Der Federball
Sobald meine Schwestern ins heiratsfähige Alter kamen, mußte meine Mutter für die
Aussteuer, in erster Linie für die Betten, sorgen. Zu diesem Zwecke wurden zu Hause einige Gänse gehalten und
dieselben im Laufe des Jahres wiederholt gerupft. Die Federn wurden in einem großen Leinensack gesammelt und für den
Winter aufgehoben. An den langen Winterabenden kamen dann Freundinnen und Bekannte zum Federschleißen. Wir versammelten
uns meistens in der Küche, der große Küchentisch wurde in die Mitte gestellt und wir saßen rings um diesen herum.
Auch wir Kinder durften beim Federschleißen mitmachen. Jeder Teilnehmer bekam einen großen Topf auf den Schoß, die
Mutter schüttete die zum Schleißen bestimmten Federn auf den Tisch und nun nahm sich jeder eine Handvoll Federn und
befreite jede einzelne vom Stiel und gab sie in den Topf; den Federstiel ließ man auf den Boden fallen. Anfangs
bereitete uns das Federschleißen noch einige Schwierigkeiten, aber bald beherrschten wir die Technik und ohne auf die
Federn schauen zu müssen, ging die Arbeit flott von der Hand. Unter den Versammelten kam bald ein munteres Gespräch
auf.
Man erzählte von allerlei Dingen, vom Tagesgeschehen, von den Freunden und Nachbarn,
von der bevorstehenden Hochzeit usw. Als die üblichen Gesprächsthemen erschöpft waren, ging man dazu über, "Bäre
und Bojki" zu erzählen. Es fanden sich immer einige Begabte unter uns die es besonders gut verstanden, vom
Berggeist oder vom Pistulka die schaurigsten Geschichten hervorzubringen. Wenn wir des Erzählens müde wurden, reichte
die Mutter belegte Schnitten zur Stärkung in der Reihe herum, zwischendurch sammelte sie die geschlissenen Federn in
einer hierfür bestimmten großen Zieche. Selbstverständlich hatten die Frauen und Mädchen ein Tuch um den Kopf
gebunden, denn das Entfernen der kleinen Federn aus den Haaren war mit großen Schwierigkeiten verbunden. Es wurde oft
spät, bis sich die ganze Gesellschaft auflöste und nach Hause ging. Als wir alleine waren, halfen wir noch der Mutter,
die am Boden verstreuten Federkiele einzusammeln, denn aus denselben wurden noch Sofakissen gefüllt. Sobald der Vorrat
der noch nicht geschlissenen Federn zur Neige ging, wurde über den bevorstehenden Federball eifrig gesprochen, denn er
war der festliche Abschluß des Federschleißens und zugleich die Belohnung hierfür. Es war eine Ehrensache der
Freundin beim Federschleißen zu helfen.
Der Federball wurde meistens Ende Februar, Anfang März gefeiert. Schon die
Vorbereitungen für denselben machten uns viel Freude. Wir holten aus dem Walde Tannengrün und machten daraus
Girlanden. Die Schwestern zauberten bunte Papierblumen hervor und verschönerten damit die Girlanden. Für den Federball
wurden die Zimmer ausgeräumt, um recht viel Platz für Tanz und Spiel zu schaffen. Die Dekken und Wände wurden mit
Girlanden und Lampions geschmückt; die Mutter war fleißig beim Pfannkuchenbacken und versteckte in so manchem anstatt
Pflaumenmus ein Geldstück, einen Liebeszettel oder andere kleine Gegenstände. Auch Punsch und Glühwein durften nicht
fehlen.
Als es dunkel wurde, stellten sich die ersten Gäste ein. Es waren meistens die
Teilnehmerinnen vom Federschleißen und ebenfalls so viele Kavaliere, denn der Federball diente auch dazu, so manches
zarte Liebesband zu schließen. Alle waren festlich gekleidet, die Mädchen in Tanzkleidern, die Kavaliere in Dunkel mit
steifem Kragen. Da meine beiden Brüder Klavier und Geige spielten und unser Hausfreund Fritz Wiesner das Cello dazu
erklingen ließ, so war bald Stimmung unter der jungen Gesellschaft. Wir kannten früher keine Tanzschulen, der
Federball diente auch noch dazu, so manchem jungen Mann die ersten Tanzschritte beizubringen; die Mädchen brauchten das
Tanzen meistens nicht zu lernen, der liebe Gott legt ihnen diese Kunst schon in die Wiege.
Der Federball war nicht nur ein Tanzabend, auch die Gesellschaftsspiele kamen zu ihrer
Geltung. So hat zum Beispiel "die kleinste Frage der Welt" recht viel Heiterkeit jeweils hervorgerufen. Auch
"Hänschen piep einmal" oder "ich bin böse auf Dich", "der Flaschentanz", "was
bringt die Zeitung mit", der "Wunderspiegel" usw. brachten recht viel Fröhlichkeit mit sich. Das an die
Gesellchaftsspiele anschließende "Pfänder verteilen" rief viel Spaß hervor und wollte gekonnt sein. Der Höhepunkt
vom Federball war die "Polonaise". Dabei durchstreiften wir das ganze Haus vom Boden bis zum Keller, auch Hof
und Garten kamen an die Reihe. Mein Vater, als Meister der Ziehharmonika, spielte zu diesem fröhlichen Tanz auf und
begleitete seinen Weg. Der Uhrzeiger rückte immer weiter und niemand wollte nach Hause. Erst spät nach Mitternacht löste
sich die Gesellschaft auf, todmüde und fröhlichen Herzens fand man den wohlverdienten Schlaf. Der Federball war in
unserer oberschlesischen Heimat doch was herrliches. Der Hang zur Fröhlichkeit, der Wille zum Gelingen eines Festes
beizutragen, die Gesangsfreudigkeit und Liebe zur Musik sind uns eigen. Ohne diese Voraussetzungen kann ein Fest nicht
gelingen. Nur wenige Völker können sich so an Spiel, Tanz und Gesang erfreuen, für uns ist es eine Selbstverständlichkeit
und wie groß der Unterschied ist, sehen wir bei unseren landsmannschaftlichen Treffen. Wir sind dann so wie Kinder
unbefangen und unkompliziert und geben uns der Freude, dem Spiel, Tanz und Gesang so hin, wie wir sind.
Dr Leopold Walla
Aus dem Buch "So lebten wir in Oberschlesien"