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BUCHBESPRECHUNG |
Arnulf Hein |
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Aus: |
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Im November 1925 überraschte die „Schlesische Landeswacht“ auf ihrer Titelseite mit dem Aufmacher „Polenputsch auf OS“ das ohnehin angespannte deutsch-polnische Verhältnis. Seit einigen Jahren, stand dort zu lesen, würde die polnische Seite Anschläge auf Fabriken im Deutschen Reich, vor allem in Oberschlesien vorbereiten. Außerdem seien mehrere geheime Waffendepots im Kreis Tost-Gleiwitz angelegt worden. Aufmerksam auf diese heute wenig bekannten Vorgänge in der Zwischenkriegszeit wurde Edward Dlugajczyk durch ein bereits 1989 veröffentlichtes Buch von Zyta Zarzyka, der damaligen Direktorin des Aufständischen Museums am Annaberg, die die polnischen konspirativen und paramilitärischen Aktivitäten in Oberschlesien in den Jahren 1919 bis 1921 schilderte, und mutmaßte, daß diese auch nach der Teilung im deutschen Teil der Region fortbestanden haben könnten. Trotz dieser für die damalige Zeit „aufsehenerregenden Enthüllung“, so der Historiker, habe sich niemand mit dieser Thematik weiter beschäftigt. Drei Jahre später wies Henryk Chalupczak in seinem Buch (II Rzeczpospolita a mniejszosc polska w Niemczech, Poznan 1992) darauf hin, daß die polnischen Nachrichtendienste das Milieu der polnischen Vereine und Verbände in Deutschland zu durchdringen versuchten. Nun ist es Dlugajczyk gelungen, jüngst zugänglich gemachte Archivalien im Zentralarchiv der polnischen Armee in Warschau-Rembertow einzusehen und in das Dunkel der Vergangenheit etwas mehr Licht zu bringen. In der zweiten Hälfte des Jahres 1920 - etwa ein halbes Jahr vor dem alles entscheidenden Plebiszit - legte die 2. Abteilung des Generalstabs der polnischen Armee eine Denkschrift vor, in der sie technische und strategische Fragen für Sabotagetätigkeiten „in Friedens- und Kriegszeit“ im Reichsgebiet ansprach. Sie blieb keineswegs folgenlos, denn in der Nacht auf den 3. Mai 1921 - der Dritte Schlesische Aufstand war ausgebrochen - gelang es polnischen Untergrundgruppen, im Hinterland der Gegenseite mehrere Brücken zu sprengen. Diese Aktion „Mosty“ galt allgemein als erfolgreiches Unternehmen und ging auf die vom polnischen Militär gesteuerte konspirative Tätigkeit im Abstimmungsgebiet zurück. Die unbefriedigende Teilung der Region ließ schließlich Vorstellungen der militärischen Führung konkretisieren, in den „nicht befreiten Grenzgebieten“ paramilitärische Gruppen zu bilden, die die deutsche Administration nach dem Vorbild der irischen Freiheitsbewegung bekämpfen sollte, wie sich Michal Grazynski in seinem am 22. Februar 1923 verfaßten „Memorandum zur Bildung militärischer Organisationen im deutschen Teil Oberschlesiens“ ausdrückte. Die militärischen Kreise in Polen waren der Überzeugung, daß Deutschland seine Gebietsverluste nicht respektieren würde, ebenso Polen nicht akzeptieren könne, daß 600.000 Polen in den deutschen Grenzgebieten „unbefreit“ leben müßten. Ein deutsch-polnischer Krieg sei somit kurzfristig unvermeidbar. Noch vor der vollzogenen Teilung im Juni 1922 kam es deshalb zur Gründung der Geheimorganisation „Przygotowanie Rezerw u Niemca“ („Vorbereitung der Reserve bei den Deutschen“), die dem Militär direkt unterstellt war und deren fünfköpfige Führungsebene allein drei Armeeoffiziere angehörten. Diese Organisation sollte heimlich die Sokol- und andere Sportvereine im bei Deutschland verbliebenen Teil Oberschlesiens steuern, da man diese als natürliche Reserve für die „Militärarbeit“ („wojskowa robota“) ansah. Zudem organisierte das Militär im Oktober 1921 eine erste Diversionsgruppe, die ab Sommer 1922 die Bezeichnung „Zygmunt“ („Z“) führte. Ihr folgte im November 1921 der Aufbau einer weiteren Gruppe „Niemcy“ („N“), deren Aktionsradius ganz Deutschland überziehen sollte. Das im August 1922 in West-Oberschlesien gegründete „Obywatelski Komitet Obrony“ („Bürgerverteidigungskomitee“) unterstand der Gruppe „Z“. Ihm oblagen Spionagetätigkeiten in allen politischen und wirtschaftlichen Bereichen der jungen Provinz. Zu den Aufgaben der einzelnen und voneinander unabhängigen Zellen der Gruppen „Z“ und „N“ gehörte die Informationsbeschaffung von wichtigen Industriebetrieben, Verkehrswegen und Brückenanlagen. Von ihnen war eine Auswahl von Objekten vorzunehmen, die sich für Sabotageakte geeignet zeigten. Im Januar 1923 endlich legte die Gruppe „Z“ dem Generalstab in Kattowitz detailliert ausgearbeitete Pläne vor über die Zerstörung von Betriebsteilen des Borsigkwerkes in Biskupitz und des Oberschlesischen Eletrizitätswerkes in Zaborze. Dazu wurden in geheimen Depots in Ruda, Rudahammer und Königshütte immerhin 137 Revolver mit 137000 Schuß Munition, 325 französische Granaten sowie 730 Kilogramm Sprengstoff gehortet. Ein zusätzliches Waffenlager befand sich in der Kaserne des 75. Infanterieregimentes in Lublinitz. Die Sprengstoffabrik in Kruppamühle im Kreis Groß Strehlitz war ein weiteres Zielobjekt. Den staatsfeindlichen Organisationen im Untergrund gehörten führende Vertreter der polnischen Minderheit in West-Oberschlesien an, beispielsweise Arkadiusz Bozek, Mitbegründer des Oppelner Bezirksverbandes des „Bundes der Polen in Deutschland“ und späterer Abgeordneter des Provinziallandtages in Ratibor, Waclaw Jankowski, Chefredakteur des Oppelner „Nowiny Codzienne“, eine der führenden polnischen Minderheitenzeitungen, oder Stanislaw Weber, Sekretär des Polnischen Schulvereins. Sie wurden von Emissären aus Kattowitz, die beim Generalstab im Sold standen, instruiert. Für die Mitglieder wurden für ihren Einsatz vom Militär angesetzte Schulungen in Polen durchgeführt. Aber auch aus dem Verband der schlesischen Aufständischen in der Woiwodschaft Schlesien konnten zahlreiche Aktive rekrutiert werden. 1924 folgte ein erster Einschnitt für die Untergrundarbeit, als die deutsche Abwehr 160 Angehörige polnischer Minderheitenvereine wegen staatsfeindlicher Tätigkeit verhaftete. Ein vorläufiges Ende fanden die Aktivitäten der Gruppen offenbar zunächst mit dem Aufsatz der o.g. Breslauer Zeitung, die nach Ansicht des Autors recht ausführlich über die polnischen Tätigkeiten zu berichten wußte. Es wird vermutet, daß eine „ranghohe“ polnische Persönlichkeit aus Ost-Oberschlesien der Wochenzeitung genaue Hinweise gab, um der Abwehrstelle in Breslau zuvorzukommen, die offenbar vom sowjetischen Geheimdienst über die polnischen Bestrebungen detailliert in Kenntnis gesetzt worden war. Trotz der Ereignisse im Sommer 1925 existierte zumindest die Gruppe „Z“ bis zum Kriegsausbruch 1939 weiter und unterhielt ein eigenes Schulungszentrum in Sosnowitz. Mit dieser Arbeit scheint sich anzudeuten, daß der Mythos vom „deutschen Terror“ gegen die polnische Minderheit in den ersten Jahren nach der Abstimmung, der auch in neuesten Publikationen gepflegt wird, einiges an Schrecken zu verlieren droht. Hier sei Jozef Kansy als Beispiel angeführt, der Mitte der 20er Jahre wegen des Vorwurfs geheimdienstlicher Tätigkeit juristisch verfolgt worden ist. U. a. wurde ihm vorgeworfen, seinen Sohn auf eine polnische Landwirtschaftsschule geschickt zu haben, bis ihm 1927 angeblich nachgewiesen werden konnte, daß es sich dabei um eine vom polnischen Militär als „Agentenreservoir“ benutzte Einrichtung handelte. Bislang wurde diese Geschichte um Kansy exemplarisch für eine unhaltbare Situation der Polen in Deutschland dargestellt, wobei in der vorliegenden Arbeit jedoch eben dieser Kansy als Aktivist des Untergrunds aufgeführt wird. Somit ist zu vermuten, daß Verhaftungswellen und manches strikte Vorgehen seitens der deutschen Behörden gegen Minderheitenvereine und Personen nicht immer ganz grundlos waren und keineswegs ausschließlich einer minderheitenfeindlichen Politik zuzuschreiben sind. Auf einige Irrtümer in der Arbeit sei noch hingewiesen, nämlich daß Czechowice (S. 29) Schechowitz hieß und nicht Böhmswalde (erst ab 1936). Falsch geschrieben werden Huldschinsky (S. 19) und die Grube Karsten-Centrum (S. 42), ausgerechnet in der deutschsprachigen Zusammenfassung wird aus Biskupice (Biskupitz) mit dortigem Borsigwerk Bischdorf im Kreis Rosenberg (S. 108). Bei der Beschreibung der beim Objekt Kruppamühle (S. 24) zur Zerstörung vorgesehenen Magazine etc. nennt der Autor zwar die zugeordneten Lageangaben „im Lageplan“, welcher auch beigeheftet ist, jedoch von 1937 stammt und wo von „L5, 8, 12 und L13“ nichts zu finden ist. Leider fehlt ein Register. Dlugajczyk versucht in sieben Kapiteln das vorgefundene Archivmaterial für den Zeitraum von 1920 bis 1925 chronologisch darzustellen. Dabei handelt es sich um eine fragmentarisch erhaltene und ungeordnete Dokumentensammlung, die letztendlich viele Fragen unbeantwortet läßt. Begrüßenswert ist die Aufnahme der Dokumente im Anhang (S. 73 - 106). Es ist zu hoffen, daß das vorliegende Buch zu einer kritischeren Sicht auf die politische Rolle der polnischen Minderheit beitragen wird und detaillierte Forschungen zu dieser interessanten Thematik anregt, die die staatsfeindlichen Tätigkeiten bis 1939 unvoreingenommen behandeln und deutsche Archivbestände ausreichend berücksichtigen werden. Arnulf Hein |