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9_10/2002

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Das Kartoffelfeuer

Die Kartoffel spielte im oberschlesischen Speisezettel eine wichtige Rolle; es gab kaum ein Mittag- oder Abendessen, bei welcher sie nicht in einer entsprechenden Form aufgetragen wurde. Meistens kam sie als Salzkartoffel oder Kartoffelpürree auf den Tisch. An den fieischlosen Freitagen kam sie in Form einer Pellkartoffel, dazu ein Stück Salzhering und Butter oder Quark und einer eingebrannten, dicken Kartoffelsuppe zum Genuß. Zum Abendessen wurde sie oft als Bratkartoffel gegessen. Es gab selten ein Sonntagsessen ohne die guten Kartoffelklöße, wir nannten sie auch "polnische Klöße". Diese bestanden zur Hälfte aus rohen, geriebenen Kartoffeln und zur Hälfte aus gekochten Kartoffeln. Nicht zu vergessen ist noch der Kartoffelsalat mit Heringen, Zwiebeln und Gurken, zu dem es ein Paar warme Würstchen gab. Am besten aber schmeckte sie als Frühkartoffel, sie wurde nur gewaschen und mit Kümmel gekocht, dazu frischer Quark und ein Stück Butter. Was konnte es besseres geben! Noch heute ruft der Anblick einer frisch gekochten Pellkartoffel bei den meisten Oberschlesiern einen solchen Appetit hervor, daß man nicht widerstehen kann, dieselbe mit Butter und Salz zu verspeisen. Das ist besonders der Fall an den Sonntagen, wenn polnische Klöße gemacht werden und der Geruch und Anblick der Pellkartoffel einen in die Küche lockt. Der Appetit ist dann so ansteckend, daß die ganze Familie um den Küchentisch herumsteht und eine kleine Kostprobe nimmt.

Es ist kein Wunder, daß bei der großen Beliebtheit der Kartoffel fast jede Familie in Oberschlesien ein Kartoffelfeld hatte, weiches je nach Größe der Familie ein dementsprechendes Ausmaß besaß. Es war keine Seltenheit, wenn 20-30 Ztr. Kartoffeln für den Winter eingelagert wurden, denn nicht nur der Familie dienten sie als Hauptnahrungsmittel, sondern auch dem Kleinvieh wie Hühner, Enten, Gänse, Kaninchen, Ziegen und Schweine, welche in den meisten Familien gehalten wurden.

Zur Zeit der Kartoffelernte hatten wir unsere Kartoffelferien und wir Kinder freuten uns dann besonders auf die Kartoffelernte. Sobald das Kartoffelkraut welk und trocken wurde, richteten wir zu Hause die Säcke und Kartoffelhacken. Letztere waren verschieden gearbeitet; es gab Drei und Vierzinker und solche die aus einem Stück Metall (Herzblatt) bestanden. Diese hatten manchmal auch ein Loch in der Mitte und hatten eine gerade oder gebogene Schnittfläche. Wir nannten sie alle "Kopatschka". An einem sonnigen Herbsttag ging die ganze Familie, verstärkt noch durch Verwandtschaft oder Bekanntschaft, auf das Feld zur Kartoffelernte. Wir Kinder waren dabei immer vollständig vertreten, denn wir hatten ja unsere Kartoffelferien und freuten uns immer schon auf das Kartoffelfeuer. Die Säcke, die Kartoffelkörbe und das Essen wurden auf einen kleinen Handwagen gelegt, auch die Kleinsten der Familie, deren kurze Beinchen nicht nachkommen konnten, wurden auf den Wagen gesetzt.

In fröhlicher Stimmung, die Kopatschkes über die Schulter gelegt, voran der Wagen, meistens von uns Kindern gezogen, zog die Korona auf das Kartoffelfeld. Unterwegs wurde geplaudert oder auch ein Volkslied gesungen. Am Feld angelangt, wurde die Arbeit aufgeteilt. Wir Kinder mußten das trockene Kartoffelkraut herausreißen und die an diesem noch hängenden Kartoffeln in die Körbe werfen. Das Kartoffelkraut wurde von uns auf große Haufen zusammengetragen; außerdem schoben wir die Kartoffelkörbe vor der Hackmannschaft vor und sobald ein Korb mit Kartoffeln voll war, halfen wir beim Einfüllen der Säcke. Die Hackmannschaft verteilte sich auf die einzelnen Reihen, um nicht zu dicht nebeneinander zu stehen. Jeder bekam zwei Reihen zugeteilt. Alle arbeiteten auf derselben Höhe und wenn jemand zurückblieb, so half ihm sein Nachbar. Während der Arbeit wurde viel geplaudert und gelacht, wodurch die Arbeit immer gut voranging. Um die Mittagszeit wurde eine Pause eingelegt; Semmeln, Wurst, Kaffee oder auch eine Flasche Bier für die Männer stillten Hunger und Durst. Gegen Abend kam das Pferdegespann und die vielen prall gefüllten Kartoffelsäcke wurden auf den Wagen geladen. Endlich kam für uns Kinder das große Erlebnis, unser Kartoffelfeuer. Von zu Hause hatten wir schon altes Papier mitgebracht, ebenfalls auch etwas Brennholz. Das trockene Kartoffelkraut, auch "Natschi" oder "Klonki" von uns genannt, wurde auf das Papier und Holz aufgelegt und angezündet. Der große Augenblick war da.

Die ersten Rauchwolken und Flammen stiegen zum Himmel empor. Von den Nachbarhaufen wurde laufend trockenes Kartoffelkraut auf das Feuer aufgelegt. Als schon ein genügend großer, glühender Aschenherd im Feuer vorhanden war, wurden in diesen mittelgroße Kartoffeln zum Backen hineingeworfen. Wir Buben bastelten uns aus einer Blechbüchse, welche am Boden und an den Seiten durchlöchert war und an einer langen Drahtschlinge hing, einen Weihrauchkessel auch "Kaschiduo" genannt. In die Büchse kamen glühende Holzstücke sowie trockenes Kartoffelkraut. Und nun schleuderten wir die Büchse an der Drahtschlinge in der Luft im Kreise herum. Es war eine Pracht, wie die Funken in der Luft herumflogen und ein brennender Kreis in der Luft entstand. Je schneller wir die brennende Büchse im Kreis herumwirbelten, um so geschlossener und heller wurde der glühende Kreis.

Als das Kartoffelfeuer schon einigermaßen abgebrannt war, wurde über demselben ein Draht gespannt, auf welchem Salzheringe aufgefädelt wurden. Nicht weit von unserem Feld war der Kaufmann Niewrzol, bei welchem wir Salzheringe und alle anderen nötigen Sachen kaufen konnten. Bald wurden aus den baumelnden Salzheringen saftige Räucherheringe, welche zu den gebackenen Kartoffeln vorzüglich schmeckten. Es war immer ein großer Augenblick für uns alle, als die ersten gebackenen Kartoffeln aus dem Feuer herausgestochert wurden. Nicht schnell genug konnten wir dieselben aufbrechen, denn hinter der dunklen, verbrannten Schale trat das helle, mehlige Innere der Kartoffel hervor und für uns alle war es ein Hochgenuß, dasselbe mit einem Stückchen Räucherhering zu genießen. Es stellte sich bald nach dem Genuß desselben ein großer Durst ein und Mutter hatte in kluger Voraussicht der kommenden Dinge immer schon eine große Blechkanne mit Kaffee für uns bereitgestellt. Denn nicht nur der salzige Hering und die trockene Kartoffel, sondern auch die Hitze des Feuers vergrößerten den Durst. Nachdem wir uns alle gestärkt hatten und das Feuer ziemlich abgebrannt war, wurden wir übermütig und versuchten uns im Feuerspringen. Zuerst fing es mit kleinen Sprüngen an und allmählich wurde die Feuerstelle ausgebreitet und die Sprünge wurden immer länger und immer mehr Springer fielen ab. Zum Schluß blieb nur noch der Sieger mit dem weitesten Sprung übrig. Da wir alle barfuß herumliefen, so blieben bei diesem Spiel kleine Brandwunden an den Füßen, manchmal auch an den Händen, nicht aus. Besonders wenn die Sprünge über das Feuer zu gewagt waren und der Ehrgeiz mit der Weite des Sprunges nicht übereinstimmte, so gab es an den Füßen, besonders an den Fersen so manche Brandverletzung. Sie waren meistens leichterer Natur und heilten ohne viel dazu zu tun alleine ab.

Müde, glücklich und zufrieden ging es dann bei Dunkelheit nach Hause, vordem wurde noch die Glut auf dem ganzen Feld verstreut und mit Erde zugedeckt, damit kein Funken einen Brand in der Nachbarschaft auslösen konnte. Schmerzlich und unangenehm war zu Hause noch das Füßewaschen, denn das Wasser verursachte an den mit Kratz- und Brandwunden bedeckten Füßen ein unangenehmes, brennendes Gefühl, welches durch die Müdigkeit noch gesteigert wurde. Auch diese letzte Hürde wurde überstanden und nun ging es rasch in die Betten, in welchen anstatt Matratzen nur Strohsäcke waren. Dieses weiche und den Körperformen sich gut anpassende Lager ließ uns bald in einen tiefen Schlaf versinken. Das Abendgebet wurde uns wegen der großen Müdigkeit oft erlassen und begrenzte sich auf ein Kreuzzeichen.

Im Traum erlebten wir noch einmal diesen herrlichen Tag, die Kartoffelernte und das große Kartoffelfeuer in allen seinen Einzelheiten. Wie arm ist doch unsere heutige Jugend, unsere Kinder, wir können sie nur bedauern, denn sie haben nicht mehr die Möglichkeit, diese schönen Erlebnisse und Spiele in der freien Gottesnatur zu haben. Die Verbundenheit mit der Mutter Erde und somit auch mit der Heimat fehlt ihnen. Unsere Jugend ist heute eine von der Mode, von der Geschäftswelt und den technischen Errungenschaften dirigierte oft willenlose Masse, welche keine tiefere seelische Bindung mit Heimat und Natur besitzt.

Leopold Walla

Aus dem Buch "So lebten wir in Oberschlesien"


 

 


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