Die oberschlesische Frage
(Teil IV)
Sitzung des Provinzial-Volksausschusses vom 30. XII. 1918
Diese Zugeständnisse erfüllten die hakatistischen Kreise, die jetzt eine Abrechnung befürchten
mussten mit noch größerem Schreck. Immer dringendere und intensivere Hilferufe der oberschlesischen Hakatisten und
Regierungs-Sozialdemokraten kamen nach Berlin. Da entschloß sich die neue preußische Regierung endlich, öffentlich
dazu Stellung zu nehmen. Für den 30 Dezember 1918 wurde eine vertrauliche Versammlung aller Regierungsvertreter und der
Regierung genehmer oberschlesischer Vertreter im Rathaus zu Breslau anberaumt. Ueber diesen Provinzialvolksausschuß,
der für die preußische Geschichte Oberschlesiens eine so verhängnisvolle Bedeutung haben sollte und darum ganz
besondere Beachtung verdient, teilt die Pressestelle des Volksrates zu Breslau, Zentralrat für die Provinz Schlesien,
Folgendes mit: „Die in den letzten Wochen hervorgetretenen separatistischen Bestrebungen in Schlesien und
besonders in Oberschlesien hatten Veranlassung gegeben, für Montag, den 30. Dezember 1918 den Provinzialausschuß für
Schlesien im Breslauer Rathaus zusammenzurufen. Der Sitzung präsidierte der preußische Minister des Innern Hirsch. Ihr
wohnten ferner der Volksbeauftragte Landsberg, Vertreter aller Regierungsbehörden mit Oberpräsident Dr. von Guenther
an der Spitze, ferner Vertreter aller politischen Parteien, des Zentralsoldatenrates und der militärischen Behörden
sowie der oberschlesischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerkreise bei. Die Verhandlung berührte in der Hauptsache die
tschechische und die oberschlesische Frage .... In der oberschlesischen Frage wurde nach eingehenden vielstündigen
Verhandlungen, in denen alle Gründe besprochen wurden, die für eine Lostrennung Schlesiens und Oberschlesiens vom
Reiche überhaupt in Betracht kommen, die nachstehende
E n t s c h l i e ß u n g
Nahezu einstimmig gefasst:
1. Alsbaldige Besetzung leitender Stellen und politischer Beamtenstellen mit Männern, die Verständnis
für die Besonderheiten der Verhältnisse Oberschlesiens haben und Vertrauen bei der Bevölkerung genießen, unter
weitest gehender Heranziehung katholischer, polnisch sprechender Männer wird zugesagt.
2. Das Verhältnis von Kirche und Staat in religiöser, politischer und wirtschaftlicher Beziehung kann
nur unter Wahrung aller berechtigten Wünsche Oberschlesiens auf gesetzlichen Wege und nach Einvernehmen mit den
kirchkichen Behörden geändert werden.
Die Erteilung des Religionsunterrichtes in den öffentlichen und privaten Schulen darf gleichfalls nur
unter Wahrung aller berechtigten Wünsche Oberschlesiens auf gesetzlichem Wege geregelt werden.
Dabei wird die Regierung mit aller Macht eintreten für die Freiheit der Religionsübung, für den
Religionsunterricht in der Muttersprache in der Schule und für die Unversehrtheit des kirchlichen Vermögens.
3. Eine eigene Delegatur des fürstbischöflichen Stuhles für Oberschlesien mit dem Sitz im
Industriebezirk wird bei kirchlicher Stelle erbeten werden.
4. Vor dem Erlaß von Anordnungen, die wichtige oberschlesische Interessen berührten , hat die
Zentralregierung mit den zuständigen schlesischen Behörden Fühlung zu nehmen.
5. Ein besonderer Kommissar für Oberschlesien wird beim Oberpräsidium und dem Zentralrat für
Schlesien zur ständigen Vertretung der Wünsche Oberschlesiens bestellt werden.
Die Zusammensetzung des Provinzialvolksausschusses ließ jedoch für den Geist und die Durchführung der
gefassten Beschlüsse Schlimmes befürchten. Als offizielle oberschlesische Volksvertreter und Sachverständige hatte
man drei Hakatisten reinsten Wassers, einen jüdischen Sanitätsrat, einen evangelischen Oberbürgermeister und einen
freisinnigen Stadtschulrat eingeladen, die sich noch bis in die jüngste Zeit durch „eifrige Förderung der
deutschen Kultur“ in Oberschlesien ausgezeichnet hatten, im Denken und Fühlen der oberschlesischen Volkspsyche
dagegen vollkommen fremd geblieben waren.
Daneben waren noch einige evangelische Herren aus Kreutzburger Gegend anwesend. Katholische deutsch und
polnisch sprechende Oberschlesier fehlten im offiziellen Vertreterkreise ganz. Als Gäste waren nur einige
oberschlesische Juristen erschienen. Vom Komitee der Oberschlesier bekamen durch Vermittelung eines der Gäste drei
Vertreter die Erlaubnis zur Teilnahme, jedoch erst nach sorgfältiger Prüfung ihrer Polenimmunität, obwohl zwei von
ihnen der polnischen Sprache überhaupt nicht mächtig waren. Gewiß aber war ihre katholische Ueberzeugung Grund genug,
um sie nicht mehr als vertrauenswürdig einzuschätzen. Der Verlauf der Sitzung bewies, dass die neue Regierung und ihre
oberschlesischen Vertreter und Sachverständige selbst aus den letzten Vorgängen in Oberschlesien nichts gelernt hatten
und in ihrem kurzsichtigen Optimismus sich nicht belehren lassen wollten. Oberschlesien galt ihnen auch weiter als das
arme Aschenbrödel, das sich mit ein paar Versprechungen abweisen ließe. Alle Warnungen vor den drohenden Gefahren und
alle Bitten der Vertreter des oberschlesischen Komitees, Oberschlesien entgegenzukommen und durch die Verleihung der
Autonomie auf die aufgeregten Gemüter versöhnend einzuwirken, prallten wirkungslos ab, zumal die offiziellen
„Kenner“ Oberschlesiens die Lage im rosigsten Lichte schilderten und die oberschlesische Bevölkerung für
durchaus deutschfreundlich und der preußischen Regierung zugetan erklärten. Selbst eine etwaige Volksabstimmung sei
nicht zu befürchten. Nur müsse die preußische Regierung bestrebt sein, durch den erforderlichen Schutz ihre Autorität
zu wahren. Der Oberschlesier sei für die revolutionäre Freiheit noch nicht reif und müsse durch die frühere
Gewaltpolitik erst wieder zur Ordnung und Arbeitsamkeit sowie zur Vaterlandsliebe gebracht werden. Darum müsse, wie
dies auch die Pressestelle berichtet, die Regierung bereit sein, alles, was in ihren Kräften stehe, nach dieser
Richtung hin zu tun. Die Regierung bezw. Landsberg erklärte sich auch bereit, diesen Schutz (gemeint ist die Militärmacht
bezw. Der spätere Grenzschutz) entweder direkt von Berlinaus zu gewähren oder in der Weise zu dirigieren, wie es in
den vorliegenden Anträgen („der oberschlesischen offiziellen Volksvertreter- und beglückter“) verlangt
wurde.
Daß die Versammlung infolge ihrer sonderbaren altpreußischen Zusammensetzung und der noch
sonderbareren Aufklärung durch die drei offiziellen Vertreter sowie nach der schneidigen Attacke des Volksbeauftragten
Landsberg, der den Oberschlesiern den wohlgemeinten dringenden Rat gab, lieber unterzugehen als nur den Versuch zur
eigenen Rettung zu machen und nach alten preußischen Muster alle Loslösungsbestrebungen mit der Staatsgewalt bedrohte,
fast einstimmig den Gedanken einer Autonomie Oberschlesiens ablehnte, war von vornherein jedem klar. Gewagt ist es aber
vom preußischen Staatsminister Heine, im Juli 1919 in der Nationalversammlung zu Weimar zu erklären, dass
oberschlesische Volk hätte die Selbständigkeit als Aristokraten- und Kapitalistenmache abgelehnt. Denn die drei
offiziellen oberschlesischen Vertreter, die sie ablehnten, waren ohne Wissen und Willen des Volkes, das sich für diese,
ihm politisch und religiös gänzlich fremden Herren energisch bedankt hätte , bestellt worden. Treffend war der
Ausspruch eines der Herren über die Haltung der neuen Regierung in der Polenpolitik: sie habe nur den Schafpelz an
Stelle der Uniform angezogen, um die polnischen Schafe um leichter betölpeln zu können. Auf ein verständnisvolles
Entgegenkommen von Seiten der preußischen Regierung war nach diesem Aushang der Versammlung nicht mehr zu rechnen. Sie
bedeutete den Todesstoß für manchen noch deutschfreundlichen Oberschlesier, der auf friedliche Weise im Einvernehmen
mit der preußischen Regierung die Lösung der oberschlesischen Frage ersehnt hatte. Das Misstrauen der
Vor-Novemberfrage, ja gänzliche Hoffnungslosigkeit inbezug auf entsprechende kulturelle Bewegungsfreiheit der
Oberschlesier im Einvernehmen mit der neuen Regierung zogen jetzt weite Kreise.
Th. Reginek
dalyj bydzie juzas.
Szwager