckler als zweitjüngstes Kind von neun Geschwister in Miechowitz
Oberschlesien geboren. Eva, Tochter des oberschlesischen Großindustriellen Hubert von Tiele-Winkler 1823 - 1893
verbringt ihre Kindheit behütet in der Adelsfamilie auf Schloß Miechowitz. Evas katholische Mutter war warmherzig und fromm, ihr Vater
erzog sie streng und zeichnete sich durch tatkräftiges Handeln aus.
Eva wächst abgeschirmt hinter hohen
Schlossmauern fern der Welt, und fern der Dorfrealität auf. Im 13. Lebensjahr Evas stirbt ihre Mutter. Eva fühlt sich einsam. Die Zweite
Frau des Vaters war evangelisch, sie förderte die christliche Erziehung der Kinder. Nach einiger Zeit ist Eva bereit, am
Religionsunterricht teilzunehmen..
Hintern den Schlossmauern lag das oberschlesische Kohlenrevier, ein ausgedehntes Industrie- Gebiet, in dem Erwachsene und
Kinder in großer Armut lebten. Der Lohn der Bergwerkarbeiterinnen und -arbeiter ist äußerst gering. Alkoholismus
ist verbreitet, viele Menschen waren krank und Kinder verwaist. Das Leben der Armen und das der Reichen war strikt voneinander getrennt. So
konnte Eva von Tiele-Winckler erst allmählich Wege finden, ihre Zuneigung zu den Notleidenden in Handeln umzusetzen.
Eva als junges Mädchen
Sie lernt heimlich die polnische Sprache. Ihr„Heimatvolk“ sind Deutsche und Poler, Protestanten und
Katholiken. Armenspeisungen waren die übliche Form, auf die soziale Not zu reagieren, so auch auf Schloß Miechowitz. Eva beteiligte sich
daran und teilte in den unteren Küchenräumen des Schlosses Suppe aus. Als sie ihr Kleid zerschnitt, um für das Kind eines Trinkers eine
Hose zu nähen, verbot ihr der Vater alle Sozialarbeit. Durch die Bibel fühlte sie sich jedoch in ihrem Vorhaben unterstützt, vor allem
durch Jesaja 56, 7: „Brich dem Hungrigen dein Brot und die, so im Elend sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide
ihn...“
1885 machte Eva von Tiele-Winckler bei einer
Reise Bekanntschaft mit der „Kinderrettungsarbeit“ in Düsseltal.
Außerdem lernt sie Bethel und Friedrich von
Bodelschwingh kennen. Inzwischen ist auch der Vater mit ihrer Berufung einverstanden. Am 7. Mai 1886 legt Eva das Gelübde zum Dienst an
Gott und den Armen auf der Osterinsel von Moschen ab. Schon am 2. Juni 1886 legte sie ihrem Vater eine schriftliche Darlegung des Projektes
vor: Erlernung der Kranken- und Gemeindepflege, Auswahl einer Mitarbeiterin, Bau der Übernahme eines Krankenhauses in Miechowitz. Sie
begann mit dem Außendienst an der Dorfbevölkerung von Miechowitz, betrieb Arbeitsbeschaffung, Gartenbau, Kinderbetreuung, Nähstunden und
eine Haushaltsschule. Eva zog den Dorfarzt an ihre Aktivitäten heran. Am
1. Oktober 1886 legte sie ihren ersten Verband an und klebte ein Stück von der Mullbinde in ihr Erinnerungsbuch ein. Die Pflegemutter
schrieb am 4. März 1887 einen Brief über Evas großen Ehrgeiz und ihre Neigung zum Katholizismus an Bodelschwingh. Danach wurde ein Verbot
der Pflege auf der Männerstation verhängt.
Am 30.03.1887 traf Eva in Bethel ein. Bodelscheingh nahm sie im eigenen Haus auf. Sie stürzte sich mit Begeisterung in
die Arbeit. Acht Monate dauerte die Ausbildung in der Kranken- und Gemeindepflege die Eva intensiv in Bethel absolvierte. Danach begann sie
mit viel Engagement ihre Arbeit mit einer Krankenstube und einem Raum für Nähkinder in Miechowitz.
Am 27. Februar 1888 besuchte sie das erste mal
die Häuser des Dorfes Miechowitz, sah das Elend der hungernden Kinder und errichtete eine Suppenküche. Weihnachten 1888 erhielt sie von
ihrem Vater den Bauplan für ein erstes Haus als Weihnachtsgeschenk. Eva vertiefte ihre Krankenpflege -kenntnisse in Bethel und hatte
Kontakt zu der dortigen Kinderarbeit. Zurück in Miechowitz half sie scharlach- und diphteriekranken Kindern. Bei Ausbruch einer Epidemie
von typhösem Scharlachfieber, Diphterie und Krup in Moschen half
die den Dorfbewohnern, weil der Arzt aus dem Dorf geflohen war. Nun versuchte Eva den verzweifelten Eltern beizustehen und Hilfe zu leisten.
.Schon bald zeigte sich die Anerkennung in der Öffentlichkeit. Die Aufopferung bei ihre Arbeit forderte einen hohen Preis. Eva wurde lange
schwer krank und von großen Depressionen geplagt. Um sich zu erholen reiste sie zum Moorbad Bad Kohlgrub, wo sie auch Martha Magnus, ihre
erste Mitschwester, kennelernte.
Am 29. September 1890 wurde das erste Haus
„Friedenshort“ seiner Bestimmung übergeben. Später wurde dies zum Namen des ganzen Werkes. Mit 23 Jahren wurde Eva von
Tiele-Winckler als Hausmutter eingesegnet und feierte das mit einem „Freudenfest der Armen“. Das Haus füllte sich bald mit
Kindern, alten und kranken Frauen. Gleich am ersten Tag brachte ein Ehepaar, das eine gemeinsame Gefängnisstrafe antrat seine Kinder zur
Pflege. Bald waren die Räume voll belegt. Haushaltungsschülerinnen und ca. 100 Tageskinder füllten das Haus. Um die Menschen zu versorgen
wurde Landwirtschaft mit Feldbau, Schweinezucht und tägliches Brotbacken durch die Hausmutter betrieben. Die
Weiterführung der Arbeit an den Alten und Kranken des Dorfes ging weiter. Nach einem Jahr waren 40 Betten belegt und man hatte fünf Todesfälle
registriert. Es fehlte jedoch an Geld. Das änderte sich, als Eva an ihrem 25.Gebutstag ihr mütterliches Erbe antreten konnte. Sie
verwaltete nun jährlich 12.000 Mark, wobei die Auflage bestand, jährlich 2.000 Mark für eine Erholungsreise zu verwenden. Ihr
gesundheitlicher Zustand setzte der Arbeit im Laufe ihres Lebens immer wieder Grenzen, die sie häufig bis zur völligen Erschöpfung überschritt.
Nach dem Besuch von Friedrich von Bodelschwingh in Friedenshort
am 9. Juni 1892 bekam Eva die Einwilligung des Vaters zur Gründung einer eigenen Schwesternschaft, und am 12. August 1892 wurde sie als
Diakonisse im Mutterhaus Sarepta („Schmelzhütte“) von Bethel eingekleidet. Schon am 29. August 1892 wurden die ersten drei
Probeschwestern des Friedenshortes eingekleidet. In Miechowitz wurden weitere Häuser gebaut - eines für Alte und Pflegebedürftige und
eines für Kinder. Mutter Eva, wie sie nun genannt wurde, schaffte eine Schwesternordnung, die „Regeln für die Gemeinschaft der
Friedensschwestern“.
Darin verpflichteten sich die Schwestern für
ihr ganzes Leben zur sozialen Arbeit im Dienst von Christus. Sie wählten ihren Beruf nicht selbst, sondern wurden begabungsgemäß dort
eingesetzt, wo sie gebraucht wurden. Die soziale Arbeit der Gemeinschaft war vielfältig, ein Schwerpunkt liegt auf der Alten- ,Kinder- und
Krankenpflege. Mutter Eva verstand sich selbst als Teil der Schwesternschaft, die Leitung des Werkes wurde deshalb in der Ordnung nicht
besonders hervorgehoben.
(Fortsetzung folgt)