© Schlesien heute - www.slonsk.de  - 03/2001

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Nur ein Sturm im Wasserglas?

Aufregung um "polnische Minderheit" im Oppelner Schlesien

Schlesien heute 6/1999 Görlitz/Schlesien

 Schlesien heute 

Jedes polnische Dorf hat eine Schule, aber in der Regel auch zu wenig Schüler. Mancherorts müssen zwei verschiedene Klassenjahrgänge deshalb gemeinsam unterrichtet werden. Auch das Niveau des Unterrichts in den Dörfern sei schlechter als in den Städten, warnten jahrelang Polens Bildungspolitiker. Kaum ein Schüler vom Lande erreiche die Hochschulreife. Eine grundlegende Schulreform, die am 1. Januar in Kraft trat und mit Beginn des kommenden Schuljahres umgesetzt werden wird, soll dies nun ändern.

Die Gemeinden stehen aber nun vor dem Problem, daß sie es sein werden, die die Umsetzung der Reform organisieren und finanzieren müssen. Und die Gemeinden sind nicht reich. Sie haben ein knapp bemessenes Budget, von dem inzwischen die Hälfte allein für das Schulwesen aufgewendet werden muß. Ihnen bleibt somit nichts anderes übrig, als "unrentable" Grundschulen zu schließen oder diese zu Filialschulen mit weniger Klasscn zu degradieren. Einige Lehrer dürften arbeitslos werden.

In Jakobswalde gibt es die einzige Schule in der südöstlich von Oppeln gelegenen Gemeinde Birawa, in der Deutsch als Fremdsprache zwei Stunden in der Woche vermittelt wird. Anders als in den übrigen Ortschaften leben hier kaum noch Einheimische unter den 900 Einwohnern. Die hiesigen 75 Schüler werden von sieben Lehrer in fünf Jahrgangsklassen unterrichtet. Zudem besagen die demographischen Zahlen für Jakobswalde wenig Gutes: im September, wenn das neue Schuljahr beginnt, werden nur acht Kinder eingeschult. Im nächsten Jahr (2000) könnten es 14, im übernächsten gar nur sechs Kinder sein - vorausgesetzt, die Kinder sind mit ihren Eltern noch am Ort.

Der Gemeinderat in Birawa beschloß im Februar, die Grundschulen in Solarnia und Birawa, wo ein Gymnasium entsteht, zu schließen, und in Jakobswalde nur noch die Klassen eins bis drei zu belassen. Ab der vierten Klasse sollen die Schüler in das zweieinhalb Kilometer entfernte Klein Althammer fahren. 50 Dörfer im Bezirk Oppeln teilen ihr Schicksal mit der Reform. Jakobswalde ist keineswegs eine Ausnahme.

Daß Eltern, vor allem aber Lehrer, die um ihren Arbeitsplatz bangen müssen, unzufrieden sind und rebellieren, ist nicht verwunderlich. In jedem der betroffenen Dörfer gründeten Eltern und Lehrer ein "Komitee zur Verteidigung unserer Schule", um ihren Ärger Gehör zu verschaffen. Ein Unterrichtsboykott in Lasisk bei Himmelwitz fand in der Lokalpresse anfangs noch die größte Beachtung.

Auch in Jakobswalde gründeten Lehrer und Eltern ein Komitee. Aber hier gewann die Protestform eine unvorhersehbare Eigendynamik. Vielleicht ohnehin von Aversionen gegen die hiesigen Oberschlesier geplagt, erregten sie in einer Art und Weise eine Debatte, bei der persönliche Motive und politische Nationalismen eine bedeutende Rolle spielten, die eigentlich so gar nicht mehr in das offizielle Bild des "Oppelner Schlesiens" zu passen schienen. Der Ertrag aber läßt offenkundig werden, daß Vorurteile und Ideologie lebendig sind und von Presse und von politischer Seite nach wie vor nutzbar gemacht werden. Es begann damit, daß im April der polnischen Presse eine Meldung zugespielt wurde, die einschlug wie eine Bombe. Als sei es geplant worden, rechtzeitig zur Beratung des Minderheitengesetzes im Sejm. Die deutsche Minderheit, die die Gemeinde Birawa regiert, hieß es, schließe (sic!) die einzige polnische Schule und zwinge die Kinder, in das Nachbardorf zu pendeln und dort gegen ihren Willen die "deutsche Muttersprache" zu erlernen. Die Schließung der Schule sei eine nationalistische Diskriminierung. Nun würde es reichen, man wolle sich in Jakobswalde als ein "Komitee der polnischen Minderheit" registrieren lassen, um die polnische Kultur und Sprache zu verteidigen.

In Polen eine polnische Minderheit'? Diesem Ruf folgten Journalisten aus ganz Polen. Alle großen TV-Stationen und Zeitungen entsandten ihre Reporter. Boleslaw Czerepka, der Dorfvorsteher von Jakobswalde, war überrascht: "Die wollten nur mit denen vom Komitee sprechen. Von uns, die mit den Deutschen in Eintracht leben, wollten sie gar nichts hören." Angeblich, berichtete die "Nowa Trybuna Opolska", seien Journalisten mit bereits geschriebenen Szenarien nach Jakobswalde gekommen. Ihnen hätten nur noch entsprechende Bilder gefehlt. An den letzten Apriltagen füllte der Ort auf diese Weise ganze Zeitungsseiten und Nachrichtensendungen, in denen die Mitglieder des Komitees frei zur Rede kamen. Jerzy Anatowicz, ein Mitinitiator des Komitees klagte, daß man als Pole in einer Gemeinde, die von Deutschen regiert werde, diskriminiert sei. Jozef Herda, Vater eines Schülers: "Ich will nicht, daß mein Kind, wenn es aus der Schule kommt, zu mir 'Vater' [deutsch im Original] sagt." Die hiesige Macht gehöre den Deutschen, und diese bildeten im Gemeinderat eine "gefühllose Obrigkeit", wul3te die Wochenzeitung "Gazeta Opolska" ihren Lesern zu berichten. Es sei verständlich, daß die Volksseele überkoche, denn die Schließung sei ein" Attentat auf das Polentum." Den Journalisten erzählten sie, daß die "deutschen Gemeinden" das Geld aus dem Westen unter sich verteilten, ebenso wie alle Investitionen für Klubhäuser und Wasserleitungen. "In den Schulen haben sie Computer," hieß es. Jakobswalde dagegen müsse verkommen.

Alles Unsinn sei das, schimpft Zdislaw Pochenski, der Direktor der Schule in Klein Althammer. Schließlich sei zum stellvertretenden Bürgermeister ein Pole gewählt worden, obwohl drei Viertel der Ratsmitglieder Deutsche sind. Die Gemeinde kaufte in Jakobswalde die sanierungsbedürftige Arbeitersiedlung der maroden Sandgrube ab und subventioniert seitdem die Mieten - trotz der kommunalen Finanznot. Neue Gehwege wurden angelegt, das Schulgebäude renoviert und eine neue Friedhofskapelle gebaut. Allein schon wegen der großen Arbeitslosigkeit bemühe man sich um den Ort. In Jakobswalde, so der neue Bürgermeister von Birawa, Henryk Chromik, sei am meisten von allen Dörfern investiert worden.

Wasser auf die Mühlen der Nationalisten wurde ausreichend vergossen. Am 30.April schrieb der Publizist Kazimierz Kowalski, ein Angehöriger der geistigen Elite des "Oppelner Schlesiens", in ,seiner wöchentlichen Zeitungskolumne unter dem bezeichnenden Titel "Wer regiert hier'?", daß "die Leute von Birawa" Angst davor hätten, "eines Tages zu erfahren, daß ab dem ersten irgend eines Monats in den Ämtern eine Sprache gültig wird. Nicht ihre, sondern die von den Ratsmitgliedern vorgesehene, und die sind in der Mehrheit. (...) Wenn das noch Französisch wäre - bitte schön, wir würden dann zu einer interessanten Region werden, einer Sprachenklave. (...) Aber in Birawa weiß man, es geht um eine "andere Sprache, um andere Sitten und Kultur. (...) Unsere Hauptstadt schweigt dazu." Er erinnerte nebenbei an den polnischen Schulstreik von Wreschen und an die Germanisierung unter Bismarck.

Nicht zurückhalten im Chor der Aufwiegler mochten auch die Politiker nicht. Den Abgeordneten der AWS und der PSL kamen die Anschuldigungen aus Jakobswalde wie gerufen. Mit ihnen ließ es sich leicht in der Öffentlichkeit gegen eine mögliche Verabschiedung eines Minderheitengesetzes argumentieren. Die Vorgänge in Oberschlesien hätten jetzt gezeigt, wie weit die Machtfülle der Deutschen bereits gingen. Die Schärfe der Polemik dokumentierte das ansonsten apolitische "Schlesische Wochenblatt", nach dem die "Gazeta Wyborcza" ein Zeitungsgespräch mit dem Oppelner Sejmabgeordneten und Bezirksvorsitzenden der A WS Janusz Szelwicki veröffentlichte, im dem dieser vor Hochmut und Arroganz der Deutschen warnte und das Minderheitengesetz ablehnte. Die deutsche Wochenzeitung forderte von Szelwicki nicht nur eine öffentliche Entschuldigung für seine Äußerungcn, die Koalition zwischen Minderheit und A WS auf Bezirksebene sei ernsthaft in Frage gestellt.

Für die Rechtsextremen, durch die Stellungnahmen einflußreicher Politiker hofiert, bot sich vor diesem öffentlichen Hintergrund am 3.Mai in Annaberg, dem 78.Jahrestag des sogenannten "3. Schlesischen Aufstands", die beste Gelegenheit, für die eigene Sache Publizität zu erlangen. 400 Personen formierten sich zu einem Demonstrationszug von der Basilika zum Dunikowski-Denkmal, flankiert von Polizisten und erwartungsvollen Journalisten. Auf einem Spruchband war zu lesen, daß die deutsche Minderheit "eine verräterische Bande" sei. Ein anderes nahm aktuellen Bezug und warnte in dicken Lettern: "Heute Kosovo - morgen das Oppelner Land". Unter den Glatzköpfen Polens ehemaliger Innenminister Maciarewicz (AWS) und der frühere Rektor der Universität Oppeln, Franciszek Marek, der auch die Festrede hielt. Dabei verurteilte er, während Skinheads eine EU-Fahne abfackelten, die aus Rücksicht auf die aktuelle Stimmung auf den 2. Mai vorverlegte offizielle Gedenkfeier des Oppelner Woiwoden, die auf dem Parkplatz "neben Mülltonnen" habe stattfinden müssen, damit Funktionäre der Deutschen hätten dabei sein können. Abschließend trugen sich die Teilnehmer in Unterschriftenlisten gegen das Minderheitengesetz ein, was Maciarewicz freundlich stimmte, immerhin ist der Sejmabgeordnete von seiner Fraktion in die das Minderheitengesetz bearbeitende Vermittlungskommission berufen worden - wohl wissend, daß er, wie so manch ein anderer der Kommissionsmitglieder, ein Gegner der deutschen Minderheit ist.

Der Druck von außen auf Birawa ließ dem Gemeinderat keine andere Wahl, als die Schulreform für Jakobswalde um ein Jahr zu verschieben. Das heißt nichts anderes, als daß die Nationalisten in Jakobswalde im nächsten Jahr einen erneuten Anlauf wagen müssen. Anfang Mai, auf einer Versammlung im Schulhaus von Jakobswalde, distanzierten sich übrigens 80 % aller Eltern vom Komitee und der Art und Weise des Protestes. Aber dafür interessierten sich dann nur noch die wenigsten Reporter.

(sh)


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