KALENDARIUM - www.slonsk.de - 04/2001

  SLONSK

OBERHIRTLICHE MAHNUNG AN DIE KATHOLIKEN VON OBERSCHLESIEN

KALENDARIUM 

Arnulf Hein

3.06.1922

„Hirtenwort
Breslau, 3. Juni 1922

OBERHIRTLICHE MAHNUNG AN DIE KATHOLIKEN VON OBERSCHLESIEN.

Der Tag ist nahe, an welchem das oberschlesische Abstimmungsgebiet endgültig geteilt, an welchem die beschlossene Teilung ausgeführt wird. Ein Tag, dem Hunderttausende mit froher Hoffnung, viele mit Besorgnis entgegenblicken. Da wendet sich Euer Oberhirt in wenigen kurzen Worten an sie alle, nicht um politischen Gedanken oder Wünschen Ausdruck zu geben, sondern um auch bei dieser Gelegenheit so, wie ich in allen entscheiden­den Stunden getan, an die Christenpflichten zu mahnen.

Christenpflicht ist es, was St. Paulus im 13. Kapitel des Römerbriefes erklärt: "Jeder­mann sei untertan den obrigkeitlichen Gewalten. Denn es gibt keine Gewalt außer von Gott. Die aber, welche bestehen, sind von Gott gesetzt. Wer demnach sich gegen die ob­rigkeitliche Gewalt auflehnt, widersetzt sich der Anordnung Gottes. Die sich aber wider­setzen, ziehen sich selbst Verdammnis zu. Es ist eure Pflicht, untertan zu sein, nicht nur um der Strafe willen, sondern auch des Gewissens wegen." So der Apostel.

Das ist der Adel des christlichen Gehorsams: Gehorsam nicht aus irdischen Interessen, sondern um des Gewissens, um Gottes willen. So soll es in allen Teilen der Diözese sein, so soll auch in den abgetretenen Gebieten den neuen Obrigkeiten der Gehorsam geleistet werden in allen Dingen, die ihres Amtes sind, in denen sie zuständig sind.

Bringen wir den kommenden obrigkeitlichen Gewalten das Vertrauen entgegen, daß sie unparteiisch für Ruhe und Ordnung sorgen, daß sie den fluchwürdigen verbreche­rischen Angriffen, die in beiden Teilen Oberschlesiens auf Leben, Gesundheit und Habe immer von neuem ausgeübt sind, mit eiserner Strenge und Gerechtigkeit entgegen­treten.

Vertrauen wir zu den kommenden obrigkeitlichen Gewalten, daß sie es verstehen, versöhnend und vermittelnd zu wirken, wohlwollend berechtigte Interessen der einzelnen Teile der Bevölkerung zu prüfen und zu berücksichtigen, sowie überstürzten Anregungen mit jener Weisheit vorzubeugen, die in Übergangszeiten ganz besonders in sprachlich ge­mischten Gebieten heilsam wirken kann. Vorüber sei die Zeit des Niederreißens. Gebiete­risch ruft die Pflicht des Wiederaufbauens.

Noch heute erinnere ich mich aus der Zeit meiner frühen Kindheit des wohltuenden Eindruckes, den in meinem Geburtslande beim Zusammenbruche des früheren Königtums die Erklärung der neuen Regierung machte, daß diese die pietätvolle Anhänglichkeit an das Alte wohl zu würdigen wisse, daß damit aber vereinbarlich sei loyale und vertrauens­volle Haltung gegen die neue Regierung.

Gebieterisch ruft die Pflicht des Wiederaufbauens auf sittlichem Gebiete und im reli­giösen Leben. Heillose Verwirrung ist in den letzten Jahren angerichtet. Gottes Gebote sind in den weitesten Kreisen mit Füßen getreten. Leben und Eigentum vieler sind von Verbrechern in beiden Teilen Oberschlesiens vernichtet. Roheiten jeder Art sind fast in al­len Teilen zu beklagen gewesen. Schwer gelitten hat die Achtung vor der Kirche und vor dem geistlichen Stande. Mit Schmerz gedenken wir der Kinder, die solche Eindrücke mit in die reiferen Jahre hinübernehmen. Nicht minder zu beklagen ist die zunehmende Sucht nach Alkoholgenuß. - Da treten Riesenaufgaben an den hochwürdigen Klerus heran. Mö­ge es ihm gelingen, daß er, von der ganzen Bedeutung dieser Stunde erfüllt, in planmäßi­ger und einheitlicher Beratung unter Anleitung des Herrn Delegaten und der Erzpriester und unter vertrauensvoller Förderung seitens der Behörden die Wunden des Volkes heilen helfe, durchdrungen von der ganzen Liebe, die in Jesu Wort enthalten ist: "Misereor super turbam." Mich erbarmt des Volkes. (Mark. 8,2.)

Dem Gebote des Gehorsams gegen die Obrigkeit, das wir aus St. Paulus Munde hörten, fügt der Völkerapostel die Mahnung hinzu: "Bleibt niemandem etwas schuldig, außer daß ihr euch einander liebet." (Röm. 13,8.) Es ist Pfingstvigil, da ich diese Zeilen schreibe. Der Erdkreis ruft zum Himmel um den Geist der Liebe. Rufen wir ihn herab besonders auf das oberschlesische Volk. Suche ein jeder mitzuwirken, um diesem Geiste die Wege zu bah­nen. Dazu ist jeder berufen, jeder an seiner Stelle. Alle behördlichen Anordnungen blei­ben fruchtlos, wenn nationaler Haß die Herrschaft führt.

Drum wiederhole ich von neuem die Mahnung, die ich jahraus jahrein den Diözesanen in allen drei Reichen, in die die Diözese sich erstreckt, zugerufen habe: Gleiche Liebe, gleiche Gerechtigkeit, gleiche Rücksichtnahme den Mitbrüdern beiderlei Sprache! Möge jeder seine Sprache lieben mit all' der trauten Anhänglichkeit, die er mit der Muttermilch und Mutterstimme eingesogen hat; aber noch höher als diese Anhänglichkeit steht die Lie­be, die der Christ den Brüdern und Schwestern in Christo schuldig ist. Wie viel kann zur Verwirklichung dieses Grundsatzes jeder beitragen, er sei Priester oder Laie! Wie viel kann die Presse dazu helfen! Wie notwendig ist solche Arbeit in jedem sprachlich ge­mischten und in jedem Grenzlande! So will es der Geist des Pfingstfestes, der die Christen aller Stämme und Sprachen in der aufrichtigsten Liebe so miteinander verband, daß sie ei­ne in brüderlicher Eintracht geeinte Familie bildeten.

Oberschlesier! betet für Euer Land und Volk! betet für Eure Obrigkeit. Im ersten Brie­fe an Timotheus schreibt St. Paulus: "Ich ermahne, vor allem Gebete zu verrichten für al­le, die in obrigkeitlichem Ansehen stehen, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. So ist es wohlgefällig vor Gott, unserm Hei­lande." Mit den kirchlichen Festlichkeiten, die in Polnisch-Schlesien nach näherer Anord­nung meines Delegaten stattfinden, verbindet heiße Gebete für Euer Land, Volk und Ob­rigkeit. Je folgenschwerer die Entschließungen sind, die die Obrigkeiten zu treffen haben, desto inniger und heißer sollen unsere Gebete für sie sein. Gott der Herr, der diese Gebe­te von uns erwartet, hört sicher auf die Stimme seines Volkes. Die Einigkeit des ganzen Volkes in solchem Gebete ist zugleich ein Quell innerer Versöhnlichkeit und ein Weg zur Stiftung des inneren Friedens.

Ich schließe mit dem Pfingstgruße des Apostels: "Die Gnade unseres Herrn Jesus Chri­stus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen." (2. Kor. 13,13.)

A. Kard. Bertram, Fürstbischof von Breslau.“


Verordnungen des Fürstbischöflichen Generalvikariatamtes zu Breslau 1922, Nr. 162, S. 67 -68 (deutsch), S. 68- 70 (polnisch). Abgedruckt in: Adolf Kardinal Bertram, Hirtenbriefe und Hirtenworte, Bearb. von Werner Marschall, Köln u.a. 2000, S. 236-238