© Renate Pistellok - www.slonsk.de  - 03/2001

  SLONSK

Den Nationalismus überwinden

Wie soll mit der Vergangenheit am Annaberg umgegangen werden?

Schlesien heute 10/1999 Görlitz/Schlesien

 Renate Pistellok 

Seit den Maikämpfen 1921, als sich deutsche und polnische Verbände am Annaberg gegenüberstanden und um diese Bergkuppe von strategischer Bedeutung einige Stunden lang kämpften, ist es nicht mehr nur die heilige Anna Selbdritt, die diesem "heiligen Berg Oberschlesiens" Anziehungskraft verleiht. Ein Blick in die Zeitungen der deutschen Landsmannschaften oder in die polnische Lokalpresse zeigt, mit welcher Sturheit sich die Verklärung der Geschichte im Sinne der jeweiligen Seite festgesetzt hat. In Oberschlesien, das darf nicht vergessen werden, galten und gelten die Abstimmungskämpfe als Legitimationshilfe, ähnlich der Phrase von den "Wiedergewonnen Gebicten" als Gründungsmythos Volkspolens.

Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, daß in den Bezirken Oppeln und Kattowitz lokale Politiker und Wissenschaftler seit Jahren ihren Unmut darüber äußern, daß die Woiwodschaftsverwaltung in Oppeln für "Gedenktage und Veranstaltungen zur Erhaltung der regionalen Traditionen und des Patriotismus" und für "patriotische Einrichtungen und Gedenkstätten" angeblich kaum noch Geld ausgibt oder diese ganz ignoriert, wie es Politiker von der Bauernpartei PSL und des Linksbündnisses SLD im Frühjahr 1997 während des Sejmwahlkampfes in einem Offenen Brief noch gemeinsam behaupteten. Während am 3. Mai diesen Jahres der Stadtpräsident von Kattowitz die Einwohner zur Beflaggung der Wohnhäuser aufrief (wie jedes Jahr), um die aufständischen Helden zu ehren, verlegte indes der neue Oppelner Woiwode Adam Peziol seine offizielle Gedenkveranstaltung um eincn Tag nach vorne, um eincr zu national und cinseitig gehaltenen Ehrung aus dem Weg zu gehen.

Die mit Reichtum nicht gerade gesegnete Woiwodschaft Oppeln plagt sich seit Jahren damit, die nach 1945 in großer Zahl geschaffenen Erinnerungsstätten instandzuhalten. Der Zustand des "Denkmals der Aufständischen Tat", das Nachfolgemodell des "Reichsehrenmals am Annaberg", und des zur Gesamtanlage dazugehörigen Amphitheaters machen allzu deutlich, daß seit der politischen Wende wenig getan worden ist oder getan werden konnte, um dem Wildwuchs und der Zerstörung von Teilen der Anlage den nötigen Einhalt zu gebieten. Nicht zuletzt verantwortlich für diesen Mißstand dürfte das Desinteresse sein, mit dem das Denkmal heute sowohl in weiten Teilen der Bevölkerung wie auch in der zuständigen Verwaltung zu kämpfen hat. Die Gemeinde Leschnitz (Bergstadt), die die Anlage seit Juni als ihr Eigentum nennen muß - und nichts damit anzufangen weiß - wird zur deren Erhaltung keinen müden Zloty ausgebcn wollen. Es ist ein Trcppenwitz, daß vicle Gralshüter den Zustand dcr Denkmalanlage am Annaberg mit Pathos kritisieren, jedoch für die dringendsten Arbeiten niemand Geld ausgeben will - und die zuständigen Stellen auf keine bessere Idee kommen, als bci der Deutschen Umweltstiftung eine finanzielle Unterstützung zu beantragen!

Wenig anders ergeht es dem 1961 am Fuße des Annaberges erbauten Aufständischen-Museums, das einst den aus ganz Oberschlesien herbeigefahrenen Schülern die polnische Sicht der oberschlesischen Dinge zu vermitteln hatte. Seit der politischen Wende jedoch verliert sich kaum noch ein Besucher zwischen nachgebauten Schützengräben und naiver Kunst. Auch eine Erweiterung der Themenpalette um die passende Sparte "Weihnachtskrippen aus aller Welt" - dies dank einer großzügigen Spende einer Westdeutschen - vermochte keine zusätzlichen Besucher anzulocken. Im vergangenen Jahr konnte das Museum nicht einmal tausend Eintrittskarten verkaufen, für manche Politiker Grund genug, laut darüber nachzudenken, was mit dem Museum geschehen soll und wie mit der Vergangenheit am Annaberg überhaupt zukünftig umzugehen ist.

Mitglieder des Kulturausschusses des Sejmiks fordern seit einigen Wochen eine Richtungsänderung in der Arbeit des Museums, mit mehr regionalem Brauchtum und heimischer Naturkunde. Einige wünschen sich gleich eine Änderung des Museumsnamens, andere schlagen vor, die jetzige Ausstellung um eine historische Darstellung des Franziskanerklosters zu erweitern. All dies zur Steigerung der Attraktivität, wohlgemerkt. Richard Galla, deutscher Vizepräsident des Sejmiks, und die deutschen Vereine wünschen seit Jahren ohnehin eine objektive Darstellung der Geschichte, in der auch eine deutsche Seite vorkommt, bedenkend, daß 1921 Oberschlesier eben nicht nur polnisch optiert haben. So wird auch in der Umgebung des jungen Woiwoden nachgedacht, wo die jetzige Form des Gedenkens als nicht mehr zeitgemäß gilt. Ähnlich äußerten sich auch der Sejmikpräsident Jalowiecki (AWS) und die Direktorin des "Museums des Oppelner Landes", Elwira Holc.

Natürlich ruft das nach Widerspruch. Dependanztheoretiker wie politische Wächter - deren familiäre Wurzeln in Oberschlesien in der Regel nicht über das Jahr 1945 zurückreichen - sehen offenbar den Einsturz eines oberschlesischen Turmes aus "historisierenden" Argumentationen, dem das Fundament entzogen werden soll. "Die Schlesischen Aufstände sind ein Heiligtum in der Geschichte unserer Region", so Peziols Vorgänger, Ryszard Zembaczynski, der heute für die AWS im Sejmik sitzt. Die Direktoren des Schlesischen Institutes und des Schlesischen Museums, Wieslaw Lesiuk und Lech Szaraniec, kommen nicht umhin, vor einer "Verwässerung" der Geschichte zu warnen, sollte der Charakter des Museums wie auch immer verändert werden. Zembaczynski vermutet gar "einen Überfall auf das Symbol des historischen Daseins des polnischen Volkes im Oppelner Schlesien". Alle Fraktionen im Sejmik - mit Ausnahme der deutschen - sehen es genauso.

Im zehnten Jahr seit dem Fall der Mauer, nach all den großzügigen Hilfsmaßnahmen, die Deutschland seitdem in Oberschlesien finanziert hat, sollte der "Oppelner Romantismus", der von Sejmik und Teilen von Universität und Instytut Slaski gehegt wird, der Ratio zuliebe fallengelassen werden. Es paßt nicht mehr in die heutige Zeit, alte und einseitige Auslegungen der Geschichte, die totalitäre Systeme einst benutzten, aufrechtzuerhalten. Politisch und geschichtswissenschaftlich ist dies nicht mehr vertretbar, und kein Grundpfeiler der staatlichen Integrität ginge verloren, würde der historischen Wahrheit Raum geschaffen werden.

Was spricht heute noch dagegen, neben dem jetzigen Dunikowski-Denkmal am Annaberg ein Pavillon aufzustellen, in dem die Bau- und Ideengeschichte des nationalsozialistischen und des sozialistischen Denkmals und den damit verbundenen nationalpolitischen Zielen kritisch hinterfragt werden'? Warum soll es nicht möglich sein, eben nicht nur den Namen des "Museums der Aufständischen Tat" zu ändern, sondern auch das doktrinäre Ausstellungskonzept einer fairen Auseinandersetzung mit der Historie anzupassen'? Oder ist die Gesellschaft in den Augen der Elite noch nicht reif dazu'?

Renate Pistellok (Sh)


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