Was soll in Kattowitz vertuscht werden ? Turbulenzen um Dokumentation über deutsche Zwangsarbeiter |
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Schlesien heute 6/1999 Görlitz/Schlesien |
Hedla Hainka |
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Im Herbst 1997 begann Ewa Betkowska damit,
den Aktenbestand der zur Liquidierung vorgesehenen Grube Porabka-Klimontow
bei Sosnowitz zu sichten und für die Überführung in das Staatsarchiv
Kattowitz vorzubereiten. Keine spannende Arbeit für eine junge
Diplomarchivarin, denn schließlich warteten annähernd 40.000 Aktenstücke in
den Kellern des Verwaltungsgebäudes. Eines Tages stieß sie allerdings auf
einen Fund, der so gar nicht in das typische Bild von angestaubten Grubenakten
zu passen schien.
Unterlagen über 14.000 deutsche Zwangsarbeiter Zu ihrer Überraschung war der Fund trotz seines Alters in einem guten und gepflegten Zustand: Holzkästen mit Tausenden von Karteikarten und mehrere Kisten mit der Aufschrift UNRA, in denen Mikrofilme lagen. Nach kurzer Durchsicht war ihr bald klar, daß es sich hier um bürokratisch mittels umfangreichen Datenmengen dokumentierte Menschenschicksale handelte: um fast 14.000 deutsche Zwangsarbeiter nämlich, die von 1945 bis 1949 im Dombrowaer Revier in den Gruben arbeiten mußten. Die Karteikarten beinhalten penibel die Häftlingsdaten: Name, Geburtsdatum und -ort, Beruf oder Dienstgrad, Staatsangehörigkeit, Nationalität, "Stammlager", von Lagerärzten in Prozenten eingeschätzter Gesundheitszustand bei Einlieferung. Zumeist handelt es sich um Wehrmachtssoldaten, aus den Kriegsgefangenenlagern in Sagan und Schneidemühl, aber auch um Alte, Frauen und Sechzehnjährige, allesamt Oberschlesier, die aus den "Stammlagern" Lamsdorf, Schwientochlowitz, Myslowitz und Jaworzno zur Sklavenarbeit unter Tage herangeschafft wurden. Mindestens 1.000 Namen von Toten sollen die aufgefundenen Listen preisgeben, einschließlich Todesursache (Entkräftung, Krankheit, Herzinfarkt, "Fluchtversuch") und der detaillierten Angabe der sechs Massengräber, die in beiliegenden Landkarten genau verzeichnet sind. Wohl nicht ohne Grund, wählte Betkowska nicht den vorgeschriebenen Dienstweg, der sie zum Staatsarchiv geführt hätte, sondern sie ging am 26.Juni 1998 zu Dietmar Brehmer, dem Vorsitzenden der "Deutschen Arbeitsgemeinschaft „Versöhnung und Zukunft". Diese kleine Vereinigung in Kattowitz, die sich 1990 vom Deutschen Freundschaftskreis (DFK) abspaltete, ist im Bezirk „Schlesien“ (Kattowitz) durch eine eigene Zeitung, eine wöchentliche Rundfunksendung, vor allem aber durch die Bemühungen um Renten für ehemalige Wehrmachtssoldaten und um die Rehabilitierung ehemaliger Häftlinge, die nach 1945 in polnischen Lagern eingeliefert wurden, bekannt geworden. Die Familien, so Betkowska, deren Vater vor der Wende ein einflußreicher Parteisoldat war, sollten auf jeden Fall erfahren, was mit ihren Angehörigen geschehen war. Brehmer wollte den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes informieren, Historiker sollten eingeschaltet werden, um das Material fachgerecht aufzuarbeiten. Er berichtete auch dem Staatsarchiv von dem Fund, den ihm eine "unerkannt bleibende Person" übergab. Am 29.Juni gab Brehmer in Kattowitz eine Pressekonferenz und präsentierte das Material - nicht ohne Erfolg. Massenweise, berichtete die Gazeta Wyborcza, hätten Oberschlesier sich fernmündlich oder schriftlich nach vermißten Angehörigen erkundigt. Zwölf Tage später aber tauchten plötzlich Vertreter des Staatsarchivs, der Staatsanwaltschaft und des Verfassungsschutzes UOP auf und forderten in einem achtstündigen Gespräch mit Brehmer die sofortige Herausgabe der Karteikarten und der Mikrofilme, zudem die Preisgabe des Namens der "geheimnisvollen Zuträgerin". Um Betkowska nicht zu gefährden, fügt sich schließlich der Verein und muß das Material Zygmunt Partyka, dem Leiter des Staatsarchivs, übergeben. Es begann ein bemerkenswertes Versteckspiel: Am 13.Juli teilt die Staatsanwaltschaft mit, daß 10.613 Karteikarten gezählt wurden, fast dreitausend weniger als noch eine Woche zuvor von mehreren Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft festgestellt. Die UOP begründete ihr ungewöhnliches Interesse an der Sicherstellung der Karteikarten damit, daß man die „geraubten“ Karteikarten vor der Zerstörung (durch Brehmer) habe bewahren müssen. Partyk nennt Brehmers Vorschlag, das Material einem „Ausschuß“ zur Prüfung vorzulegen, in der Presse „lächerlich“. Einen weiteren Vorschlag Brehmers, doch eine Totenliste zu veröffentlichen, ähnlich der „Katynliste“, um den betroffenen Familien Gewißheit zu verschaffen, lehnt das Staatsarchiv mit der Begründung ab, daß das Datenschutzgesetz die Freigabe der Namen von Toten untersage; die Datenschutzbehörde wiederum sagt aber, daß es so ein Gesetz gar nicht gibt! Auf Nachfrage von Journalisten gab ein Sprecher zwischenzeitlich zu verstehen, daß das Material nicht eingesehen werden könne. Zunächst müsse das Staatsarchiv Platz schaffen und die Karteikarten dann sorgfältig bearbeitet werden - und das kann dauern. Man habe bereits vor einigen Jahren Listen mit Namen von 20.000 Zwangsarbeitern aus drei oberschlesischen Grubenarchiven (Kleofas in Kattowitz, Makoschau in Hindenburg und Ziemowit in Lendzin) erhalten, und diese seien bis heute noch nicht im Staatsarchiv gesichtet worden. Inzwischen wurde jedoch bekannt, daß die UOP bereits Anfang Juli, noch vor dem Besuch bei Brehmer, komplette Unterlagen mit Beweismitteln der Staatsanwaltschaft vorlegen konnte, inklusive der Identität der „geheimnisvollen Zuträgerin“ und des langjährigen Lagerortes der Kisten, der nicht einmal der Grubenverwaltung bis zu Betkowskas Fund bekannt gewesen war. Anschläge auf „Arbeitsgemeinschaft Versöhnung und Zukunft" Bis dahin lautete die offizielle Version, das Staatsarchiv hätte Anzeige erstattet und die UOP anschließend über den Fall informiert. Warum die Archivare ausgerechnet die UOP einschalteten, darüber schweigt man sich noch aus. Unterdessen erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Betkowska. Ihr warf man vor, die Dokumente verheimlicht und beseitigt zu haben. Zwei Jahre Haft drohten ihr. Der Gerichtstermin wurde auf den 24.Februar festgelegt. Am Abend zuvor versuchte Brehmer noch einmal seine deutschsprachige Sendung im Kattowitzer Radio zu nutzen, um auf die eigenartigen Vorgänge aufmerksam zu machen - wenige Stunden später flog ein Brandsatz in das Vereinsbüro. Die Kriminalpolizei stellte diesen Anschlag ohne weitere Ermittlungen in eine Reihe anderer Anschläge, die wenige Tage vorher auf die Bezirksverwaltung, Restrukturierungsbehörde und Geschäftsstelle der größten regionalen Bank verübt worden waren. Aber gibt es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag auf einen kleinen Verein und denen auf „bedeutende Institutionen“, die mit der Liquidierung der Bergbauindustrie und dem damit verbundenen Abbau von Zehntausenden Arbeitsplätzen in Verbindung gebracht werden? Oder hatte die UOP ihre Finger im Spiel, die eine zufällige Anschlagserie nur benutzte? Sollte Brehmer vor weiteren öffentlichen Protesten gewarnt werden? Oder sollten jene Kopien von Totenlisten vernichtet werden, die Brehmer vor der Beschlagnahmung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion anfertigen ließ? Lokale Medien kolportieren inzwischen die Mutmaßung, daß die UOP und ihre kommunistische Vorgängerorganisation von Anfang an die Listen der verstorbenen Häftlinge dazu benutzten, Geheimdienstmitarbeitern neue Identitäten zu verleihen, um sie sicher in die Bundesrepublik zu schleusen. Tarnung polnischer Agenten? Die Kellerräume der Grubenverwaltung in Klimontow könnten seit 1949 ein Versteck gewesen sein, daß die junge Archivaren Ewa Betkowska zufällig auffand. Die Kisten mit dem Schriftzug der UNRA-Hilfe, die aus den 40er Jahren stammen müßten, würden diese Vermutung belegen. Das Amtsgericht Sosnowitz verurteilte Betkowska wegen einem „geringen“ Vergehen zu einer Geldstrafe von 700 Mark und zur Übernahme der Prozeßkosten. Doch damit ließen weder sie noch Brehmer die Angelegenheit auf sich beruhen. In einem umfangreichen Zeitungsgespräch mit Dietmar Brehmer informierte die Gazeta Wyborcza erstmals Anfang März in ihrer landesweiten Ausgabe ihre Leserschaft über die dubiosen Vorgänge; am 11. April folgte eine Reportage über Ewa Betkowska im ARD-Weltspiegel. Zudem sprach Brehmer in seiner wöchentlichen Radiosendung zur besten Sendezeit, abends nach den Acht-Uhr-Nachrichten, immer wieder von den Karteikarten. Des Guten zuviel? Kaum zwei Monate nach dem Brandanschlag brachen nun Unbekannte in der Nacht zum 13.April die Geschäftsräume auf. Sie nahmen die beiden Computer mit, ohne die die Arbeitsgemeinschaft zunächst einmal arbeitsunfähig sein wird, und sie entwendeten die Datenbank sowie das Material, das in der nächsten Ausgabe der Vereinszeitschrift "Hoffnung" und in den kommenden Radiosendungen Verwendung finden sollte. Ist das alles Zufall? Hedla Hainka (Sh) Schlesien
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