© Arnulf Hein - www.slonsk.de - 02/2001

  SLONSK

Geborski sieht „deutsche Suggestionen“

Erste Anhörung im Lamsdorf-Prozeß 
Mordanklage in 48 Fällen

Unser Oberschlesien
2/2001 - 1. Februar 2001

Arnulf Hein

Vor dem Woiwodschaftsgericht in Oppeln wurde am Freitag, dem 27. Januar, der Mordprozeß gegen den ehemaligen Kommandanten des Aussiedlungslagers Lamsdorf, Czeslaw Geborski, eröffnet. Die Bezirksstaatsanwaltschaft beschuldigt den heute 76jährigen der geistigen Urheberschaft von 48 Fällen von Totschlag zu tragen.  

Das Aussiedlungslager Lamsdorf wurde vom Landrat des Kreises Falkenberg auf der Grundlage der Verordnung Nr. 88 des Woiwoden General Aleksander Zawadzki vom 18. Juni 1945 eingerichtet, um die für die Vertreibung vorgesehene oberschlesische Bevölkerung für den Abtransport zu sammeln. In der Verordnung heißt es, daß bei Ankunft eines „Repatrianten“ oder Siedlers der betreffende Deutsche oder die deutsche Familie in ein Lager abzuschieben seien, um für die ankommenden „Repatrianten“ und Siedler Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Das Lager Lamsdorf wurde im Juli 1945 - Wochen vor den Potsdamer Beschlüssen - eingerichtet. Aus 30 Dörfern des Kreises Falkenberg sind Oberschlesier unter Zwang dorthin verbracht worden, deren Häuser und Bauernhöfe wurden konfisziert. Staatsanwalt Kula sieht es als erwiesen an, daß die Lagerinsassen unter ihren Kommandanten Geborski brutalste Gewalt zu erleiden hatten. Es fehlte an Medikamenten, das Essen war schlecht und dürftig. Wiederholt habe Geborski seine Wachmannschaft, die einen permanenten Alkoholkonsum pflegte, zu Gewalttaten animiert. Mindestens anderthalbtausend Oberschlesier starben.

Dem Beklagten wird die Ermordung von mindestens 48 Lagerinsassen am 4. Oktober 1945 zur Last gelegt. Damals kam es im Aussiedlungslager zum Brand einer Baracke. Die Wachmannschaft forderte Internierte zum Löschen des Brandes auf und schoß während der Brandbekämpfung wahllos auf die Menschenmenge ein. Der damals einundzwanzigjährige Kommandant habe diesen Brand, so Kula, von langer Hand vorbereitet. Auf seinen Befehl hin mußten am Tag zuvor Gefangene eine große Kuhle ausheben, die Stunden später zu ihrem eigenen Massengrab werden sollte. Die Baracke sei von den Lageraufsehern oder von Geborski persönlich angesteckt worden. Schließlich habe er der angetrunkenen Wachmannschaft auch den Schießbefehl erteilt. Er selbst habe Menschen während des Löschens erschossen, führte der Staatsanwalt in seiner anderthalb Stunden dauernden Begründung der Anklage aus.

Der Beschuldigte mußte sich drei Stunden lang den Fragen der Bezirksrichter stellen. Er verneinte jegliche Schuld und Verantwortlichkeit an den ihm zur Last gelegten Straftaten. Er sei kein Krimineller und habe nie den Befehl erteilt, jemanden umzubringen. Am besagten 4. Oktober sei er nicht im Lager gewesen, sondern zu Gesprächen beim Sicherheitsdienst in Falkenberg. Angehörige der Wachmannschaft berichteten ihm später, daß die Gefangenen einen Ausbruch versucht hätten und dazu die Baracke in Brand gesteckt hätten, um die Aufseher abzulenken. „Ich bin absolut unschuldig“, betonte Geborski mehrmals. Hinter den Anschuldigungen sieht er „deutsche Revanchisten“ und die „Fünfte Kolonne, die immer noch hier in diesen Gebieten lebt“. Die Vorwürfe entsprängen einer „deutschen Suggestion“, die das Buch „Die Hölle von Lamsdorf“ des Lagerarztes Heinz Esser ausgelöst habe. Dessen Schilderungen seien an den Haaren herbeigezogen. Tatsächlich habe Esser für sein Buch Berichte des polnischen Arztes Dr. Olcha verwendet. Olcha, der mit Esser in Falkenberg und Lamsdorf mehrmals zusammentraf, habe ihm von dessen grausamen Erlebnissen in deutschen Lagern zwischen 1939 und 1945 erzählt. „Mein Lager“, führte Geborski weiter aus, sei im Vergleich zu Essers Lagerbericht tatsächlich „eine Sommerresidenz“ gewesen.

Czeslaw Geborski, dessen Bruder von Wehrmachtssoldaten erschossen und dessen Vater von den Nazis zur Zwangsarbeit eingezogen wurde, kam 1945 als Angehöriger der Roten Armee nach Oppeln. Bereits im Oktober 1945 beauftragte die damalige Woiwodschaftsführung eine Untersuchungskommission, die bekannt gewordenen Vorfälle vom 4. Oktober zu untersuchen. Derweil wurde Geborski zur Miliz nach Kattowitz versetzt. 1947 wurde die Untersuchung eingestellt, das aufschlußreiche Aktenmaterial 1969 vernichtet. 1957 wurde er noch einmal unter Mordanklage gestellt; doch dieser Prozeß vor dem Woiwodschaftsgericht Oppeln endete zwei Jahre später mit einem Freispruch. Unterdessen machte Geborski als Milizionär in Kattowitz Karriere. Er erhielt den Verdienstorden und die Grunwald-Medaille. Erst mit der Wende wurde es möglich, die deutschen Berichte über das Lager Lamsdorf ohne eine politische Einflußnahme zu überprüfen. Vor allem die Staatsanwaltschaft Hagen leistete ertragreiche Amtshilfe, in dem sie ihr gesamtes Aktenmaterial zu Lamsdorf der Staatsanwaltschaft Breslau überstellte, die 1998 das Verfahren gegen den jetzt Angeklagten wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ erneut ins Rollen brachte. Der Freispruch von 1959 erschwerte allerdings die Beweisaufnahme, da die geltende Rechtslage untersagt, einen einmal ausgesprochenen Freispruch in Frage zu stellen. Erst die Erkenntnis, daß von den Untersuchungen von 1945 bis 1947 keine Unterlagen mehr vorhanden waren und beim Prozeß in den 1950er Jahren kein Freispruch hinsichtlich des Barackenbrandes erfolgte, ermöglichte eine erneute Anklage. Die Staatsanwaltschaft hat angekündigt, 150 Zeugen vorzuladen und weitere 150 schriftliche Zeugenaussagen verlesen zu lassen.

Unterdessen beantragte die Verteidigung, den Beschuldigten auf seine Prozeßtauglichkeit untersuchen zu lassen. Sollte der Antrag abgelehnt werden, wird der Mordprozeß vor dem Woiwodschaftsgericht am 27. Februar fortgesetzt.


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