Der Beitrag von Dr. Renata Schumann "Einige Anmerkungen zur Diskussion über Ortsnamen in Oberschlesien", in Silesia Superior Nr. 3
/ 08.2002, veranlaßt mich zu folgenden Bemerkungen:
Was den ehemaligen Kreis Groß Strehlitz und seine Ortsnamen betrifft, so habe ich in der einschlägigen Literatur keine Hinweise entdecken
können, die die Behauptung der Autorin stützt, die jahrhunderte alte deutsche Ortsbezeichnung von Dziewkowice wäre Frauenfeld.
Tatsächlich wurde dieser Ort erst durch amtliche Verfügung mit Wirkung vom 3.7.1936 in Frauenfeld umbenannt. So findet man diesen Ort bei J.
G. Knie in seiner " Uebersicht der Dörfer, Flecken, Städte und andern Orte der Königl. Preuß. Provinz Schlesien...", Zweite Auflage Breslau
1845, unter "Dziewkowitz, Dziewkowice (d.h. Mägdedorf)...". Zwanzig Jahre später findet sich bei Felix Triest im Topographischen Handbuch
von Oberschlesien, Breslau 1864/65, nur noch die deutsche Ortsbezeichnung "Dziewkowitz" mit dem Hinweis: "Der Name wird von Dziewka=Magd
abgeleitet". Auch das Preußische Statistische Landesamt führt den Ort im Gemeindelexikon für den Freistaat Preußen, Band VII. Provinz
Oberschlesien (nach dem endgültigen Ergebnis der Volkszählung vom 16. Juni 1925 und anderen amtlichen Quellen unter Zugrundelegung des
Gebietsstandes vom 1. März 1932). Berlin 1932, nicht unter Frauenfeld sondern nun noch weiter eingedeutscht und ebenfalls ohne die polnische
Ortsbezeichnung unter "Schewkowitz".
1945 passierte also mit der Umbennennung von Frauenfeld in Dziewkowice nichts anderes, als die Wiederherstellung der ursprünglichen
historischen Ortsbezeichnung, wie sie der polnischsprachige Teil der dortigen Bevölkerung schon immer verwendet hatte. Soweit die
Realitäten. Wer also nach heutigem Wissensstand die nationalsozialistische Schöpfung "Frauenfeld" weiterhin favorisiert, darf sich also
nicht wundern, wenn dies bei polnischen Mitbürgern verständliche Ängste auslöst.
Ähnliches dürfte auch für die Ausführungen der Autorin gelten, der Annaberg hätte historisch Helmberg geheißen, seiner helmartigen Form
wegen und es bestünde kein Grund, in deutschsprachigen Publikationen Chelm-Berg zu schreiben.
Schon einmal empfanden deutsche Oberschlesier die historische Flurbezeichnung Chelm, die sie bis dahin ganz selbstverständlich gebrauchten,
plötzlich als Beleidigung für deutsche Ohren, was 1933 zur Umbennung der deutschsprachigen Publikation "Aus dem Chelmer Land" in "Aus dem
Annaberger Land" (nicht etwa aus dem Helmberger Land) führte. Es handelte sich bei dieser Publikation um das seit 1925 als Monatsbeilage zur
Groß Strehlitzer Zeitung erscheinende "Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft für Heimatkunde im Kreise Groß Strehlitz O.S. und des
Chelmgebirgsvereins mit dem Sitze in Leschnitz." Daß es dieselben Herausgeber ab 1933 nunmehr als "Heimatkundliches Mitteilungsblatt des
NSLV im Kreis Groß Strehlitz" bezeichneten, zeugt lediglich von dem Erfolg der Nationalsozialisten bei der Gleichschaltung der
oberschlesischen Lehrerschaft zu jener Zeit.
Übrigens habe ich ebenfalls vergeblich nach Belegen dafür gesucht, daß der Annaberg jemals Helmberg hieß. Wohl aber gibt es Hinweise darauf,
daß er in früheren Zeiten auch als Georgsberg bezeichnet wurde.
Schließlich heißt es in dem Beitrag weiter: "Das Wort Chelm kommt nachweisbar von Helm. Unzählige Ritter sind im Mittelalter aus Deutschland
nach Schlesien und Polen gekommen. Ähnlich wie Bürger und Bauern. Daher auch szlachta - von Geschlecht, ratusz von Rathaus, dach von Dach
und cegla von Ziegel, plug von Pflug."
Auch diese Erklärung erscheint mir zweifelhaft. Denn allen bisher bekannten Entlehnungstheorien zufolge handelte es sich zu dieser Zeit bei
der Übernahme von Fremdelementen in die polnischen Sprache, wie sie z.B. aus dem Deutschen entlehnt wurden, nur um sogenannte notwendige,
also solche, mit denen zusammen eine den Entlehnenden bisher unbekannte oder nur in einem bestimmten Zusammenhange unbekannte Sache
übernommen wurde (vgl. Reiter, Norbert: Sozialer Status und Funktion des Wasserpolnischen innerhalb der oberschlesischen
Industriegesellschaft" in: Oberschlesisches Jahrbuch 1985/Band 1, S. 191.). Die uns heute als Annaberg bekannte Erhebung dürfte nun aber
unbestritten schon vor der deutschen Einwanderung existiert haben.
Ob die nachfolgende Erklärung zur Herkunft des Wortes Chelm stichhaltiger ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Das möchte ich lieber einem
ausgewiesenen Ethymologen überlassen. Überzeugender erscheint sie mir aber allemal:
"Vielfach hört man heute vom Chelmgebirge sprechen. Damit drückt man ein und denselben Begriff doppelt aus, denn chelm bedeutet bereits
Hügel, Berg. Wir finden das Wort in einer ganzen Reihe von indogermanischen Sprachen. Im Lateinischen erscheint es als culmen = Höhe,
Gipfel, im ehemals keltischen Sprachgebiet hat es sich als culm erhalten z.B. in Rigi-Kulm, Kulmbach. Im Germanischen hat das entsprechende
Holm die Bedeutung Insel und Hügel. Die Beziehung zwischen diesen beiden Begriffen ist leicht einzusehen, denn wenn man auf der glatten See
fährt, erscheint einem die Insel auch als Hügel. Weiter bezeichnet Holm auch die erhöhte Stätte, auf der Schiffe gebaut werden, in diesem
Sinne finden wir Stockholm und in der Bedeutung Insel den Namen Bornholm. Im ehemaligen altpreußischen Gebiete sehen wir als Bezeichnung
eines Hügels bei Stettin den Namen Golm. Im Polnischen tritt die Form chelm auf, vor allem in den Randgebieten der polnischen Sprache als
Ortsbezeichnung wie z.B. in Ostoberschlesien Großchelm. Im Russischen lautet die Entsprechung cholm. So heißt die Gouvernementsstadt im
östlichen Polen russisch Cholm und polnisch Chelm.
Aus dem Vorhergehenden geht hervor, daß man wohl vom Chelmer Land, nicht aber vom Chelmgebirge sprechen kann. Wollten wir für dieses Wort
die deutsche Form einsetzen, so müssen wir unser schönes Heimatgebirge das Holmerland nennen." (vgl. Dr. W. Mak, Das Wort chelm, in: "Aus
dem Chelmer Land" Nr. 5/1926).
Barbara Rommel
Forschungsgruppe Landkreis Groß Strehlitz
in der Arbeitsgemeinschaft ostdeutscher Familienforscher e.V.