Der Badestrand am Zawalisko
In einer Talmulde zwischen Rydultau, Pschow und Krzyschkowitz lag unser Badestrand,
Zawalisko genannt, Es war ein kleiner See in der Form eines unregelmäßigen Ovals, sein Längendurchmesser betrug ca.
300 Meter. Wie der Name besagt, war es eine Erdeinbruchstelle. Ein unterirdischer Stollen der nicht weit vom Zawalisko
entfernten Annagrube in Pschow brach in sich zusammen und bildete auf der Erdobertläche eine große, weit ausgedehnte
Vertiefung. Die vielen unterirdischen Quellen, welche laufend die Grubenstollen und Erdhöhlen füllten, trugen
wesentlich zu dieser Erdbewegung bei. Es entstanden tiefe, trichterförmige Löcher, welche sich mit dem vorhandenen
Quellwasser füllten. Aus diesem Grunde war das Wasser vom Zawalisko immer kalt und ziemlich klar, sein Untergrund war
zerklüftet und stellenweise sehr tief und hatte auch einige Strudel. Im allgemeinen ähnelte der Zawalisko einem
kleinen Gebirgssee, denn nicht nur die Entstehung, die Tiefe und die Beschaffenheit des Wassers, auch seine Ufer waren
etwas steil und zum Teil mit Gras bewachsen, von Sand war keine Spur.
Der Name Zawalisko flößte uns Kindern immer etwas Angst ein, denn so mancher
unvorsichtige Schwimmer hat dort sein Leben gelassen. Unsere Eltern gaben uns nur ungern die Erlaubnis, im Zawalisko
baden zu gehen und wenn, so mußten wir hoch und heilig versprechen, nur unmittelbar am Ufer zu baden. Die meisten von
uns waren Nichtschwimmer, auch gab es damals keine Schwimmlehrer und Aufsichtspersonen an unserem Badestrand, somit mußten
wir schon in eigenem Interesse und aus Erhaltungstrieb nur an diesen Stellen baden, wo der Untergrund eben und flach
war. Wagte sich ein Nichtschwimmer an eine andere unbekannte Stelle des Sees, so konnte er in der plötzlich in die
Tiefe gehenden Erdspalte ertrinken. Ein SchulkolIege von mir, der Steffek Zymelka, konnte auch nicht schnell genug ins
Wasser kommen, erhitzt und unmittelbar nach dem Mittagessen stürzte er sich ins Wasser, wagte sich zu weit hinaus und
kam nie wieder zurück. Der Zawalisko behielt ihn für immer bei sich. Das Baden war damals mehr eine Angelegenheit der
Männewelt, das weibliche Geschlecht war in den zwanziger Jahren noch schamhaft, keusch und schüchtern. Kein Mädchen hätte
sich seinerzeit, so wie heute, nur in einem knappen Bikini an die Öffentlichkeit gewagt. Die heutige Generation übertreibt
bald alles. Stundenlang braten sie in der Sonne und können nicht genug braun werden. Verschiedene Öle und Fette, die
sie auf den Körper schmieren und die nebenbei gesagt nicht billig sind, sollen der Sonne das Schmoren ihrer Körper
erleichtern. Die Frauenwelt schlägt bei dieser heutigen Sonnenanbeterei besonders über die Stränge; die menschliche
Haut, besonders die zarte Haut der Frauen, kann bei einer zu langen und intensiven Sonnenbestrahlung starke Schäden
davontragen. Oft stellt sich davon ein Sonnenbrand verschiedenen Grades ein. Die schöne zarte Gesichtsfarbe und Haut
der europäischen Frauen, um die sie von Millionen andersfarbiger Frauen der Welt beneidet werden, wird durch die lange
Sonnenbestrahlung und die verschiedensten dabei zur Anwendung kommenden Make‑ups stark geschädigt, sie wird
schlaff und welk, die Farbe nimmt einen undefinierbaren häßlichen Ton an, die Frauen sehen alt und verwelkt aus. An
diesem Beispiel kann man sehen, wohin Geld, Dummheit, Eitelkeit und Sex führen können.
Die Verhältnisse haben sich auch heute in unserer oberschlesischen Heimat nicht
allzuviel geändert, der Zawalisko ist der alte geblieben, die Menschen sind nicht so übertrieben, huldigen auch nicht
so dem Sonnengott. In den Schulen gibt es nicht so große und feudale Schwimmbecken, wie hier im Westen, welche mit
Millionen Schulden lasten erbaut werden. Das Leben in Oberschlesien geht noch mehr seinen alten Gang, der Oberschlesier
ist ein konservativer Mensch. Übertreibungen, wie sie im Westen an der Tagesordnung sind, liegen uns nicht, wir können
darüber höchstens nur lächeln oder, wenn sie uns persönlich angehen mit einem kräftigen "Pierona" darüber
schimpfen.
Der Zawalisko mit seinem Badestrand erweckt noch heute in mir freudige, aber auch
traurige Erinnerungen. Wir hatten da nicht nur gebadet, oft spielten wir im Grase liegend einen zünftigen Skat oder
vertrieben uns die Zeit mit Plaudereien und Fachsimpeleien, stellten Betrachtungen über das Wetter, die Mitbadenden
oder die uns umgebende Natur an. Oft spielten wir auch mit dem Ball oder machten Turnübungen. Wenn die Sonne sich
hinter den Wolken versteckte und wir fröstelnd aus dern Wasser stiegen, so machten wir einen Wettlauf in den nicht weit
entfernten Wald, wobei jeder von uns als Erster am Waldrand sein wollte. Wir hatten recht viel Frohsinn, Lebenslust und
Ehrgeiz. Alles war so harmonisch und ausgeglichen, freundlich und kameradschaftlich, so einfach wie wir sind, so war
auch unser Tun und Treiben.
Leopold Walla
Aus dem Buch "So lebten wir in Oberschlesien"