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10_12/2002

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Ein starkes Weib - das Leben der Hedwig von Schlesien

Gott hat mir Engel gesandt, Heinrich, sagte die Fürstin mit einem kleinen Lächeln. Der Engel hat mit mir geredet in meinem Traum. Schön war der eine Engel. Er war dir ähnlich. Als du jung warst. Ein zweiter Engel stand ihm zur Seite. Der war ernster. Die Engel zeigten mir mein Leben, wie es war. Ich las mit ihnen in meinem Leben wie in einem offenen Buch. Ich habe ein Leben voller Freuden geführt. In Liebe und Geborgenheit. In angenehmer Bequemlichkeit. Ich habe mich wohl gefühlt in diesem Leben wie unter einem warmen Federbett im Winter. Ich war träge und leichtsinnig geworden, dünkelhaft und eigennützig

Aber Hedwig, unterbrach sie Heinrich, du, die Nimmermüde, immer um andere Besorgte. Wie solltest du - träge, hochmütig gewesen sein. Niemals... Das konnte dir ein Engel nicht gesagt haben.

Das hat er auch so nicht gesagt, aber ich habe es so verstanden. Doch jetzt weiß ich es mit Sicherheit - mein Leben, es war ein sündhaftes Leben. Als ich in mein tiefes Leid fiel, begann ich das zu verstehen.

Das Leben ist nicht dazu da, sich daran zu erfreuen.

Mir hat es Freude gemacht, das Leben, wie ich es lebte, wie es mir zugefallen war. Doch es war ein Leben fürs Leben. Meine Gebete betrafen das Leben. Ich betete für das Wohlergehen meiner Familie, für unser Land, für die Menschen um mich. Aber das ist zu wenig.

Die Stimme Gottes, die in uns summt, nahm ich kaum noch wahr. Ich war fröhlich, wie eine glückliche Frau in der Welt fröhlich ist, umgeben von Prunk und Glanz. Aber ich hörte nie mehr in der Stille die Engel jubelieren... Meine Seele saß in einer Ecke in mir und weinte.

Jetzt aber will meine Seele hinaus aus dem goldenen Käfig, aus dem verderblichen Leib, meine Seele will fliegen... In Gott schweben. Frei sein von irdischen Zwängen.

Wie denn das... fragte Heinrich erschrocken. Woran denkst du. Du bist kein Engel, Hedwig. Du bist ein Weib. Du bist mein Weib. Was soll ich mit einem Engel. Ich brauche dich, wie du bist, wie du warst. Hadi... Gott hat uns dieses Kind gegeben und Gott hat es uns genommen. Wie die anderen auch. Gott wird uns wieder Kinder schenken.

Und wieder nehmen, sagte Hedwig bitter. Nein, Heinrich. Ich will nicht mehr. Ich habe meinen Weg gefunden, helfe mir, wenn du kannst. Oder lass mich meines Weges gehen.

Heinrich sah zum Fenster hinaus, die Wipfel der Bäume rauschten leicht, die Düfte des Gartens drangen bis in das Stübchen im Turm hinauf. Jetzt spürte er in sich den Schmerz, von dem seine Frau sprach, von dem sie meinte, sich befreit zu haben. Jetzt kam der Schmerz zu ihm. Der Schmerz, den sie ihm antat, indem er sie verlor. Dieser Schmerz würde wachsen und alles andere in ihm überwuchern, spürte er.

Er schwieg.

Hedwig fuhr fort. Das Leben ist eine Wanderschaft. Es ist uns gegeben, damit wir Gott suchen. Hinaufwachsen zu ihm. Hinauswachsen aus dem Leben. Über uns hinauswachsen. Dazu brauchen wir den Schmerz. Ich weiß nicht, wie ich dir sagen soll, was ich empfinde. Ich spüre Etwas in mir, ein Licht, mal heller, mal schwächer, dann wider verschwindend im Dunkel. Ich spüre, ich habe eine Spur gefunden, einen Weg, nur einen Pfad. Einen schmalen Weg, einen unsicheren Pfad. Aber... es ist mein Weg. Es ist ein Weg, der mich von dir weg führt.

Verzeih mir, wenn du kannst.

Heinrich schwieg und Hedwig fuhr fort.

Ich habe mein Leben gern gelebt. So wie es war. Ich war behütet als Kind, dann geliebt von einem Mann, den auch ich liebte, geliebt von den Kindern, von den Leuten. Bewundert für meine Klugheit.

Es war so einfach. Es genügte, ein braves Kind, und dann ein braves Weib zu sein. Meine Pflicht zu erfüllen als Fürstin.

(-)

Der Schmerz, der Engel halfen mir zu erkennen: Dieses Glück war mir nur geliehen. Und es war mir als Versuchung geliehen. Ich war glücklich, während so viele andere unglücklich waren. Arm, krank, einsam, vom Leben verstoßen, hungrig. Das mit Aussatz geschlagene Weib, das vor meinen Augen verendete. Das war ein Zeichen. Ich habe es übersehen.

Ich lebte auf der Sonnenseite des Lebens. Ich sah das Elend der Menschen nicht ohne Mitleid. Ich half, wo ich konnte. Aber es blieb mir fremd. Als ich aber selbst von einem Unglück nach dem anderen heimgesucht wurde und ich selbst ins Dunkle fiel und dann allmählich erwachte aus der Dunkelheit meiner Seele, fragte ich mich: Warum sollte ich glücklich sein, wenn so viele andere leiden?

Meine Träume, sagte sie und verstummte. Nein, diese Träume konnte sie ihm nicht erzählen.

(-)

Dann begann sie noch einmal. Meine Träume... Wieder kamen die Engel zu mir.

Der eine nahm mich an der Hand und zeigte mir Menschen auf ihren Wegen. Unendliche Menschenscharen, die vor sich herzogen. Vorbeiströmende Gesichter und Gestalten, mit halboffenen Augen und schlaffen Lippen. Immer die gleichen, aber nicht die selben. Gesichter und Gestalten. Ein wimmelndes Gewebe. Die Menschenscharen zogen durch Täler und Wälder, überquerten Flüsse und Berge. Strömten durch Blut und Kot. Strömten ins Ungewisse. Ins Unendliche. Elendig alle. Sterbliche Menschen. Geboren zum Tode. Ins Leben geworfen. Armselige Wesen, die nichts über sich wissen.

Der Engel sagte zu mir: Das ist Gottes Menschenschar. Seitdem sie der Herr aus dem Paradies verjagt hat, strömen sie so vor sich hin, Tage und Nächte lang. Jahrein, jahraus. Jahrhunderte, Jahrtausende lang. Manchmal rotten sie sich zusammen und schlagen auf sich ein, als könnten sie in den anderen ihre eigene Erbärmlichkeit und Sterblichkeit erschlagen.

Und der andere Engel sagte: Das ist Gottes Sauerteig, in dem Er Menschen zu Engeln werden lässt. Gott lässt einige Tropfen Sehnsucht nach Vollkommenheit in diese Masse fallen und sieht lächelnd zu, wie es wächst. Gott schenkt diesem oder jenem einige Tropfen Sehnsucht nach Licht und wartet, dass sie aufgeht. Das sind seine Erwählten.

Es wurde wieder dunkel um mich und ich fror. Doch plötzlich spürte ich: die Engel haben den Käfig, in dem ich ängstlich saß, aufgestoßen. Und ich war frei. Ich konnte hinausfliegen. Mich zu Gott erheben. Schweben im Licht. Und ich wusste - Gott hat auch mich erwählt.

Das alles träumte und sah ich auf meinem Krankenlager. Und fortab dankte ich Gott für meinen Schmerz.

Was soll das bedeuten, fragte Heinrich, was willst du tun? Er sah, wie sich das blasse Gesicht seines Weibes rötete und ihre Augen zu glänzen anfingen. Aber er sah - dieser Glanz, der einst ihm galt, war nicht mehr für ihn bestimmt

(-)

Die dritte Engelsbegegnung erzählte sie ihm nicht mehr. Eines Abends, als sie im Walde umher ging, nachdachte und betete, spürte sie plötzlich wieder die Anwesenheit der Engel. Eine Engelsstimme sagte in ihr:

Du bist nicht für dich, du bist für die andern da.

Nur wer fest in Gott steht, kann andern helfen.

Liebe die Menschen, wie sie sind. Denn jeder Mensch braucht mehr Liebe, als er verdient.

Das war der dritte Traum und die Lösung ihrer Träume. Die Antwort auf ihre Fragen. Licht war in ihr. Und sie wusste, sie durfte das niemandem sagen, denn Engelsworte werden leicht zu Menschenworten und verlieren dadurch ihre Kraft

Renata Schumann

Fragmente aus: „Ein starkes Weib - das Leben der Hedwig von Schlesien“ Ein Roman aus dem 13.Jh. (St.Ulrich Verlag Augsburg, 1996)


 

 


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