Mann kann in Polen Deutscher sein, treu seinem deutschen Erbe und dem polnischen Staat. Brücke, nicht Zündstoff |
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Unser Oberschlesien 2001 Annaberg/Görlitz |
Jan Nowak-Jezioranski |
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Am 17. Juni diesen Jahres vergingen zehn Jahre seit der Unterschrift unter dem Vertrag zwischen dem vereinten Deutschland und der unabhängigen Republik Polen. Es lohnt sich, daran zu erinnern, da die polnischen Medien diesem Ereignis nur wenig Platz und Aufmerksamkeit schenkten. | |||||||
Vielleicht wird der
Vertrag über die Unantastbarkeit der Oder-Neiße-Grenze das bahnbrechendste
Ereignis im gesamten Polnischen Millenium.
Die Unterschrift über einem internationalen Vertrag nimmt wenige Minuten in Anspruch. Dagegen reichen mehrere Jahre nicht, um den Menschenverstand von den negativen Stereotypen und gegenseitigen Vorurteilen zu befreien, die durch Generationen angewachsen sind. Die feierlichst geschlossenen Verträge erwiesen sich schon mit der Zeit als bloßer Papierwisch, wenn sie keine Anlehnung am Fundament der dauerhaften gesellschaftlichen Unterstützung hatten. Der Fortschritt der letzten Dekade in den gegenseitigen polnisch-deutschen Beziehungen läßt glauben, daß die Versöhnung zwischen den Nachbarn einen dauerhaften Charakter hat. Besonders wichtig sind hierbei die Erklärungen, die anläßlich des Jahrestages von beiden Parlamenten verabschiedet wurden. Insbesondere die der Politik gegenüber Polen gewidmete Erklärung des Bundestages hat einen Pathos und konkreten Inhalt in sich, was erlaubt, sie als historisches Dokument von großer Wichtigkeit anzuerkennen. Schade, daß diese Erklärung in den polnischen Medien überhaupt nicht erschien. Polnischer Sieg und die Vereinigung Deutschlands. Ein Mensch, der den Krieg, die Okkupation und das Unmaß an Leid erlebte, den der hitlersche Überfall auf Polen über das ganze Land und über fast jede polnische Familie verhängte, konnte selbst in den siebziger Jahren kaum daran glauben, daß sich irgendwann Polen und Deutschland in einem militärischen und politischen Bündnis vereinen könnten. Beide Jubiläumserklärungen stellen die Bilanz gegenseitiger Dienste dar, die einander von Todfeinden erwiesen wurden. Die Werftarbeiter aus Danzig (Gdansk) und Stettin (Szczecin) zeigten durch ihre Herausforderung des großen Bruders, daß der König doch nackt ist und daß er keine Kraft und keinen Willen mehr hat, mit Gewalt sein Imperium zu halten. Die Solidarno¶æ zog mit ihrem mutigen Beispiel die Gesellschaften anderer Satellitenstaaten hinter sich. Ohne diesen polnischen blutlosen Sieg wäre es nie zum Sturz der Berliner Mauer und zur Vereinigung Deutschlands gekommen. Deutschland beglich seine Dankbarkeitsschuld, indem es der Hauptbefürworter für den Beitritt Polens zur NATO und heute zu Europäischen Union wurde. Trotz diesen historischen Durchbruchs ist der Himmel über Polen und Deutschland doch nicht ohne Wolken. Laut Umfragen kann sich jeder fünfte Deutsche nicht mit der Oder-Neiße-Grenze abfinden. Dies bezieht sich im besonderen auf den Bund der Vertriebenen. Im Januar diesen Jahres wurde nach einer Initiative von an der Spitze des BdV stehenden Erika Steinbach der Antrag im Bundestag eingebracht, laut dem Berlin Druck auf Warschau ausüben sollte, um Konzessionen zugunsten der deutschen Minderheit zu erreichen. Unter anderem fordern die Vertriebenen die Einführung deutscher Ortsnamen in den traditionellen Siedlungsgebieten der Deutschen in Polen, die Anrechnung der Dienstzeit bei der Wehrmacht und des Aufenthaltes in polnischen Internierungslagern als Grundlage zu höheren Renten sowie Erleichterungen im Ankauf von Grund, Boden und Wohnungen für die Vertriebenen und alle deutschen Staatsbürger, die sich in Polen ansiedeln wollen. Als Begründung dieser Forderungen beschuldigt der Bund der Vertriebenen die Republik Polen der Diskriminierung der deutschen Minderheit. Offensive der Minderheit. Fangen wir bei der Frage der Ortsnamen an. Die polnische Regierung forderte seinerzeit, übrigens erfolglos, zweisprachige Ortsbezeichnungen in Litauen, dort wo die polnische Bevölkerung die Mehrheit bildet. Die Situation in Litauen ist jedoch anders als die im Oppelner Land und in Oberschlesien. Als Litauen ihre Unabhängigkeit wiedererlangte, kannten die Polen im Gebiet Wilna, die dort die Mehrheit bilden, die litauische Sprache nicht - sie waren nur des polnischen und des russischen mächtig. Zumindest in der ersten Übergangsperiode stellte sie diese Tatsache in der Situation von behinderten Staatsbürgern des litauischen Staates. Die Deutschen in Polen kennen jedoch die polnische Sprache genauso gut wie die deutsche. Der Bund der Vertriebenen richtet sich also nicht nach praktischen Gesichtspunkten, will aber die Besonderheit dieser Gebiete unterstreichen, die vor dem Krieg vom deutschen Element bewohnt wurden. Das Ziel ist, die besondere Stellung des Oppelner Schlesiens und Oberschlesiens aufgrund der ethnischen Machtverhältnisse aus der Vorkriegszeit zu unterstreichen. Das wäre sicherlich der erste Schritt zur Realisierung der Gebietsansprüche. Leider, hallte die Kampagne des Bundes der Vertriebenen letztens mit einem gefährlichen Echo in der Beschlußfassung dreier Organisationen der deutsche Minderheit in Polen wieder. Sowohl in den Augen Berlins als auch Warschaus wurden die bisherigen Beziehungen zwischen der polnischen und deutschen Bevölkerung im Oppelner Schlesien und in Oberschlesien als modellhaft beurteilt. Jetzt beschlossen die Verbände der deutschen Minderheit, gemeinsam zur Offensive zu übergehen. Weder im Interesse Polens und noch weniger im Interesse der deutschen Minderheit selbst liegt die Erweckung des gespenstischen Vergangenheitsgeistes aus der zeit des Krieges und der verbrecherischen deutschen Okkupation. Leider, wahrscheinlich unter dem Einfluß des Bundes der Vertriebenen erinnern zum ersten Mal Verbände der deustchen Minderheit an diese böse Vergangenheit. Sie haben vor, die Rückgabe des kriegsfolgenbedingt verlorenen Eigentums zu fordern, so Immobilien und Betriebe: Restaurants, Hotels, Bäckereien, Hochgebirgsbauden. Unabhängig davon wiederholen sie die Forderung des Bundes der Vertriebenen nach höheren Renten wegen der Wehrmachtdienstzeit und des Aufenthaltes in polnischen Internierungslagern. Sie berufen sich darauf, daß sie als polnische Staatsbürger nicht schlechter als Polen oder Juden behandelt werden dürfen. Es gibt keine Gleichheit der Opfer. Der Vergleich zwischen den Deutschen auf der einen und den Polen mit den Juden auf der anderen Seite und ihre Darstellung als gleichbereichtigte Opfer, die ein gleiches Recht auf die Rückgabe des kriegsbedingt verlorenen Eigentums haben, ist als eine provozierende Travestierung der historischen Wahrheit einzustufen. Der Vorwurf der Diskriminierung von Staatsbürgern wegen ihrer deutschen Nationalität wäre berechtigt, wenn die Deutschen in Polen während des Krieges staatsbürgerliche Loyalität gegenüber ihrem Staat gezeigt hätten. Wir wissen, wie es war. Die deutsche Minderheit wurde währen des Überfalls von Hitlerdeutschland zur fünften Kolonne, die den Feind durch aufklärerische Informationen, Diversion und Sabotage im Hinterland der sich verteidigenden polnischen Armee unterstützte. Während der Okkupation wurden die so genannten Volksdeutschen, also polnische Staatsbürger deutscher Nationalität, in ihrer überwältigenden Mehrheit zum Fluch und Schrecken des unterworfenen Landes. Sie traten massenweise und spontan in die Hitler-Partei und in die Gestapo ein. Aufgrund ihrer Kenntnisse der polnischen Sprache und der polnischen Nachbarn wurden sie zum gefährlichsten Werkzeug des Terrors und der Ausbeutung ihrer polnischen Mitbürger. Sie füllten als Dolmetscher und Zuträger die Reihen der Gestapo und der Polizei. Sie bereicherten sich auf Kosten der Polen als Verwalter polnischer Betriebe und der den Polen weggenommenen Güter. Die Behauptung Dietmar Brehmers, alle zur NSDAP bzw. zur Gestapo gehörenden Volksdeutschen würden nicht mehr leben bzw. längst ausgesiedelt worden sein, in Polen dagegen nur die unschuldigen geblieben seien, ist einfach nicht wahr. Heute fordert keiner die Bestrafung der Volksdeutschen nach dem Prinzip der kollektiven Verantwortung. Die Deutschen in Polen müssen aber, ähnlich wie es der deutsche Staat getan hat, die Folgen des verlorenen Krieges tragen, an dem sie freiwillig gegen den polnischen Staat teilgenommen haben; sie müssen auch die Folgen der potsdamer Verträge anerkennen. Die Forderungen der drei Verbände der deutschen Minderheit in Oberschlesien und im Oppelner Land, die gemeinsam am 4. Juni diesen Jahres erhoben wurden, können zum Ausbruch gefährlicher Emotionen auf beiden Seiten führen. Sie stellen nicht nur eine Bedrohung für das in den letzten zehn Jahren vollbrachte Versöhnungswerk zwischen Polen und Deutschland dar, sie können sich aber auch ungünstig für die in Grenzen Polens lebende deutsche Gesellschaft auswirken. Dies stünde im Widerspruch mit dem Interesse beider Seiten. Es wäre also lohnend, daß polnische Staatsbürger deutscher Nationalität sich die Frage stellen, ob die erneute Aufnahme des Konflikts mit der polnischen Mehrheit ihre Situation verbessern wird. Je früher sie sich bewußt werden, daß sämtliche Ansprüche aus der Kriegszeit keine Chancen auf Erfüllung haben, desto besser für sie. Die Bürger des polnischen Staates deutscher Nationalität haben selbstverständlich volles Recht, ihre Interessen mittels ihrer in die Selbstverwaltungen und ins Parlament gewählten Vertreter zu wahren. Da es heute keinen Konflikt zwischen Deutschland und Polen gibt, gibt es folglich auch keinen Loyalitätskonflikt. Gleichberechtigung und Loyalität. Man darf in Polen Deutscher sein, seinem deutschen Erbe treu, und gleichzeitig polnischer Staatsbürger, loyal gegenüber dem polnischen Staat. Es ist ein wesentliches Interesse Polens, daß die Deutschen in Polen sich völlig gleichberechtigt fühlen, Zugang zu Amtsausübung sowohl in der staatlichen Verwaltung als auch in der Selbstverwaltung haben sowie ihre Kinder in ihrer Muttersprache und in ihrem nationalen Erbe erziehen können, was mit dem Besitz eigener Schulen zusammenhängt. Der polnische Staat und die Selbstverwaltungen übernahmen die Pflicht, die Lehrerschaft für deutsche Schulen auszubilden. Es ist eine günstige und erfreuliche Tatsache, daß alle bedeutenden Fraktionen des Bundestages, so die CDU/CSU auf der Rechten, SPD und Grüne auf der Linken sowie die Mitte-Partei FDP bei der Verabschiedung der Bundestagserklärung zur Politik gegenüber Polen die Forderungen des Bundes der Vertriebenen verworfen haben. Der Grünen-Abgeordnete Helmut Lippelt bezeichnete die Forderung nach Einführung deutscher Ortsbezeichnungen und nach Renten für Wehrmachtssoldaten als skandalös. In der Bundestagserklärung lesen wir u.a.: „Mit dem Erkämpfen der Demokratie in Polen änderte sich wesentlich die Situation der deutschen Minderheit. Die Regelung der Minderheitenfragen in den Nachbarschaftsverträgen gab dieser Tatsache einen vollen Ausdruck. Diese Verträge öffnen weitere Möglichkeiten zum Brückenbau und zur Überwindung noch bestehender Schwierigkeiten. Die schwierige Geschichte zwischen Deutschland und Polen, insbesondere das Polen angetane Leid bleiben im Gedächtnis beider Völker, wir haben jedoch bereits einen bedeutenden Fortschritt auf dem Weg der Versöhnung zwischen unseren Nationen erzielt - wir haben gelernt, gemeinsam mit unserer Vergangenheit umzugehen”. Beide Regierungen sollten ihren Einfluß geltend machen, damit die deutsche Minderheit in Polen zur Brücke, und nicht zum Zündstoff eines neuen Konlikts wird. Jan Nowak-Jezioranski Dieser Artike erschien in der Rzeczpospolita vom 4-5. August 2001 und wurde in der Nowa trybuna Opolska vom 25-26. August 2001 abgedruckt. In der Nowa Trybuna Opolska ist zur Person von
Jan Nowak-Jezioranski folgendes zu lesen: Unser
Oberschlesien,
Redaktion: sheute@poczta.onet.pl |