© Hedla Hainka - www.slonsk.de  - 03/2001

  SLONSK

Was soll in Kattowitz vertuscht werden ?

Turbulenzen um Dokumentation über deutsche Zwangsarbeiter

Schlesien heute 6/1999 Görlitz/Schlesien

 Hedla Hainka

Im Herbst 1997 begann Ewa Betkowska damit, den Aktenbestand der zur Liquidie­rung vorgesehenen Grube Porabka-Kli­montow bei Sosnowitz zu sichten und für die Überführung in das Staatsarchiv Kat­towitz vorzubereiten. Keine spannende Arbeit für eine junge Diplomarchivarin, denn schließlich warteten annähernd 40.000 Aktenstücke in den Kellern des Verwaltungsgebäudes. Eines Tages stieß sie allerdings auf einen Fund, der so gar nicht in das typische Bild von angestaub­ten Grubenakten zu passen schien.

Unterlagen über 14.000 deutsche Zwangsarbeiter

Zu ihrer Überraschung war der Fund trotz seines Alters in einem guten und gepfleg­ten Zustand: Holzkästen mit Tausenden von Karteikarten und mehrere Kisten mit der Aufschrift UNRA, in denen Mikrofil­me lagen. Nach kurzer Durchsicht war ihr bald klar, daß es sich hier um bürokratisch mittels umfangreichen Datenmengen do­kumentierte Menschenschicksale handel­te: um fast 14.000 deutsche Zwangsarbei­ter nämlich, die von 1945 bis 1949 im Dombrowaer Revier in den Gruben ar­beiten mußten. Die Karteikarten beinhal­ten penibel die Häftlingsdaten: Name, Ge­burtsdatum und -ort, Beruf oder Dienst­grad, Staatsangehörigkeit, Nationalität, "Stammlager", von Lagerärzten in Pro­zenten eingeschätzter Gesundheitszustand bei Einlieferung. Zumeist handelt es sich um Wehrmachtssoldaten, aus den Kriegs­gefangenenlagern in Sagan und Schnei­demühl, aber auch um Alte, Frauen und Sechzehnjährige, allesamt Oberschlesier, die aus den "Stammlagern" Lamsdorf, Schwientochlowitz, Myslowitz und Ja­worzno zur Sklavenarbeit unter Tage her­angeschafft wurden. Mindestens 1.000 Na­men von Toten sollen die aufgefundenen Listen preisgeben, einschließlich Todesur­sache (Entkräftung, Krankheit, Herzin­farkt, "Fluchtversuch") und der detaillier­ten Angabe der sechs Massengräber, die in beiliegenden Landkarten genau verzeich­net sind.

Wohl nicht ohne Grund, wählte Betkows­ka nicht den vorgeschriebenen Dienstweg, der sie zum Staatsarchiv geführt hätte, sondern sie ging am 26.Juni 1998 zu Diet­mar Brehmer, dem Vorsitzenden der "Deutschen Arbeitsgemeinschaft „Versöh­nung und Zukunft". Diese kleine Vereini­gung in Kattowitz, die sich 1990 vom Deutschen Freundschaftskreis (DFK) abspaltete, ist im Bezirk „Schlesien“ (Kattowitz) durch eine eige­ne Zeitung, eine wöchentliche Rundfunksendung, vor allem aber durch die Bemühungen um Renten für ehemalige Wehrmachtssoldaten und um die Rehabi­litierung ehemaliger Häftlinge, die nach 1945 in polnischen Lagern eingeliefert wurden, bekannt geworden. Die Familien, so Betkowska, deren Vater vor der Wende ein einflußreicher Parteisoldat war, sollten auf jeden Fall erfahren, was mit ihren An­gehörigen geschehen war. Brehmer wollte den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes informieren, Historiker sollten eingeschaltet werden, um das Material fachgerecht aufzuarbeiten. Er berichtete auch dem Staatsarchiv von dem Fund, den ihm eine "unerkannt bleibende Person" übergab.

Am 29.Juni gab Brehmer in Kattowitz eine Pressekonferenz und präsen­tierte das Material - nicht ohne Erfolg. Massenweise, berichtete die Gazeta Wy­borcza, hätten Oberschlesier sich fern­mündlich oder schriftlich nach vermißten Angehörigen erkundigt. Zwölf Tage spä­ter aber tauchten plötzlich Vertreter des Staatsarchivs, der Staatsanwaltschaft und des Verfassungsschutzes UOP auf und for­derten in einem achtstündigen Gespräch mit Brehmer die sofortige Herausgabe der Karteikarten und der Mikrofilme, zudem die Preisgabe des Namens der "geheimnisvollen Zuträ­gerin". Um Betkowska nicht zu gefähr­den, fügt sich schließlich der Verein und muß das Ma­terial Zygmunt Partyka, dem Leiter des Staatsarchivs, übergeben.

Es begann ein bemerkenswertes Versteck­spiel: Am 13.Juli teilt die Staatsanwalt­schaft mit, daß 10.613 Karteikarten ge­zählt wurden, fast dreitausend weniger als noch eine Woche zuvor von mehreren Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft festgestellt. Die UOP begründete ihr ungewöhnliches Interesse an der Sicherstellung der Karteikarten damit, daß man die „geraubten“ Karteikarten vor der Zerstörung (durch Brehmer) habe bewahren müssen. Partyk nennt Brehmers Vorschlag, das Material einem „Ausschuß“ zur Prüfung vorzulegen, in der Presse „lächerlich“. Einen weiteren Vorschlag Brehmers, doch eine Totenliste zu veröffentlichen, ähnlich der „Katynliste“, um den betroffenen Familien Gewißheit zu verschaffen, lehnt das Staatsarchiv mit der Begründung ab, daß das Datenschutzgesetz die Freigabe der Namen von Toten untersage; die Datenschutzbehörde wiederum sagt aber, daß es so ein Gesetz gar nicht gibt! Auf Nachfrage von Journalisten gab ein Sprecher zwischenzeitlich zu verstehen, daß das Material nicht eingesehen werden könne. Zunächst müsse das Staatsarchiv Platz schaffen und die Karteikarten dann sorgfältig bearbeitet werden - und das kann dauern. Man habe bereits vor einigen Jahren Listen mit Namen von 20.000 Zwangsarbeitern aus drei oberschlesischen Grubenarchiven (Kleofas in Kattowitz, Makoschau in Hindenburg und Ziemowit in Lendzin) erhalten, und diese seien bis heute noch nicht im Staatsarchiv gesichtet worden. Inzwischen wurde jedoch bekannt, daß die UOP bereits Anfang Juli, noch vor dem Besuch bei Brehmer, komplette Unterlagen mit Beweismitteln der Staatsanwaltschaft vorlegen konnte, inklusive der Identität der „geheimnisvollen Zuträgerin“ und des langjährigen Lagerortes der Kisten, der nicht einmal der Grubenverwaltung bis zu Betkowskas Fund bekannt gewesen war.

Anschläge auf „Arbeits­gemeinschaft Versöhnung und Zukunft"

Bis dahin lautete die offizielle Version, das Staatsarchiv hätte Anzeige erstattet und die UOP anschließend über den Fall informiert. Warum die Archivare ausgerechnet die UOP einschalteten, darüber schweigt man sich noch aus. Unterdessen erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Betkowska. Ihr warf man vor, die Dokumente verheimlicht und beseitigt zu haben. Zwei Jahre Haft drohten ihr. Der Gerichtstermin wurde auf den 24.Februar festgelegt. Am Abend zuvor versuchte Brehmer noch einmal seine deutschsprachige Sendung im Kattowitzer Radio zu nutzen, um auf die eigenartigen Vorgänge aufmerksam zu machen - wenige Stunden später flog ein Brandsatz in das Vereinsbüro.

Die Krimi­nalpolizei stellte diesen Anschlag ohne weitere Er­mittlungen in eine Reihe anderer Anschlä­ge, die wenige Tage vorher auf die Be­zirksverwaltung, Restrukturierungs­behörde und Geschäftsstelle der größten regionalen Bank verübt worden waren. Aber gibt es tatsächlich einen Zusammen­hang zwischen dem Anschlag auf einen kleinen Verein und denen auf „bedeutende Institutionen“, die mit der Liquidierung der Bergbauindustrie und dem damit ver­bundenen Abbau von Zehntausenden Ar­beitsplätzen in Verbindung gebracht wer­den? Oder hatte die UOP ihre Finger im Spiel, die eine zufällige Anschlagserie nur benutzte? Sollte Brehmer vor weiteren öffentlichen Protesten gewarnt werden? Oder sollten jene Kopien von Totenlisten vernichtet werden, die Brehmer vor der Beschla­gnahmung in einer Nacht-und-Nebel-Ak­tion anfertigen ließ? Lokale Medien kolportieren inzwischen die Mutmaßung, daß die UOP und ihre kommunistische Vor­gängerorganisation von Anfang an die Li­sten der verstorbenen Häftlinge dazu be­nutzten, Geheimdienstmitarbeitern neue Identitäten zu verleihen, um sie sicher in die Bundesrepublik zu schleusen.

Tarnung polnischer Agenten?

Die Kellerräume der Grubenverwaltung in Klimontow könnten seit 1949 ein Ver­steck gewesen sein, daß die junge Archi­varen Ewa Betkowska zufällig auffand. Die Kisten mit dem Schriftzug der UNRA-­Hilfe, die aus den 40er Jahren stammen müßten, würden diese Vermutung bele­gen. Das Amtsgericht Sosnowitz verur­teilte Betkowska wegen einem „geringen“ Vergehen zu einer Geldstrafe von 700 Mark und zur Übernahme der Prozeßko­sten. Doch damit ließen weder sie noch Brehmer die Angelegenheit auf sich beruhen. In einem umfangreichen Zeitungsge­spräch mit Dietmar Brehmer informierte die Gazeta Wyborcza erstmals Anfang März in ihrer landesweiten Ausgabe ihre Leserschaft über die dubiosen Vorgänge; am 11. April folgte eine Reportage über Ewa Betkowska im ARD-Weltspiegel. Zudem sprach Brehmer in seiner wöchentlichen Radiosendung zur besten Sendezeit, abends nach den Acht-Uhr-­Nachrichten, immer wieder von den Kar­teikarten. Des Guten zuviel? Kaum zwei Monate nach dem Brandanschlag brachen nun Unbekannte in der Nacht zum 13.April die Geschäftsräume auf. Sie nah­men die beiden Computer mit, ohne die die Arbeitsgemeinschaft zunächst einmal arbeitsunfähig sein wird, und sie entwen­deten die Datenbank sowie das Material, das in der nächsten Ausgabe der Vereins­zeitschrift "Hoffnung" und in den kom­menden Radiosendungen Verwendung finden sollte. Ist das alles Zufall?

Hedla Hainka (Sh)


Schlesien heute - Görlitz/Schlesien
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