© Arnulf Hein - www.slonsk.de - 02/2001

  SLONSK

Tausende Kriegsgefangene leisteten 
in den Beuthener Gruben Zwangsarbeit

Unser Oberschlesien
2/2001 - 1. Februar 2001

Arnulf Hein

Ende Januar 1945 drangen Einheiten der Roten Armee nach und nach in das Oberschlesische Revier ein. Am 26. Januar fiel Gleiwitz, an den folgenden beiden Tagen das gesamte Industriegebiet. Schon bald wurde den Einwohnern deutlich vor Augen geführt, daß sie die Rache für die deutsche Greuel im Osten zu spüren bekommen sollten. In den Dörfern um Tost und Langendorf gingen die Eroberer seit dem 24. Januar mit besonderer Brutalität gegen die Zivilbevölkerung vor. In Zernik (Gröling), Petersdorf und Mathesdorf kam es zu Vergewaltigungen und wahllosen Erschießungen. In Schönwald und Miechowitz allein starben in den folgenden Wochen und Monaten jeweils mehr als hundert Menschen. Aber dabei blieb es keineswegs. Kaum daß die Front über die Städte und Dörfer hinweg gerollt war, wurde an den letzten beiden Januartagen im Westteil des Reviers Bekanntmachungen der Sowjetarmee ausgehangen. Alle Männer zwischen 18 und 50 Jahren wurden aufgefordert, sich bei ihren Arbeitsplätzen in den Gruben und Handwerksbetrieben einzufinden. Wer dem nicht nachkommen werde, war zu lesen, dem drohe die Todesstrafe. Viele Jugendliche und Männer wurden daraufhin festgenommen oder aus ihren Wohnungen herausgeholt und zu Sammelplätzen gebracht, wie es für Beuthen beispielsweise die Karsten-Centrum-Grube im Westen der Stadt war, von wo aus die Internierten nach Laband marschierten und dort in Viehwaggons steigen mußten. Was die Mütter, Ehefrauen und Kinder nicht wußten - alle dort Internierten waren Kandidaten für die Zwangsarbeit in den Gruben des Donbass’ oder Sibiriens. 25.000 bis 35.000 Oberschlesier, schätzen polnische Historiker, wurden von den Sowjets in den ersten Wochen nach der Eroberung des Reviers zusammengetrieben und zwangsverschleppt. Aus Miechowitz gingen mehr als 900 Männer den ungewissen Weg in den Osten, aus Gleiwitz waren es über 600, Rokittnitz 456, Stollarzowitz und Trockenberg 328 - die Liste ließe sich fortführen.

Damit ergab sich in der Besatzungspolitik ein grotesker Widerspruch. Einerseits war die kontinuierliche Produktion in den oberschlesischen Betrieben wegen ihrer Bedeutung für die Kriegs- und Nachkriegswirtschaft gefordert, andererseits aber deportierten die Sowjets Zehntausende von wertvollen Arbeitskräften. Für die polnische Seite folgten in den ersten Nachkriegsmonaten evidente Schwierigkeiten, die Kohlenförderung und Produktion im Revier in der gewünschten Höhe in Gang zu halten. Ein Jahr nach der Inbesitznahme Schlesiens schließlich intervenierten Kattowitzer Woiwodschaftsstellen erstmals bei den sowjetischen Behörden, wenigstens die „Autochthonen“ zurückkehren zu lassen. Die dringend benötigten Kumpels und Hüttenarbeiter fehlten, und in der Bevölkerung begann es zu rumoren.

Am 18. August 1945 sagte die sowjetische Führung zu, der polnischen Seite 50.000 deutsche Kriegsgefangene, die in fünf Lagern im westlichen Niederschlesien untergebracht waren, „zum Zwecke des Wiederaufbaus des Landes“ abzutreten. Die internierten Wehrmachtssoldaten sollten die oberschlesischen Deportierten ersetzen, die den Gruben fehlten. Die Entscheidung signalisierte aber auch, daß die Sowjetunion zwei Tage nach der Unterzeichnung des polnisch-sowjetischen Kohlenabkommens bereits sicher war, daß von den Deportierten kaum jemand lebend oder aber in absehbarer Zeit nach Hause zurückkommen würde, Moskau aber zugleich daran gelegen war, daß Polen die für den „Großen Bruder“ günstigen Bedingungen des Kohlenabkommens überhaupt erfüllen konnte. Die Zahl der im polnischen Gewahrsam genommenen Kriegsgefangenen erreichte um die Jahreswende 1945/46 mit fast 60.000 ihren Höchststand. 25.000 von ihnen waren in Barackenlagern bei den Gruben und Hüttenwerken im oberschlesischen und kleinpolnischen Revier zusammengepfercht. Die Zahl der Lager wird auf 60 geschätzt. Seit dem 10. Dezember 1945 unterstanden die Lager der Zentralen Verwaltung der Kohlenindustrie.

Das Lagerleben war erbärmlich. Den Gefangenen wurden die Köpfe kahl rasiert und die ungewaschene, oftmals zerrissene Kleidung mit in Ölfarbe aufgemalten „N“ (für „Niemcy“) versehen. Die sanitären Einrichtungen waren mangelhaft, funktionierten nicht oder waren der Zahl nach viel zu gering vorhanden. Die täglichen Essensrationen lagen unter anderthalbtausend Kalorien. Das Essen war eintönig und eiweiß- und vitaminarm, obgleich die Arbeit in den Steinkohlengruben eine besonders energieverzehrende ist. Mehr als 80 Prozent der Kriegsgefangenen waren als Bergarbeiter unter Tage eingesetzt.

Zweifellos war Beuthen aufgrund seiner sieben Steinkohlengruben ein Zentrum des Lagersystems. Der Stadtverband des Deutschen Freundschaftskreises (DFK) bemüht sich derzeit, Zeugenaussagen zusammenzutragen und die ehemaligen Standorte der Lager und Gräber der verstorbenen Zwangsarbeiter aufzuspüren und zu dokumentieren. Inzwischen sind einige Lager und Massengräber bekannt. Der DFK stützt sich bei seinen Nachforschungen auch auf Zeugenaussagen seiner Mitglieder. Teilweise sind Stellen bekannt, wo sich Massengräber befinden. Allerdings können diese nicht immer zugeordnet werden, ob es sich hier um Begräbnisplätze von Opfern der Nazi-Lager, der Roten Armee oder der polnischen Nachkriegslager handelt.

Bekannt ist aber, daß noch alle Lagerbaracken bei der Gräfin-Johanna-Schachtanlage in Bobrek, wo 1946 mindestens 600 Zwangsarbeiter eingesetzt waren, vollständig erhalten geblieben sind. Beim Lompaschacht der Heinitzgrube an der Laurahütter Landstraße (ul. Siemanowicka) stehen noch drei von einst sieben Baracken. Hier erhielt der Beuthener DFK-Stadtvereinsvorsitzende Peter Hensel vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) eine Skizze des Lagers, in dem bis zu 800 Kriegsgefangene untergebracht waren. Unbekannt ist jedoch die Lage der Massengräber der etwa 500 Verstorbenen.

Vom Lager der nicht mehr existierenden Florentinengrube an der Hohenlinder Landstraße (ul. Lagiewnicka) ist nichts mehr vorhanden. Aber hier gibt es mehrere Massengräber, in denen russische und deutsche Kriegsgefangene sowie polnische und jüdische Zwangsarbeiter verscharrt wurden. An der Außenmauer des Pfarrfriedhofes von Hohenlinde liegen ebenfalls Lageropfer begraben, wie auch in der Nähe der Aufständischen-Gräber an der Hohenlinder Landstraße. Hier steht auch ein kleiner provisorischer Gedenkstein und eine kleine handgeschriebene Hinweistafel.

Ein weiteres Massengrab konnte auf dem Pfarrfriedhof der Josephskirche in Dambrau lokalisiert werden. Hier liegen Opfer des Lagers Beuthengrube. Ein zweites Grab wurde auf freiem Feld angelegt, das heute von einer Abraumhalde bedeckt ist.

Das größte Lager bestand einst bei der heute stillgelegten Karsten-Zentrum-Grube, wo 1945 auch das Sammellager für die Deportierten eingerichtet wurde. Hier arbeiteten bis 1948 Kriegsgefangene, nach 1946 aber auch zivile Zwangsarbeiter. Die Zahl der Häftlinge und die der Toten ist unbekannt, letztere dürfte aber in die Hunderte gehen, da es hier mehrfach zu Typhusepidemien kam. Aus den Sterbebüchern des Neuen Evangelischen Friedhofs an der Gutenbergstraße (ul. Powstancow Slaskich) geht hervor, daß hier 132 deutsche Kriegsgefangene begraben liegen. Derweil verweigerte der für den benachbarten Katholischen Friedhof zuständige Pfarrer dem DFK die Einsicht in dessen Sterbebücher mit dem Hinweis, daß hier „damals sowieso nur wenige Deutsche gestorben“ seien. Diese Antwort läßt Spekulationen über die Höhe der hier liegenden Opfer freien Lauf. Ein drittes Massengrab wird auf dem Kommunalfriedhof vermutet; hier existieren aber keine Sterbeunterlagen aus der damaligen Zeit, die offenbar seinerzeit entweder vernichtet oder erst gar nicht geführt wurden.

Erst im Herbst 1948 traten wesentliche Verbesserungen ein, allerdings war zu diesem Zeitpunkt bereits absehbar, daß die letzten Zwangsarbeitslager bald schließen würden. 1950 soll es laut polnischen Untersuchungen nur noch etwa 1.700 ehemalige Wehrmachtssoldaten gegeben haben. Die letzten Gefangenen verließen Oberschlesien erst kurz vor Weihnachten desselben Jahres. Die Zahl der in den oberschlesischen und kleinpolnischen Gruben, hauptsächlich durch Krankheiten umgekommenen Kriegsgefangenen ist unbekannt. Schätzungen gehen von etwa zehntausend Toten aus (20 Prozent aller Internierten). Allein die Zahl der aus der Sowjetunion heimgekehrten Oberschlesier ist in etwa bekannt: von den tausenden Deportierten kamen ganze 5.603 Überlebende zurück.

Der DFK-Stadtverband Beuthen versucht, alle Lager und möglichst viele der Begräbnisstellen zu dokumentieren und Denkmäler aufzustellen. Aber man wird sich nicht auf die Geschichte nach 1945 beschränken, erzählt Peter Hensel, sondern auch die Geschichte der deutschen Zwangsarbeitslager in Beuthen in die Spurensuche einbeziehen. Tausende von russischen Kriegsgefangenen, jüdischen KZ-Häftlingen und Zwangsarbeiter verschiedener Nationalität fanden in der Beuthener Erde ihre letzte Ruhe. Alle waren Opfer des Krieges und sind Teil der Beuthener Stadtgeschichte.


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