Oberschlesien und Nordrhein-Westfalen
Besonders das Ruhrgebiet ist mit Oberschlesien vielfältig verbunden. Das gilt sowohl für die historischen
Beziehungen zwischen den beiden Industrieregionen, die vor allem durch die Zuwanderung oberschlesischer Menschen ins Ruhrgebiet
gekennzeichnet sind - Erwerbsmigranten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, denen nach 1945 Flüchtlinge und Vertriebene und später
Aussiedler folgten - als auch für ihre jüngere und jüngste Entwicklung: Mit dem Ende der Montanindustrie haben beide Regionen
vergleichbare Probleme der Umstrukturierung zu bewältigen.
Oberschlesien durchlebte im 20. Jahrhundert eine leidvolle Geschichte, als seine Zugehörigkeit zwischen
Deutschen und Polen umstritten war. Jetzt gehört es als Folge des Zweiten Weltkrieges zu Polen Viele Oberschlesier flohen, wurden
vertrieben oder sahen sich zur Aussiedlung veranlasst. Oft war dabei wiederum Nordrhein-Westfalen ihr Ziel, so dass viele Einwohner von
Nordrhein-Westfalen oberschlesische Wurzeln haben.
Die heutige Wojewodschaft Schlesien (Wojewodschaft = polnische Verwaltungseinheit mit Selbstverwaltung) hat
das oberschlesische Industriegebiet zum Kern, umfasst aber auch die im Süden angrenzenden Beskiden und reicht durch die Einbeziehung der
Region um Tschenstochau über die seit Jahrhunderten stabile Nordostgrenze des historischen Oberschlesien hinaus.
Auf der Suche nach seiner Identität besinnt sich Oberschlesien auf seine Geschichte und Kultur - auch auf
den deutschen Anteil, für den jetzt die deutsche Minderheit steht - und empfindet sich als eine Region, die von vielen Kulturen geformt
wurde.
Angesichts der vielfältigen Verbindungen beider Regionen, dieser historischen und aktuellen Verflechtungen
hat das Land Nordrhein-Westfalen 1964 eine Patenschaft für die Oberschlesier übernommen. Am 1. September 2000 hat das Land mit der
Wojewodschaft Schlesien eine „Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit und den Ausbau der freundschaftlichen Beziehungen“
unterzeichnet. Diese Erklärung bildet den Rahmen für die
Kulturtage der Wojewodschaft Schlesien (¦l±sk)
in Nordrhein-Westfalen
im Herbst 2002 und im Frühjahr 2003.
Die Präsentation geht davon aus, dass Kultur unabdingbar ist, um einen Umbruch der Wirtschafts-struktur
seelisch zu bewältigen. Das gilt besonders für Oberschlesien bei seiner schwierigen Suche nach regionaler Identität. Kultur hilft, das
Selbstverständnis einer Region zu entwickeln und zu festigen, ist Seismograph für Veränderungen und nicht zuletzt ein wichtiger
Standortfaktor. Außerdem spielt Kultur eine wichtige Rolle bei der Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses vor dem Hintergrund der
europäischen Integration. Die Kulturtage der Wojewodschaft Schlesien in Nordrhein-Westfalen bieten die Gelegenheit des gegenseitigen
Kennenlernens und des kulturellen Austauschs. Dieser hat seinen besonderen Reiz, denn im oberschlesischen Industriegebiet, das vorwiegend
durch die Arbeit geprägt wurde, hat sich eine lebendige und vielfältige Kultur entwickelt - ähnlich wie im Ruhrgebiet.
Eröffnungskonzert mit dem Nationalen Symphonieorchester des polnischen Rundfunks -
Mikolaj Henryk Górecki (der oberschlesische Komponist aus Rybnik), und Brahms.
In den Pop-Charts landete irrtümlich die Trauermusik Henryk Góreckis 3. Symphonie vor zehn Jahren in
Baden-Baden. Die für zeitgenössische Musik ungewöhnliche Popularität verdankte das Werk einer legendär gewordenen CD mit der London
Sinfonietta und der Sängerin Dawn Upshaw. In dieser Ruhmesbesetzung erklang die „Symphonie der Klagelieder“ nun zwar nicht,
doch in einer immerhin recht achtbaren Interpretation durch das Nationale Symphonieorchester des Polnischen Rundfunks aus Kattowitz. Diese
Komposition von Gorecki brach in der 90er Jahren die Verkaufszahlen sämtliche Rekorde. Dies war das Eröffnungskonzert einer Musikreihe,
die im Zeichen der Freundschaft zwischen dem Land NRW und der polnischen Wojewodschaft Schlesien steht.
Drei Sätze mit gebotenem Ernst
So gab es mit Górecki ein Exemplar polnischer Tonkunst, und mit der 1. Symphonie von Johannes Brahms
erklang ein Beispiel für deutsche Musik. Die Sopranistin Zofia Kilanowicz entfaltete in der Klagelieder-Symphonie zwar nicht ganz den Schönklang
der Upshaw, doch faszinierte ihre fundierte Einfühlung in die Melancholie der Lamentationen. Zofia Kilanowicz deklamierte die traurige
Texte mit der ausdruckvollen Stimme. Besonders erschütternd ist im zweiten Satz das Gebet einer jungen Polin, die ihre zeilen an die Wand
im Keller des Gestapo-Hauptquartiers in Zakopane schrieb.
Das Orchester gab die drei Sätze mit dem gebotenen Ernst und introvertierter Emotionalität.
Die Brahms-Symphonie bildete herzu einen starken Kontrast: Bleiben bei Górecki alle drei Sätze dunkel
verhangen, leuchtet hier nun oftmals Lebensbejahung auf. Gerade solchen Impetus stellte der Dirigent Gabriel Chmura deutlich heraus, überfrachtete
das Opus aber auch etwas mit Akzenten und dirigierte über das grüblerische Moment des Werkes hinweg.
Dabei sind Herr Dr.Jan Olbrycht, Marschall der Wojewodschaft Schlesien und Frau Hannelore Kraft, Ministerin
für Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Nordrhein-Westfalen gewesen.
„Sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und tief in Augen schauen“, dieses Bild
benutzte Jan Olbrycht zur Eröffnung der „Schlesischen Kulturtage“.
Die schlesische Festlichkeit „Oberschlesien an Rhein und Ruhr“ dauerte eine Woche.
Konzerte in Tonhalle Düsseldorf, im Altenberger Dom bei Leverkusen, „Brecht-Abend“ im
Schauspielhaus, Die Filme „Lilli Marleen“ mit Hanna Schygulla live (geb. in Kattowitz), und „Die Ehe der Maria
Braun“. Dazwischen gab es zwei Nächte lang Jazz statt in der Jazz Schmiede, ein geistliches Konzert mit der prominenten Sängerin
Barbara Schlick und dem Chor Camerata Silesia aus Kattowitz in der Johanneskirche, ein Konzert mit dem Bekannten Pianisten Piotr
Andrzejewski und dem Kammerorchester Aukso im Robert-Schumann-Saal, und in Ratingen - „Frank Prus Trio“ Europa-Meister des
Akkordeons aus Rybnik-Jejkowice.
Die alle Künstler vermittelte einen Eindruck von der kulturellen Vielfalt und Qualität im heutigen
Oberschlesien, genannt einfach „Schlesien“. Viel gutes hat die „Ars Cameralis Silesiae Superioris - Instytucja Kultury Górno¶k±skiej“
aus Kattowitz getan.
Die Kulturtage setzen sich im Frühjahr des Jahres 2003
mit drei weiteren thematischen und örtlichen Wochenblöcken fort, einer Musikwoche im März, die ihren
geografischen Schwerpunkt in Köln, Bonn und Aachen haben soll, einer Veranstaltungsreihe im Ruhrgebiet im April, die unter dem Motto
„Stadt, Region, Strukturwandel“ stehen und sich diesem Thema auch in wissenschaftlichen Tagungen widmen wird sowie einer
„Theater- und Literaturwoche“ im Mai, deren geografischer Schwerpunkt noch nicht festliegt. Zusätzlich sind Workshops für
Jugendliche in den Bereichen Musik, Theater, Tanz, Malerei, Fotografie und Film vorgesehen.
Beobachtete und gesammelte Peter Karl Sczepanek