WIR SIND EIN VOLK
Oberschlesier in Polen fordern Anerkennung
Warschau/Katowitz. Jahrelang wurden sie belächelt, als regionale Merkwürdigkeit oder
folkloristische Besonderheit abgetan. Diejenigen Oberschlesier, die sich um Anerkennung als eigenständige ethnische
Minderheit bemühten, weil sie sich weder als Polen noch als Deutsche betrachten, eckten gleich mehrfach an: In Warschau
wurde die Existenz einer nach Autonomie strebenden "schlesischen Nationalität" schlicht geleugnet, in
Oberschlesien selbst befrüchteten die Vertreter der deutschen Minderheit, dies könne zur Spaltung führen. Spätestens
seit der Volkszählung des vergangenen Jahres aber ist es offiziel. In den Fragebogen zur Nationalität gaben 173 000
Menschen an, sich als (Ober-)Schlesier in Polen zu fühlen. Damit stellen sie die größte nichtpolnische Gruppe. Zur
deutschen Minderheit in Polen bekannten sich in der Volkszählung knapp 153 000 Menschen, von denen die ganz große
Mehrheit ebenfals in Oberschlesien beheimatet ist.
Jerzy Gorzelik der Vorsitzende der "Bewegung für Autonomie Schlesiens" (RAS)
will es nun ganz genau wissen. Die Organisation, die seit mehr als zehn Jahren für die Anerkennung der Schlesier als
ethnische Minderheit kämpft, hat eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg
eingereicht, um rechtliche Anerkennung durchzusetzen. Eine Entscheidung wird bis zum Herbst erwartet.
Mit den Schlesiern sind in diesem Fall die Oberschlesier gemeint. >>Wir sind immer von allen Seiten geschlagen
worden<<, meint Andrzej Rajman aus Kattowitz. Während manche Oberschlesier sich vor allem als Deutsche oder Polen
empfanden, gab und gibt es viele, die eine Entscheidung für eine der beiden Nationalitäten ablehnen. Schlißlich
sprachen ihre Familien beide Sprachen, dazu das so genannte
Wasserpolnisch, eine mit zahlreichen deutschen und tschechischen Ausdrücken durchsetzte Umgangsprache. Nach 1945 wurden
auch die Oberschlesier, die sich geweigert hatten, während des Krieges die deutsche Volksliste zu unterschreiben, als
>>fünfte Kolone<< der Deutschen verdächtigt. Im komunistischen Polen seien die Oberschlesier als Bürger
zweiter Klasse behandelt worden, meint der Regisseur Kazimierz Kutz, der sich in der Volkszählung ebenfalls zur
schlesischen Nationalität bekannt hat: >>Aborigines, die zur Polonisierung bestimmt waren.<<
>>Wir sind ein Volk<<, meinen mittlerweile nicht nur die Autonomisten unter den Oberschlesiern. >>Wir
waren 600 Jahre außerhalb Polens, bei den Tschechen und den Deutschen<<, sagt Jerzy Bogacki, der Vizevorsitzende
der RAS. >>Unser Erbe liegt in der westlichen Kultur.<<
RAS-Chef Jerzy Gorzelik schwärmt gern von den Autonomie-Erfolgen der Wallonen oder Schotten. Vom Beitritt Polens zur
Europäischen Union erhoffen sich viele Oberschlesier deshalb mehr Eigenständigkeit für ihr >>kleines
Vaterland<<.
Eva Krafczyk
aus "Hildesheimer Allgemeine Zeitung", vom 8 VIII 2003
(wysznupou Szwager)