KALENDARIUM - www.slonsk.de - 04/2001

  SLONSK

Am 6. November 1920 erscheint das Wochenblatt 
Wola Ludu - Der Wille des Volkes

KALENDARIUM 

Bruno Nieszporek

6.11.1920

Wola Ludu / Der Wille des Volkes (Beuthen 1920 -1921)

Als Sprachrohr des "Zwi±zek Görno¶l±skich Pracowniköw Plebiscytowych" - "Verband des oberschlesischen Plebiszitpersonals" erscheint am 6. November 1920 erstmals das Wochenblatt Wola Ludu / Der Wille des Volkes, (zweisprachig - linke Kolumne polnisch, rechte deutsch). Als Verleger und Herausgeber zeichnet Teofil Kupka.  In dieser Gründungsnummer des Blattes wird das Programm des "Oberschlesischen Plebiszitkomitees Beuthen" veröffentlicht . Unter der Überschrift "Oberschlesier!" heißt es hier nach einem einleitenden Aufruf zur Bekämpfung des "nationalistischen Terrors" auf polnischer wie auf deutscher Seite:

"Unsere Ziele:

  1. Herbeiführung des Friedens und der Freundschaft beider Nationalitäten in Oberschlesien auf der Grundlage der Gleichberechtigung und gegenseitigen Schätzung.

  2. Unschädlichmachung der Hetzer, Terroristen und Friedensstörer und Un­ terbringung derselben in Konzentrationslagern bis zur Volksabstimmung.

  3. Entsendung von Prüfungskommissionen aus Oberschlesiern deutscher und polnischer Nationalität nach Polen und Deutschland zwecks Inaugenscheinnahme der wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse in den beiden Ländern.

  4. Durchführung der Volksabstimmung für denjenigen Staat, der wirtschaftlich und kulturell höher steht.

  5. Erreichung einer wirklichen Selbstverwaltung für Oberschlesien."

Unter der Schlagzeile "Oberschlesien den Oberschlesiern!" warnt die WL vor

 "polnischen wie auch deutschen Agitatoren und Hetzern, welche versuchen, durch schnöde Lügen uns an sich zu ketten ..., indem sie einen Volksteil gegen den anderen hetzen und aufpeitschen".

In ähnlicher Weise macht sich das Blatt in Nr. 2 vom 13. November 1920 zum Anwalt der wahren Interessen der Oberschlesier gegenüber den eigensüchtigen Intentionen Warschaus und Berlins in der oberschlesischen Frage:

"Oberschlesier!
deutscher und polnischer Nationalität reichen wir uns die Hände. 
Stimmen wir nicht zu Gunsten Polens und auch nicht Deutschlands,
sondern nur zum Vorteil des oberschlesischen Volkes."

Die von der WL durchgehend beschworene Konzeption des einen "oberschlesischen Volkes", in dem sich die Angehörigen zweier sprachlich unterschiedlicher "Nationalitäten" als "Volksteile" zu einem organischen Ganzen verbinden, dient vorrangig der Beeinflussung polnisch- bzw 'wasserpolnisch' sprachiger Bevölkerungskreise, die bezüglich ihrer nationalen Selbsteinschätzung schwankend und daher möglicherweise der nationalpolnischen, das "angeborene Polentum" dieser Zwischenschicht unterstreichenden Propaganda zugänglich sind. Zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit ihrer Argumente hebt die WL immer wieder ihre Neutralität bzw. Äquidistanz gegenüber dem polnischen wie dem deutschen Plebiszitkommissariat hervor und appelliert an das Zusammengehörigkeitsgefühl der "Einheimischen" gegenüber den von eigensüchtigen Motiven bestimmten "Landfremden". So polemisiert die Zeitung in der o.a. Ausgabe unter der Überschrift "Für Freiheit und Rech“ nach beiden Seiten, wenn sie feststellt:

"Man braucht dieses Volk, darum überbietet man sich in Zusagen ...“

Korfanty und seine Mitarbeiter im Abstimmungskommissariat werden in einer Weise ausgegrenzt, die jedenfalls Korfantys Biographie nicht gerecht wird:

"Das sind keine Oberschlesier! Das sind hergelaufene Personen, die sich auf unserer Erde zur rigorosen Selbstherrlichkeit entwickeln."

Das Urteil einer von der WL geforderten 'Prüfungskommission zwecks Inaugenscheinnahme der wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse" in Polen und Deutschland als rationale Basis für die Entscheidung beim Plebiszit meint Kupkas Blatt in Wirklichkeit nicht erst abwarten zu müssen. Schon in ihrer Gründungsausgabe kommt die Zeitung bei einem noch vorläufig Wirkenden Ländervergleich

"zu dem Schluß, das das Joch unter der Schlachzizenknute weit schlimmer wäre, als dies bei den Preußen war."

Das Gespenst einer Herrschaft des polnischen Adels, der Schlachta, sowie einer diesem Adel willfährigen Regierung und Verwaltung in Oberschlesien malt die WL unermüdlich an die Wand. Die Werbung der polnischen Regierung um die Oberschlesier, denen gegenüber Warschau seine brüderliche Zupeigung hervorhebt, stellt das Blatt als heuchlerisches Verhalten zur Bemäntelung reiner Machtpolitik hin. Allen Annäherungsversuchen der "imperialistisch,en SchIachzizenregierung" erteilt das Blatt schon in seiner ersten Ausgabe eine schroffe Abfuhr:

"... weg mit Euch Pharisäern, seid überzeugt, dass solange sich die Welt um ihre Achse dreht -der Oberschlesier niemals zum Bruder der Schlachzizen wird.“

Damit weist die Zeitung auf eine unüberbrückbare Kluft zwischen Polen und Deutschen hin, und daraus folgend - einen unüberwindlichen Abstand zwischen Polen und Oberschlesiern.


In Anlehnung an das Buch von Bernhard Gröschel "Studien und Materialien zur oberschlesischen Tendenzpublizistik des 19. und 20. Jahrhunderts", Schriften der Stiftung Haus Oberschlesien, 1993, S. 198-199