Tausende
Kriegsgefangene leisteten |
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Unser
Oberschlesien |
Arnulf Hein |
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Ende
Januar 1945 drangen Einheiten der Roten Armee nach und nach in das
Oberschlesische Revier ein. Am 26. Januar fiel Gleiwitz, an den folgenden beiden
Tagen das gesamte Industriegebiet. Schon bald wurde den Einwohnern deutlich vor
Augen geführt, daß sie die Rache für die deutsche Greuel im Osten zu spüren
bekommen sollten. In den Dörfern um Tost und Langendorf gingen die Eroberer
seit dem 24. Januar mit besonderer Brutalität gegen die Zivilbevölkerung vor.
In Zernik (Gröling), Petersdorf und Mathesdorf kam es zu Vergewaltigungen und
wahllosen Erschießungen. In Schönwald und Miechowitz allein starben in den
folgenden Wochen und Monaten jeweils mehr als hundert Menschen. Aber dabei blieb
es keineswegs. Kaum daß die Front über die Städte und Dörfer hinweg gerollt
war, wurde an den letzten beiden Januartagen im Westteil des Reviers
Bekanntmachungen der Sowjetarmee ausgehangen. Alle Männer zwischen 18 und 50
Jahren wurden aufgefordert, sich bei ihren Arbeitsplätzen in den Gruben und
Handwerksbetrieben einzufinden. Wer dem nicht nachkommen werde, war zu lesen,
dem drohe die Todesstrafe. Viele Jugendliche und Männer wurden daraufhin
festgenommen oder aus ihren Wohnungen herausgeholt und zu Sammelplätzen
gebracht, wie es für Beuthen beispielsweise die Karsten-Centrum-Grube im Westen
der Stadt war, von wo aus die Internierten nach Laband marschierten und dort in
Viehwaggons steigen mußten. Was die Mütter, Ehefrauen und Kinder nicht wußten
- alle dort Internierten waren Kandidaten für die Zwangsarbeit in den Gruben
des Donbass’ oder Sibiriens. 25.000 bis 35.000 Oberschlesier, schätzen
polnische Historiker, wurden von den Sowjets in den ersten Wochen nach der
Eroberung des Reviers zusammengetrieben und zwangsverschleppt. Aus Miechowitz
gingen mehr als 900 Männer den ungewissen Weg in den Osten, aus Gleiwitz waren
es über 600, Rokittnitz 456, Stollarzowitz und Trockenberg 328 - die Liste ließe
sich fortführen. Damit
ergab sich in der Besatzungspolitik ein grotesker Widerspruch. Einerseits war
die kontinuierliche Produktion in den oberschlesischen Betrieben wegen ihrer
Bedeutung für die Kriegs- und Nachkriegswirtschaft gefordert, andererseits aber
deportierten die Sowjets Zehntausende von wertvollen Arbeitskräften. Für die
polnische Seite folgten in den ersten Nachkriegsmonaten evidente
Schwierigkeiten, die Kohlenförderung und Produktion im Revier in der gewünschten
Höhe in Gang zu halten. Ein Jahr nach der Inbesitznahme Schlesiens schließlich
intervenierten Kattowitzer Woiwodschaftsstellen erstmals bei den sowjetischen
Behörden, wenigstens die „Autochthonen“ zurückkehren zu lassen.
Die dringend benötigten Kumpels und Hüttenarbeiter fehlten, und in der Bevölkerung
begann es zu rumoren. Am
18. August 1945 sagte die sowjetische Führung zu, der polnischen Seite 50.000
deutsche Kriegsgefangene, die in fünf Lagern im westlichen Niederschlesien
untergebracht waren, „zum Zwecke des Wiederaufbaus des Landes“
abzutreten. Die internierten Wehrmachtssoldaten sollten die oberschlesischen
Deportierten ersetzen, die den Gruben fehlten. Die Entscheidung signalisierte
aber auch, daß die Sowjetunion zwei Tage nach der Unterzeichnung des
polnisch-sowjetischen Kohlenabkommens bereits sicher war, daß von den
Deportierten kaum jemand lebend oder aber in absehbarer Zeit nach Hause zurückkommen
würde, Moskau aber zugleich daran gelegen war, daß Polen die für den
„Großen Bruder“ günstigen Bedingungen des Kohlenabkommens überhaupt
erfüllen konnte. Die Zahl der im polnischen Gewahrsam genommenen
Kriegsgefangenen erreichte um die Jahreswende 1945/46 mit fast 60.000 ihren Höchststand.
25.000 von ihnen waren in Barackenlagern bei den Gruben und Hüttenwerken im
oberschlesischen und kleinpolnischen Revier zusammengepfercht. Die Zahl der
Lager wird auf 60 geschätzt. Seit dem 10. Dezember 1945 unterstanden die Lager
der Zentralen Verwaltung der Kohlenindustrie. Das
Lagerleben war erbärmlich. Den Gefangenen wurden die Köpfe kahl rasiert und
die ungewaschene, oftmals zerrissene Kleidung mit in Ölfarbe aufgemalten
„N“ (für „Niemcy“) versehen. Die sanitären
Einrichtungen waren mangelhaft, funktionierten nicht oder waren der Zahl nach
viel zu gering vorhanden. Die täglichen Essensrationen lagen unter
anderthalbtausend Kalorien. Das Essen war eintönig und eiweiß- und vitaminarm,
obgleich die Arbeit in den Steinkohlengruben eine besonders energieverzehrende
ist. Mehr als 80 Prozent der Kriegsgefangenen waren als Bergarbeiter unter Tage
eingesetzt. Zweifellos
war Beuthen aufgrund seiner sieben Steinkohlengruben ein Zentrum des
Lagersystems. Der Stadtverband des Deutschen Freundschaftskreises (DFK) bemüht
sich derzeit, Zeugenaussagen zusammenzutragen und die ehemaligen Standorte der
Lager und Gräber der verstorbenen Zwangsarbeiter aufzuspüren und zu
dokumentieren. Inzwischen sind einige Lager und Massengräber bekannt. Der DFK
stützt sich bei seinen Nachforschungen auch auf Zeugenaussagen seiner
Mitglieder. Teilweise sind Stellen bekannt, wo sich Massengräber befinden.
Allerdings können diese nicht immer zugeordnet werden, ob es sich hier um Begräbnisplätze
von Opfern der Nazi-Lager, der Roten Armee oder der polnischen Nachkriegslager
handelt. Bekannt
ist aber, daß noch alle Lagerbaracken bei der Gräfin-Johanna-Schachtanlage in
Bobrek, wo 1946 mindestens 600 Zwangsarbeiter eingesetzt waren, vollständig
erhalten geblieben sind. Beim Lompaschacht der Heinitzgrube an der Laurahütter
Landstraße (ul. Siemanowicka) stehen noch drei von einst sieben Baracken. Hier
erhielt der Beuthener DFK-Stadtvereinsvorsitzende Peter Hensel vom Volksbund
Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) eine Skizze des Lagers, in dem bis zu 800
Kriegsgefangene untergebracht waren. Unbekannt ist jedoch die Lage der Massengräber
der etwa 500 Verstorbenen. Vom
Lager der nicht mehr existierenden Florentinengrube an der Hohenlinder Landstraße
(ul. Lagiewnicka) ist nichts mehr vorhanden. Aber hier gibt es mehrere Massengräber,
in denen russische und deutsche Kriegsgefangene sowie polnische und jüdische
Zwangsarbeiter verscharrt wurden. An der Außenmauer des Pfarrfriedhofes von
Hohenlinde liegen ebenfalls Lageropfer begraben, wie auch in der Nähe der Aufständischen-Gräber
an der Hohenlinder Landstraße. Hier steht auch ein kleiner provisorischer
Gedenkstein und eine kleine handgeschriebene Hinweistafel. Ein
weiteres Massengrab konnte auf dem Pfarrfriedhof der Josephskirche in Dambrau
lokalisiert werden. Hier liegen Opfer des Lagers Beuthengrube. Ein zweites Grab
wurde auf freiem Feld angelegt, das heute von einer Abraumhalde bedeckt ist. Das
größte Lager bestand einst bei der heute stillgelegten Karsten-Zentrum-Grube,
wo 1945 auch das Sammellager für die Deportierten eingerichtet wurde. Hier
arbeiteten bis 1948 Kriegsgefangene, nach 1946 aber auch zivile Zwangsarbeiter.
Die Zahl der Häftlinge und die der Toten ist unbekannt, letztere dürfte aber
in die Hunderte gehen, da es hier mehrfach zu Typhusepidemien kam. Aus den
Sterbebüchern des Neuen Evangelischen Friedhofs an der Gutenbergstraße (ul.
Powstancow Slaskich) geht hervor, daß hier 132 deutsche Kriegsgefangene
begraben liegen. Derweil verweigerte der für den benachbarten Katholischen
Friedhof zuständige Pfarrer dem DFK die Einsicht in dessen Sterbebücher mit
dem Hinweis, daß hier „damals sowieso nur wenige Deutsche
gestorben“ seien. Diese Antwort läßt Spekulationen über die Höhe der
hier liegenden Opfer freien Lauf. Ein drittes Massengrab wird auf dem
Kommunalfriedhof vermutet; hier existieren aber keine Sterbeunterlagen aus der
damaligen Zeit, die offenbar seinerzeit entweder vernichtet oder erst gar nicht
geführt wurden. Erst
im Herbst 1948 traten wesentliche Verbesserungen ein, allerdings war zu diesem
Zeitpunkt bereits absehbar, daß die letzten Zwangsarbeitslager bald schließen
würden. 1950 soll es laut polnischen Untersuchungen nur noch etwa 1.700
ehemalige Wehrmachtssoldaten gegeben haben. Die letzten Gefangenen verließen
Oberschlesien erst kurz vor Weihnachten desselben Jahres. Die Zahl der in den
oberschlesischen und kleinpolnischen Gruben, hauptsächlich durch Krankheiten
umgekommenen Kriegsgefangenen ist unbekannt. Schätzungen gehen von etwa
zehntausend Toten aus (20 Prozent aller Internierten). Allein die Zahl der aus
der Sowjetunion heimgekehrten Oberschlesier ist in etwa bekannt: von den
tausenden Deportierten kamen ganze 5.603 Überlebende zurück. Der
DFK-Stadtverband Beuthen versucht, alle Lager und möglichst viele der Begräbnisstellen
zu dokumentieren und Denkmäler aufzustellen. Aber man wird sich nicht auf die
Geschichte nach 1945 beschränken, erzählt Peter Hensel, sondern auch die
Geschichte der deutschen Zwangsarbeitslager in Beuthen in die Spurensuche
einbeziehen. Tausende von russischen Kriegsgefangenen, jüdischen KZ-Häftlingen
und Zwangsarbeiter verschiedener Nationalität fanden in der Beuthener Erde ihre
letzte Ruhe. Alle waren Opfer des Krieges und sind Teil der Beuthener
Stadtgeschichte. Unser
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