Die oberschlesische Frage (VII)
Der erste Korfantysche Verfassungsentwurf
Ein weiterer Schritt auf diesem Wege bedeutete dann der sogenannte Korfantysche Verfassungsentwurf, der
jedoch in Warschau als zu weitgehend, in Oberschlesien als ungenügend betrachtet wurde. Es ist von der oberschlesischen
Bevölkerung mit Freude empfunden worden, dass Korfanty für die Interessen seiner Heimat in Warschau so warm
eingetreten ist, und allgemein gab man sich der Hoffnung hin, dass er nicht auf halbem Wege stehen bleiben, sondern als
der geborene Vermittler zwischen Polen und Oberschlesien seiner schwer heimgesuchten Heimat zu der lang ersehnten, wohl
an Polen angelehnten, aber sonst selbständigen freiheitlichen kulturellen Entwicklung verhelfen wird. Der Dank eines
jeden Oberschlesiers aber auch jedes weitblickenden Polen wäre ihm gewiß.
Die Autonomie und die „Gazeta Ludowa“
Besondere Beachtung verdient ein Artiekel der „Gazeta Ludowa“ vom 5. August 1919, eines
Blattes, das die extreme polnische Richtung vertreten hat. Ausgehend von dem Autonomieprojekt Korfantys und dessen
Bekämpfung durch die Presse in Polen erhebt der Verfasser gegen diese Opponenten im oberschlesischen wie auch
polnischen Interesse entschiedenen Widerspruch. Diese Opposition in Polen könne unberechenbaren Schaden für Polen
haben. Je mehr Freiheit die Autonomie Oberschlesiens enthalte, desto größer seien die Aussichten, daß Oberschlesien
bei der Abstimmung Polen treu bleibe. „Ihr Herren, (sich an die Warschauer Adresse wendend) die ihr die bei uns
herrschenden Verhältnisse nur teilweise kennt, könnt anscheinend die Gefahren nicht übersehen, die dem polnischen
Volke seitens der Deutschen – und wahrscheinlich in allernächster Zeit – drohen.“ Die Gefahr bildeten
zwei Faktoren: Die Vorbereitung für eine Selbständigkeit Oberschlesiens von deutscher Seite und die Aufteilung des
Grundbesitzes. Schließlich erwähnt dieses auch sonst über die geheimen Vorgänge in Oberschlesien so gut informierte
Blatt die großen Gefahren, welche Oberschlesien von Seiten des allmächtigen internationalen, insbesondere
amerikanischen Großkapitals drohen. Diese wichtige Tatsache, die sich mit den Nachrichten aus dem Ausland und den
oberschlesischen Zeugenaussagen deckt, verdient später besondere Erwähnung. Mit einer Aufforderung an Warschau, die
Autonomie Oberschlesiens möglichst schnell durchzuführen, schließt dieser Artikel mit richtigen Mahnung: „Warschau
in deinen Händen liegt das Los Oberschlesiens!“
Die Zusammenkunft der oberschlesischen poln. Akademiker
Noch bedeutsamer in dieser Hinsicht ist eine Zusammenkunft vom 8. Juli 1919 von zweihundert polnischen
oberschlesischen Akademikern, die unter anderen zu der Autonomie Oberschlesiens Stellung nahmen und in einer Resolution
die Vereinigung aller an Polen abgetretenen oder abzutretenden preußischen Gebiete unter der Oberherrschaft Polens und
eine weitgehende Autonomie für diese Gebiete forderten. Die Resolution ist den Zentralbehörden in Posen und Warschau
zugeschickt worden. Es ist bezeichnend, daß endlich
Auch diese Kreise, die bisher der Autonomie, abgeneigt schienen, die Unmöglichkeit einer völligen
Verschmelzung Oberschlesiens mit Polen offen zugaben und bestrebt waren, die Interessen ihrer Heimat zu wahren. Zwar
ging auch jetzt noch ihre Absicht dahin, Oberschlesien mit Posen und Westpreußen zu verschmelzen, ohne die großen
völkischen und kulturellen Unterschiede zu beachten, die zwischen Oberschlesien und Posen bestehen und stets trennend
und hemmend auf die gegenseitige Entwickelung dieser beiden Gebiete einwirken würden.
Anschluß an Polen
Schon das Selbstbestimmungsrecht Oberschlesiens weist auf eine Sonderstellung hin, der auch die Pariser
Friedenskonferenz, besonders Lloyd George, Rechnung trägt, wenn er warnt, aus Oberschlesien ein neues Elsaß-Lothringen
in Polen zu schaffen. Die Gefahren, die seit kurzem diesem Selbstbestimmungsrecht von seiten des internationalen
Kapitalismus drohen, der den Oberschlesier in seiner eigenen Heimat seiner völkischen Eigenart berauben und dadurch
entwurzeln möchte, um ihn desto rücksichtloser ausbeuten zu können, ferner der notwendige Zusammenschluß aller
gemäsigten deutschen Einwohner vor der Abstimmung, um von vornherein eine absolute Mehrheit zu sichern, werden
hoffentlich läuternd einwirken. Das gemeinschaftliche Interesse Oberschlesiens wie auch Polens selbst erheischt das
Zusammenstehen aller oberschlesischen Kräfte und Fähigkeiten – mögen sie aus den Kreisen der polnischen
Intelligenz stammen – das Zusammenarbeiten in einem selbständigen auf der Gleichberechtigung und Freiheit des
polnischen und deutschen Volksteiles aufgebauten und an Polen angeschlossenen Oberschlesien. Solange noch die
Bodenschätze Oberschlesiens in den Händen der einheimischen Großindustriellen waren, und der Friedensvertrag noch
nicht unterzeichnet war, konnte man hoffen ein solches Ideal vielleicht auch in einer ganz selbständigen
neutralisierten Republik Oberschlesien zu verwirklichen. Nachdem aber ein Teil der Industrie Oberschlesiens in die
Hände des allmächtigen internationalen Großkapitalismus übergegangen sein soll, und dieser in Mitteleuropa eine
solche Vorherrschaft erlangt hat, wäre es fürwahr ein Verbrechen das oberschlesische Volk, besonders die
Arbeiterbevölkerung, durch Schaffung eines solch kleinen Staates der unumschränkten Herrschaft dieser egoistischen
Geldmächte auszuliefern. Mit dem Teschener Gebiet zu einem Herzogtum vereinigt und an Polen angeschlossen, zugleich
Glied des mitteleuropäischen Wirtschaftsbundes und in Verbindung mit Frankreich vermag das Herzogtum Schlesien nicht
nur der Erdrosselung durch den übermächtigen Geldkapitalismus zu entgehen, sondern es kann auch vermöge seiner
friedlichen und freiheitlichen Entwickelung durch die Entfaltung seiner früheren Energie und Arbeitskraft seinem schwer
bedrängten Mutterstamm Polen den größten Dienst erweisen. Die freiwillige Gewährung dieser Autonomie wird den
heißersehnten Zusammenschluß der meisten polnischen und deutschen Oberschlesier bewirken und eine für Polen günstige
Abstimmung in jedem Falle sichern. An Warschau liegt es also, das, was Preußen Oberschlesien trotz seiner Aufopferung
bis jetzt versagt hat, freiwillig zuzugestehen und dem erwachsenen Sohne, der nach 600 Jahren zu seiner natürlichen
Mutter zurückkehrt, diese Rückkehr dadurch zu erleichtern, daß es ihm die freiheitliche Stellung im Rahmen des
polnischen Reiches einräumt, die seiner bisherigen eigenartigen Entwickelung entspricht.
Th. Reginek
Dalyj bydzie juzas.