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14_10/2003

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Kapitel 10 – Waldemann - „der Tichauer Graf” - ein Eulenspiegel

Die vom jungen Journalisten D. D. gesammelten Anekdoten und Erzählungen über den „Grafen von Tichau, Waldemann (N)” der in der Vorkriegszeit lebte, sind ein Grund zur Überlegung und vielem Nachdenken über die sozialen und kulturellen Umstände im ostoberschlesischen Industriegebiet der 30-er Jahre unseres Jahrhunderts – die Zeit von M.Grazynski (28.8.1926 – 1.9.1939).

Er war eine Art von Eulenspiegel, der alles auf die leichte Schulter nahm und sich keine Sorgen machte über das, was der morgige Tag wohl bringen könnte. Er verlachte und verhöhnte vor allen Dingen jene Art von Menchen, die von außerhalb nach Oberschlesien kamen, um sich auf anderer Kosten zu bereichern. Seine humoristische und arglose Lebensweise geben auch eine Vorstellung der Mentalität einheimischer Oberschlesier wieder. Sogar im Angesicht des Todes, den er im Konzentrationslager Auschwitz erlitt, verlor er nicht seinen Humor und Mut, sondern verhöhnte öffentlich diejenigen, die nur für kurze Zeit in Oberschlesien verweilten. Umstände, die jenen „Grafen von Tichau” mit sich brachte, sind in Oberschlesien bis heute aktuell geblieben, in einem Lande, welches sich immer zwischen Hammer und Amboß befand und weiterhin befindet Die heutigen „Avanti Dilettanti” fürchten sich nicht vor irgendeinem schlesischen „Eulenspiegel”.

Waldemann - als Eulenspiegel der Vorkriegszeit

Sein Name lautete Waldemar N. (Ich vermeide es den vollen Namen zu nennen, da viele seiner Verwandten noch leben).

Im allgemeinen aber wurde er Waldemann genannt. Er wurde am Ende des vergangenen Jahrhunderts in Tichau geboren und stammte aus einer reichen bürgerlichen Familie. Daher hatte er auch die Möglichkeit als einer der wenigen Schlesier in Wien Jura zu studieren. Im Studium aber konnte er keine Erfolge verzeichnen, da es im kaiserlichen Wien sehr viele Kaffee- und Musikhäuser gab in welchen er mehr Zeit verbrachte als im Hörsaal der Universität. Es ist auch daher kein Wunder, daß Waldemann sein Studium nie beendete. Er kehrte nach Tichau zurück und führte im Kreise der Familie ein sorgenfreies Leben. So ein Leben aber behagte ihm nicht, da die Außenwelt ihn mit viel Verführungen lockte. Waldemann war ein Sonntagskind und Liebling der ganzen Umgebung. Alte Tichauer, welche Waldemann persönlich kannten, beschrieben ihn so: Mehr als durchschnittliche Körpergröße, graumeliertes Haar anmutige Züge. In seinem Benehmen von guterzogener und vornehmer Art machte er eher den Eindruck eines Grafensohnes als eines ehrsamen Bürgers. Er hörte es auch gerne, wenn man ihn mit Herr Graf ansprach. Er legte auch viel Wert auf gute Kleidung und vornehme Redensart. Im Sommer trug er oft einen Korkhelm nach der Art und Weise von Clark Gable und in der Winterszeit einen modernen Hut welcher unmittelbar aus Paris stammte. Seine ganze Kleidung und vor allen Dingen gelbe Offiziersstiefel erweckten großen Eindruck in Tichauer Beamtenkreisen. Angestellte aus dem Magistrat blickten auch Waldemann mit einem geringschätzenden Lächeln an, was sie aber nicht hinderte ihn in seiner Kleidung nachzuahmen.

Es dauerte nicht lange, und Waldemann hatte den Ruf eines Salonlöwen, und zwar nicht nur in Tichau, sondern auch jenseits der Grenze, welche sich nicht weit hinter Nicolai befand, und dort fing schon Deutschland an. Die deutsche Sprache beherrschte er wie Thomas Mann, polnisch sprach er wie Stefan ¯eromski, und französisch redete er wie ein gebürtiger Pariser. Diese Eigenschaften machten es ihm auch möglich in den besten Kreisen Fuß zu fassen und sich frei zu bewegen - aber auf Kosten der Gesellschaft. Von Seiten seiner Eltern aber wurde er als ungeratener Sohn betrachtet und auch so behandelt.

Waldemann verbrachte ganze Nächte als fröhlicher Lebemann in den besten Restaurants und Nachtlokalen von Kattowitz.

In den Morgenstunden hatte er große Schwierigkeiten mit der Rückfahrt nach Tichau, denn nie besaß er Geld in der Tasche, um eine Fahrkarte der polnischen Eisenbahn zu lösen. Aus einem eigenartigen Grundsatz fuhr er immer als blinder Passagier. Um aber auf den Bahnsteig zu gelangen, brauchte man unbedingt eine Fahrkarte. Diese hatte er zwar nicht, aber in seiner Begleitung befand sich oft ein böser Wolfshund der Bahnbeamte nicht vertragen konnte und immer auf sie seine Zähne bleckte. So ein Anblick löste bei den Bahnbeamten immer Angst aus und die waren froh, diesen bösartigen Hund mitsamt seinem Herrn los zu werden. Auf diese Weise gelangten beide auf den Bahnsteig.

Größere Unannehmlichkeiten aber warteten auf Waldemann im Abteil des nach Tichau fahrenden Zuges. Auf die Bitte des Kontrolleurs, die Fahrkarte zur Kontrolle vorzuzeigen, fauchte ihn Waldemann unangenehm an und drohte dem Beamten mit Arbeitsentlassung wegen Belästigung eines Staatsbeamten, denn als solcher gab er sich aus. Waldemann gelang es zwar oft den Kontrolleur hinters Licht zu führen, doch nicht immer. Als er einst auf einen pflichtgetreuen Bahnbeamten traf und sich auf die gleiche Weise benahm, wurde er als systematischer blinder Passagier vor ein Gericht gestellt, das ihm in Zukunft verbot die Staatseisenbahn zu benutzen.

Das heißt aber nicht, daß er auf seine Vergnügungen in den Nachtlokalen von Kattowitz verzichtete. Zu seiner Rückkehr nach Tichau aber benutzte er nun Automobile. Unter seinen Zechkameraden gab es oft Eigentümer dieser Fahrzeuge, die ihre Heimfahrt in Richtung Tichau antraten und Waldemann natürlich mitnahmen. Eines Tages hatte er Pech, denn keiner von seinen Zechkameraden war Autobesitzer und es war schon die höchste Zeit nach Hause zu fahren.

Am Nebentisch des Nachtlokals saß der ihm bekannte Direktor des Kattowitzer Zoologischen Gartens worauf Waldemann laut prahlte, daß er bei sich in Tichau zwei seltene Affen habe, die er zum Verkauf anbot. Der Zoologe hörte natürlich diese Worte und war gleich bereit jene Seltenheiten zu sehen und zu kaufen.

Waldemann aber stellte die Bedingung auf der Stelle nach Hause gefahren zu werden um den Verkauf der 2 seltenen Affen in die Wege zu leiten.

Der Direktor war natürlich gleich dazu bereit, bat ihn höflich in seinem Auto, Marke DKW Platz zu nehmen, und schon brausten sie nach Tichau. Hier aber wurde der Zoologe eines anderen belehrt, denn als sie das Elternhaus Waldemanns betraten, stellte er dem Direktor seine Mutter und seine Schwester vor und gab bekannt, daß jene die 2 Affen seien, welche er zum Verkauf angeboten habe.

Einige Tage darauf machte Waldemann im besten Lokal von Kattowitz, im „Monopol” die Bekanntschaft eines reichen deutschen Industriellen. In den Morgenstunden des nächsten Tages befand er sich erneut in Schwierigkeiten um nach Hause zu kommen, worauf er dem Deutschen anbot eine Reihe von Aktien der Tichauer Bierbrauerei zu verkaufen. Freilich müßten sie zu diesem Zweck nach Tichau zur Direktion der Brauerei fahren. Waldemann trat so selbstbewußt auf, daß der deutsche Industrielle ihm aufs Wort glaubte und sich sogleich anbot mit ihm nach Tichau zu fahren, denn das Auto mitsamt dem Chauffeur stand ja vor dem Lokal. In Tichau angekommen, begaben sich beide ungehindert in das Kabinet des Brauereidirektors, denn der Portier der Brauerei war von den beiden vornehmen Gestalten so tiefbeeindruckt, daß er sie ohne eine Frage zu stellen, vorbeiließ. Da der Brauereidirektor zufällig nicht anwesend war, bat Waldemann den Deutschen einen Augenblick zu warten, denn er habe etwas anderes schnell zu erledigen. Er begab sich aber nach Hause und legte sich sogleich ins Bett. Als der Brauereidirektor nach einiger Zeit sein Arbeitszimmer betrat, nahm er mit Verwunderung die Anwesenheit des Industriellen wahr und konnte sich nichts erklären. Das Rätsel aber war bald gelöst und beide Ehrenmänner nahmen die Sache mit Heiterkeit auf.

Es gab aber auch Situationen in denen unter keinen Umständen ein Auto aufzufinden war, um nach Tichau zu gelangen. In so einer Lage befand sich unser Held im Jahre 1937. Aber auch hier wußte er sich zu helfen. Mit zwei seiner Zechkameraden, und zwar einem bekannten Kattowitzer Arzt, dem Dr. Niebuhr und einem Rechtsanwalt beschlossen sie, gemeinsam einen Ausflug zu machen. Da ihnen aber kein Auto zu Verfügung stand, beschloß Waldemann ein Fahrzeug im Autosalon zu kaufen, und zwar einen „Mercedes” - obwohl er keinen einzigen Groschen in der Tasche hatte. Vor dem Kauf mußte das Auto ausprobiert werden. Die Freunde überlegten lange, ob die Richtung nach Krakau oder Tarnowitz eingeschlagen werden sollte. Endlich entschied man sich in Richtung Bielitz zu fahren, natürlich über Tichau. Als sie neben der Bierbrauerei vorbeifuhren, schlug Waldemann vor, im Parkrestaurant ein Bier zu sich zu nehmen, und dieser Vorschlag wurde von seinen Freunden mit Begeisterung aufgenommen. Der Kellner hegte keinen Zweifel darüber, daß Waldemann als ständiger Gast die Rechnung für das aufgetischte Bier bezahlen würde und hatte auch daher keinen Verdacht, als er sich erhob, um zur Toilette zu gehen. Natürlich begab er sich sofort nach Hause, um seinen Rausch auszuschlafen.

Seine beiden zurückgebliebenen Freunde sahen sich gezwungen, die Rechnung zu bezahlen, denn zu allem Überfluß mußten sie mit der Eisenbahn nach Kattowitz zurückkehren, denn der Chauffeur des „Mercedes” hatte keine Lust, die beiden „Schwindler” nach Hause zu fahren.

Als 1939 der II. Weltkrieg ausbrach und Tichau sich unter der Herrschaft des Dritten Reiches befand, änderte Waldemann sein Verhalten nicht. In Tichau sprachen zwar alle deutsch, aber es war ein ganz einfaches „Arbeiterdeutsch” doch für jedermann verständlich. Waldemann dagegen bediente sich eines vornehmen „Hochdeutsch”, das bei der neuen Herrschaft großen Eindruck erweckte. Zu seinem Unglück begann Waldemann zu verbreiten, daß er mit Adolf Hitler in Wien gemeinsam studiert habe und daher sei der Führer des III Reiches einer seiner Freunde. In der Tat befanden sich beide zu gleicher Zeit in Wien - hatten sich aber nie von Angesicht zu Angesicht gesehen. Da Waldemann auf so eine Bekanntschaft pochte, erbot er sich gegen anständige Bezahlung, einige schlesische Aufständische aus dem Gefängnis zu befreien in das sie von der Gestapo eingesperrt worden waren. Er begab sich zu den Familien der so hart Betroffenen, die ihm auch das Geld sogleich aushändigten. Dank seinem selbstbewußten Auftretens und seiner Unverfrorenheit bei der Gestapo gelang es ihm tatsächlich einige schlesische Aufständische von 1921 aus dem Kerker zu befreien. Nun lebte Waldemann erneut in Saus und Braus - aber nicht mehr lange.

Schwere Zeiten kamen für unseren Helden als die deutschen Behörden einen Erlaß in Kraft setzten auf Grund dessen jeder deutsche Staatsbürger verpflichtet war, einer Beschäftigung nachzugehen. Waldemann aber glaubte, daß jener Erlaß ihn nichts angehe, denn er war ja „Graf” und Grafen arbeiten bekanntlich nicht. Der deutsche Tichauer Bürgermeister war anderer Meinung. Er befahl der hiesigen Polizei diesen sonderbaren „Heiligen” ins Rathaus zu bringen, wo der Bürgemeister persönlich ihm eine Arbeitsstelle zuwies. Als Antwort darauf wandte sich Waldemann mit einem Schreiben an Adolf Hitler in dem er hervorhob, daß es, wenn es viele solcher Bürgermeister in Deutschland gäbe wie jener in Tichau, der Führer auf einen Sieg in diesem Kriege nicht zu rechnen brauche. Hier schien Waldemann das Ergebnis des Krieges richtig vorausgesehen zu haben. Daraufhin wandte sich die Reichskanzlei nicht an ihn sondern an die Kattowitzer Gestapo jenen Waldemann N. unter die Lupe zu nehmen. Das Ergebnis der Nachforschungen war, daß Waldemann als notorischer Arbeitsverweigerer in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht wurde - und hier endete auch sein Lebensweg, eher als er selbst daran glaubte.

Bis an sein Lebensende, behielt Waldemann sein unverfrorenes Selbstbewußtsein. Während eines Appells schrie er den Lagerkommandanten Rudolf Höss an, daß mit seiner Verhaftung ein Irrtum begangen worden sei und wenn man Waldemann nicht auf der Stelle mit der Reichskanzlei verbinden würde, könne der Kommandant mit einer Strafversetzung an die Ostfront rechnen. Solch eine bodenlose Frechheit hatte in diesem Todeslager niemand erwartet. Auf alle Fälle aber wandte sich der Lagerkommandant in dieser Sache telefonisch nach Berlin und was er von dort zu hören bekam, war nicht angenehm. Fest aber steht, daß Waldemann einige Tage später in Auschwitz hingerichtet wurde.

Sein leichtsinniges Leben und tragischer Tod sind heute in Tichau zu einer Legende geworden. Noch lange nach dem Krieg wandten sich Tichauer Frauen an ihre Männer und Söhne wenn sie angeheitert nach Hause kamen mit den Worten: „ Lebe so wie Waldemann, so wirst Du auch wie Waldemann enden”.

Übersetzung –
Peter Karl Sczepanek
aus meinem Buch „Schlesische Reminiszenzen“ Tychy, 1999, mit 14 Kapitels, mit Bildern von I. Botor.

(Bemerkungen: Der Waldemar Nies..., (1882-1943) mein Großonkel geboren in Leschnitz O/S, war Bruder meiner Großmutter Waleria Sczepanek (1887-1854)


Das schlesische Trilaterale-Prinzip in den 20-30 Jahren des XX Jahrhunderts ist wie eine Seifenblase geplatzt.

Und was hat der „Tichauer Graf” getan – er „kämpfte” um seine Heimat. Überzeugen wir uns selbst, was der „Eulenspiegel” in Ostoberschlesien, in der Zeit gemacht hat.

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Einige Tage darauf machte der „Tichauer Graf” im besten Lokal von Kattowitz, dem „Monopol”, die Bekanntschaft eines reichen deutschen Industriellen.

Peter Karl Sczepanek Monheim/Rh,
den 28.8.2003
Eisenstädter Str. 6
40789 Monheim am Rhein
Tel/Fax 02173-66742
e-Mail: Silesia-Info: sczepanek@gmx.de


 

 


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